“Bjørn Riis – A Fleeting Glimpse: 12inch E.P.”
Onkel Werner nervt. Eigentlich schon immer. Aber es ist besonders schlimm geworden, seitdem er seine Leidenschaft zu Schallplatten wiederentdeckt hat.
Damals in den 1990er meinte er uns Jungpunkern erklären zu müssen, dass die Bands die wir hörten “eh alles Dilettanten wären, die könnten doch eh alle ihre Instrumente gar nicht richtig spielen, vom Songwriting haben die keine Ahnung, es werde keine Atmosphäre erzeugt”. Blablabla.
Natürlich hatte er Recht, deshalb haben wir das ja auch gehört. Punkrock muss doch so sein, so dachten wir. Wir hatten doch irgendwo gehört, irgendwie aufgeschnappt, dass Punk doch auch eine Reaktion auf diese ganze, auf bombastisch angelegte, Musik aus den 70er Jahren sei. Wir hatten aber zuerst keine Ahnung welche Musik diese Reaktion ausgelöst hatte. Zu Hause lief anderer Kram. So Hitparade-Zeug. Schlager. Die großen Schwestern hatten ein Rick Astley Poster im Zimmer hängen. Wir gingen kurz vor Punk noch steil auf Alf und Roxette.
Aber durch Onkel Werner lernten wir diese Musik kennen. Nicht, dass wir darauf nicht hätten verzichten können, aber Werner ließ keine Familienfeier aus, uns ungefragt über die Vorzüge von Genesis (“natürlich nur echt mit Peter Gabriel am Gesang”) Jethro Tull ( “Starke Flöte! Rock mit Flöte, das können die Punker gar nicht spielen!”) Dire Straits (“Die Knopfler Boys sind noch richtige Idole”) und immer wieder Pink Floyd (“DIE GÖTTER!”) zu berichten. Ostern, Weihnachten, Oma Inges runder Geburtstag, Tante Trudes Beerdigung. Jede Gelegenheit wurde genutzt um zuerst in nostalgisches Schwallern abzudriften, um dann die High-End-Stereo Anlage anzumachen und dann wahlweise die “Dark Side of the Moon”, “Animals” oder natürlich das Album mit der Mauer in den CD-Schlitz zu schieben. “CDs haben einfach den besseren Klang, die moderne Technik holt viel mehr aus den alten Aufnahmen heraus, aber das hört ihr mit euren ungeübten und versauten Ohren gar nicht, hör mal die Gitarren-Spuren, was für ein Sound, dieser Klangteppich, ich habe jetzt alle meine Schallplatten in den Keller gepackt und alles auf CD gekauft, Roger Waters Bass klingt jetzt noch fetziger, ihr sagt heute eher geil, oder, Nick ist also der Geilste, hört mal DIE ATMOSPHÄRE!”
Dann strich er sich oft durch den Oberlippenbart und holte sich ein neues Glas Erdbeerbowle, und wir nutzten die Gelegenheit und flüchteten aus der Wohnung, um dann heimlich die vom kettenrauchenden Cousin geklauten Mentholzigaretten im Hinterhof zu rauchen. Onkel Werner rauchte zwar auch, aber der hatte seine Ernte 23 immer in der Bauchtasche verstaut. Die Bauchtasche hatte er zwei Jahre zuvor auf einem Basar im Türkei-Urlaub (Bodrum) gekauft. Schwarz mit neongelb- und roten Streifen. Augenkrebs, aber halt total praktisch. Beziehungsweise unpraktisch für uns, weil wir so nicht an seine Kippen kamen, da Onkel Werner die Tasche auch in der Wohnung nicht abnahm. Dabei hörten wir Deutschpunk vom Walkman und machten uns über Onkel Werners alberne Musik lustig.
Seitdem sind einige Jahre vergangen, das Rauchen hatten wir uns zwar angewöhnt, mittlerweile aber längst auch wieder abgewöhnt. Familienfeiern werden auch deutlich weniger besucht, aber ab und an sieht man die ganze Mischpoke halt doch. Und dann ist auch Onkel Werner da. Immer noch Oberlippenbart und immer noch großer Pink Floyd Fan. Eigentlich hört er immer noch die alten Sachen, die schon vor 20 Jahren alte Sachen von vor 20 Jahren waren. Aber nun wieder auf LP. ” Vinyl hat einfach den besseren Klang, vielmehr Tiefe, für dieses Medium wurde das damals ja auch aufgenommen, ist doch klar, dass das dann besser klingt, hier hör mal half speed remastered, dieser Klangteppich, was für ein Sound..”
