Wo ein Bobby Sparks II ist, da ist – bzw. war – auch ein Bobby Sparks Senior. Dieser kommt post mortem zu Wort, indem er einen Monolog über die Big Band – Ära beisteuert. Seinem 2009 verstorbenen Vater widmet der texanische Keyboarder und Komponist sein zweites Solowerk “Paranoia”. Dieses ist ein Konzeptalbum quer durch die afroamerikanische Musikgeschichte. Und weil diese sehr viele Gesichter hat, besteht das Album gleich aus drei Platten = sechs satte Seiten Musik = rund zwei Stunden und 20 Minuten Spielzeit! Das nenne ich mal eine Veröffentlichung – und allein schon ob der stilistischen Vielfalt eine Meisterleistung.
Ja, musikalische Vielfalt. “Paranoia” in eine Genreschublade zu stecken ist schwierig bis unmöglich. Bobby Sparks II versucht sich in Jazz, Pop, HipHop, Soul, Funk, Rock und vielem mehr. Eben in allem, in dem sich afroamerikanische Musiker*Innen ausgetobt haben, bzw. in allem was diese maßgeblich (mit)begründet haben. Und was heißt da eigentlich “versucht sich”? Bobby Sparks II ist nicht nur Grammy-Gewinner (mit dem Musiker-Kollektiv Snarky Puppy 2016), sondern generell ein Meister seines Fachs. Ein studierter Musiker, gefragter Komponist und Arrangeur, gefragter Session-Musiker, Vollblut-Musiker. Das hier ist durch die Bank qualitativ hochwertiger Stuff und sei jedem und jeder ans Herz gelegt, der/die einfach nur Musikfan ist.
Allerdings, da Bobby Sparks II hier so viele Stile auf nur einem Album vereint, mag es natürlich auch passieren, dass nicht jeder Song ein Volltreffer ist. Mir persönlich missfällt die Pop-Schnulze “Sometimes It Snows In April” ein wenig. Das ist eher so ein SWR 3-Ding. Ihr seht aber schon: dass ich den Gaul von hinten aufsattle und aus satten 25 Songs (inklusive den Spoken Word-Beiträgen) die Miesmuschel rauspicke, spricht Bände. Die bloße Ideenvielfalt innerhalb der einzelnen Genrebeiträge dagegen dürfte selbst den/die eine(n) oder andere(n) Superstar und Megaseller vor Neid erblassen lassen.
Wo anfangen, wo aufhören? Ich geb’s auf. Zu überwältigend sind die Höreindrücke von orientalischen Klängen (“Letter To Mumbai”) über Soul à la James Brown (“DMSR”) bis hin zu Fusion und Jazz (“Musical Diarrhea”), dazwischen allerlei Soloparts von allerlei Instrumenten. Irre! Einfach nur irre! Und wenn ich jetzt sage, dass alle Anhänger*Innen zwischen Living Colour und Jeanette Jackson zugreifen müssen, dann deckt das zwar eine schier nicht greifbare Spanne an musikalischer Bandbreite ab – und ist in Wahrheit trotzdem nur an der Oberfläche gekratzt. Vielleicht mag es noch hilfreich sein, wenn ich die mitunter namhaften Unterstützer*Innen von Bobby Sparks II auf “Paranoia” nenne. Da hätten wir Chris Potter, Mike Stern, Lizz Wright, Dean Brown oder auch John Scofield. Den Rest müsst ihr selber draus machen. Solltet ihr wirklich auch!
Leopard veröffentlichte dieses Feuerwerk an Ideen und Vielfalt. Und hat sich bei der Aufmachung redlich Mühe gegeben. Ehre, wem Ehre gebührt. Tolle Fotografien, eine erhabene Haptik, drei mal 180 Gramm Vinyl. “Paranoia” fällt in vielerlei Hinsicht ins Gewicht und der Kauf, z.B. bei jpc, soll euer Fehler nicht sein. Ich muss raus. Es gibt noch vieles zu entdecken!