Wenn ihr euch schon immer gefragt habt wer dieses ganzen Re-Releases alter Bands kauft mit denen der Vinyl-Markt überschwemmt wird, kann ich euch sagen, dass es Menschen wie Onkel Werner sind. Natürlich geht Onkel Werner auch mit der Zeit, seit paar Jahren ist er bei Facebook aktiv, denn dort findet er in Vinylliebhaber-Gruppen viele Gleichgesinnte. Besonders viele Däumchen kriegt der Onkel immer dann, wenn er eine seine Pink Floyd Scheiben präsentiert und viele Däumchen sind ein Träumchen.
Ich müsste aber lügen, wenn ich sagen würde, dass Pink Floyd spurlos an mir vorübergegangen sind, nein dank Onkel Werner bin ich mittlerweile im Besitz der meisten Pink Floyd Alben. Denn vor etlichen Jahren bot mir Tante Renate (Werners Ehefrau) die Platten an, die Werner in den Keller verfrachtet hatte, weil sie “ja eh nicht so gut wie CDs klingen”. Haha, einem geschenkten Gaul und so! Werner hat bisher nie erfahren, dass der Neffe, mit ohne Musiksachverstand die Platten hat und hört. Renate hat nix verraten. Wahrscheinlich aber eher aus Selbstschutz, haha.
Und ich will auch nicht verheimlichen, dass ich die Musik von Pink Floyd an depressiven Regentagen sehr gerne auflege, da die Atmosphäre und das Songwriting wirklich einmalig sind.
Warum schreib ich das eigentlich alles? Weil ich beim Hören von BJØRN RIIS‘ Mini-Album “A fleeting glimpse” unweigerlich an Pink Floyd denken muss. Das wiederum hat einerseits mit Bjorns Musikersozialisation zu tun, andererseits natürlich mit der Musik, die dargeboten wird. Der Norweger ist bekannt geworden als Teil der Progrock Band Airbag, dessen Mitglieder auch lange in einer Pink Floyd Coverband ihrer Liebe zu den Engländern nachgingen.
Seit 2014 veröffentlicht Riis aber kontinuierlich auch Solo Alben. Sein neuestes Werk ” A fleeting glimpse” ist eine Rückkehr zu seinen musikalischen Wurzeln, eine Hommage an Pink Floyd. Riis selbst sagt, dass er versucht hat alle Phasen von Pink Floyd in diesen vier Songs unterzubringen, seien es die psychedelischen Klänge der 60er und 70er als auch die bombastischen Stadionrocksongs der 80er und 90er. Als er anfing selbst Gitarre zu spielen orientierte er sich so sehr an den Sound von Syd Barrett und David Gilmour, dass er Ihnen nun Jahre später eine Huldigung auf Vinyl erschaffen hat.
Und die ist ihm wirklich gelungen, denn nicht nur die Songs könnten aus der Feder der Briten stammen, auch die Produktion steht den Alben in nichts nach. Als zusätzliches Bonbon hat sich Riis auch noch die Sängerin Durga McBroom eingeladen, die schon bei Pink Floyd im Background Gesang beigesteuert hat.
Die Platte fängt ruhig mit Akustikgitarre und Vocals an und steigert sich dann im weiteren Verlauf immer mehr, in den Vordergrund gemischte Sologitarren sorgen für den psychedelischen Faktor, die Atmosphäre wird verstärkt durch Synthesizer-Einsatz. Hört selbst.
Insgesamt ist es ein wirklich atmosphärisch starkes Album und mir gefällt es besonders deshalb sehr gut, weil diese Atmosphäre natürlich stark an Pink Floyd erinnert, das ganze aber eine ordentliche Prise Pop abbekommt. Dadurch wirkt es gar nicht so aus der Zeit gefallen wie man annehmen könnte, sondern klingt modern und gar nicht altbacken.
Ich erwähnte es bereits weiter oben, nicht nur die Musik, auch die Produktion ist sehr gut gelungen. Onkel Werner könnte es auf seiner High End Anlage anhören und hätte Spaß an den glasklaren Höhen und den satten Tiefen, den gut aufeinander gemixten Spuren, ich auf meiner Schrömmel Anlage genieße den Sound auf den jeden Fall sehr.
Erschienen ist das gute Teil bereits im Oktober 2022 auf Karisma Records und dreht sich in schönem durchscheinenden Blau.
Also, jede*r die/der einen Onkel Werner in seinem Umkreis kennt, sollte sich diese Platte anhören und dann Onkel Werner vorspielen. So könnten eventuelle Risse im Verhältnis gekittet werden.
So werden wir es tun. Bin jetzt schon gespannt auf Werners Reaktion. Hab schon meinen Besuch angekündigt. Er sagt, dass er sich freut. Vielleicht gibt es ja auch Erdbeerbowle. Das wäre schön.
Eigentlich nervt Onkel Werner gar nicht so sehr.
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