Rattster – Das Short-Story-Review
Folge #2 – Die Dorks, Album: „Geschäftsmodell Hass“
Die Dorks „Geschäftsmodell Hass“ (Release September 2023, bei Demons Run Amok Entertainment)
Die Erde brennt, ein Feuer aus Gier und Ignoranz Gelegt von Menschenhand, im Größenwahn maßloser Arroganz Für den Profit, die Natur ausgebeutet und zerstört Vom Egoismus getrieben, genommen, was uns nicht gehört Wir reden immer nur vom Welt-Verändern, doch erst müssen wir uns ändern! (Weil Die Erde Brennt, B-Seite, Die Dorks)
Am Morgen erwachte Ratte mit einem Brummschädel. Er hatte Kopfschmerzen und ihm war leicht übel. Neben seinem Lumpenlager sah er Reste angefressenener, vergorenener Apfelstücke liegen. Wenn man Obst zerkleinert mit Trockenhefe ansetzt und als Maische an einem warmen Ort ziehen lässt, zerfällt der enthaltene Fruchtzucker zu Alkohol. Ratte rülpste! Er hatte das Rezept von seiner Freundin Hofratte, die im Keller einer Kneipe residierte. Das bisschen Schimmel oben auf der Maische hatte ihn nicht gestört. Oder bekam er etwa grad die Rechnung dafür? Sein Magen grummelte eingeschnappt.
Er schielte zu dem Lumpenhaufen rüber, in dessen Innern tief verkrochen Hamster schlief. Sie hatte mal wieder die ganze Nacht durchgemacht auf dem Laufband, das den uralten Kompaktplattenspieler inklusive Radio und Verstärker betrieb. Die ganze Plattensammlung rauf und runter hatte sie gespielt, nachtaktiv und wahnwitzig, wie sie war.
Ratte wusste genau, er würde sie nicht vor nachmittags zu sehen bekommen. Er hielt sich stöhnend den strubbeligen, schmalen Kopf, blinzelte mit den schwarzen Knopfaugen und stand wankend auf. Was für eine Nacht!
Er konnte sich nicht mehr genau erinnern, wieviele Platten Hamster aufgelegt hatte. Aber eines wusste er noch ganz genau: Sie hatte immer wieder von der neuesten Dorks-LP „Geschäftsmodell Hass“ einen Song wiederholt. Sobald der Song vorbei war, sprang sie vom Laufband und bewegte die Nadel zurück auf dieses Lied: „Nein sagen.“ Der Song startete durch mit einem metallenen, zuckenden Gitarrenriff, es setzten die ersten Drumbeats ein – Pause – dann ging’s erst richtig los und der hämmernde Rhythmus schraubte sich tief ins Ohr, dazu die super Stimme von Frontfrau Liz (hier im Interview mit Vinylkeks zum Album):
Willst du nicht mehr Geld verdienen? Nein! Willst du nicht zu den Reichen und Schönen? Nein! Willst du dich nicht mal anpassen? Nein! Willst du dich nicht mal hübsch für mich machen? Nein! Denn ich brauch dich nicht! (Nein Sagen, B-Seite, Die Dorks)
Am Ende heulte noch einmal Lizals schrill wiehernde Metal-Gitarre im Riff auf, das wie eine
Leitstute im Kampf für ihre Wildpferdeherde klang.
Es war Winter und Ratte fröstelte jetzt in der unbeheizten Abrissbaracke, in der sie in einem winzigen Räumchen ihr Lager aufgeschlagen hatten.
Er zog seinen Wollmantel zu, während er die Nase kräuselte. Dann schnupperte er in die Ecke mit den Speiseresten, die sie gesammelt und gebunkert hatten. Nichts davon erschien ihm heute früh wirklich appetitlich, wie sein rebellierender Magen unterstrich.
„Naja, gut, irgendwas muss ich ja essen“, murmelte Ratte. Mit spitzen Pfötchen wählte er einen angebissenen Cheeseburger, der zwar schon seit drei Wochen im Vorratslager lag, aber rein äußerlich noch aussah wie am Tag, als er ihn auf der Strasse gefunden hatte. Top konserviert!
Während er sein Frühstück hinunterwürgte, überlegte er, „Ich brauche dringend mal frische Luft!“. Auf allen Vieren krabbelnd, denn auf zwei Beinen fühlte er sich grad noch zu unsicher, begann er den Weg durch die zerstörten Zimmer der Baracke nach draußen aufzunehmen.
Als er an das zersplitterte Fenster gelangte, dass ihm und Hamster als Haustür diente, erschrak er zutiefst. Im Vorgarten des verlassenen Objekts war eine tiefe, fluchende Stimme zu hören. „Durch dieses Drecksgrünzeug kommt man echt nicht durch! Vollkommen dichtgewachsen, diese Bruchbude! Wird Zeit, hier mal aufzuräumen!“
Dann sah Ratte die fette Nacktkatze in orange-grüner Arbeitskluft. Sie kauerte auf den Knien und riss das Unkraut mit den Krallen heraus, während der Blick auf ihr Hinterteil mit dem blau tätowierten Arschgeweih frei war. Im Gras neben ihr lag etwas sehr großes, weißes, flaches.
„Wer oder was ist das?“, brabbelte Ratte nervös. Rechts sah er jetzt zusätzlich ein abgestelltes Fahrzeug mit gelben Lichtern auf dem Dach am Gehweg vor der Baracke parken, in dem eine blaugraue Perserkatze mit orangener Weste und Schirmmütze saß. Ein bläuliches Rechteck, wie von einem Handybildschirm, leuchtete in ihren grün phosphoreszierend lackierten Krallen. Sie gähnte gelangweilt, leckte über eine unordentliche Fellsträhne an ihrer Schulter und interessierte sich nicht im geringsten für ihre Kollegin.
Rattes Hals wurde unweigerlich eng vor Panik. Diese Katzen wirkten höchst bedrohlich auf ihn. Normalerweise hasteten Hauskatzen nur an dem zerfallenden Abrissobjekt vorbei. Wenn sie es jemals eines Blickes würdigten, dann liefen sie schlagartig schneller, um so weit wie möglich von diesem verfallenden Ort wegzukommen. Sie wollten hin zu ihrem heimeligen Ofenplatz mit Kuscheldecke und Dosenfutter. Das war genau in Hamster und Rattes Sinn.
Dieser Besuch hier war hingegen überhaupt nicht in Hamster und Rattes Sinn. Die faltige, fremde Katze in Orange-Grün war jetzt damit beschäftigt, das weiße Schild im überwucherten Vorgarten aufzustellen, das zuvor im Gras gelegen hatte. Auf dem Schild war die Zeichnung eines mehrstöckigen Gebäudes und die eines smart dreinblickenden Eichhörnchens mit Brille abgebildet, quer darüber stand in roten Lettern: Hier entstehen Büroräume.
Ratte schaute verwundert auf das Schild. Er verstand nichts von all dem, was die Eichhörnchen sich einfallen ließen, um noch effizienter arbeiten und sparen zu können. Er wollte auch trotz seines spartanischen Lebens keinen Job bei ihnen, auch wenn sie gut zahlten. Unmöglich konnte er sich vorstellen, dass Eichhörnchen hier Büros bauen wollten. Er schüttelte missbilligend den schmerzenden Kopf und dachte an die Lyrics von den Dorks:
Ganz egal, wo ich auch hingeh', überall herrscht nur Zwang Doch ich will Freiheit nur ganz oder gar nicht! Ich mach' mich unbeliebt! Und ich scheiße auf euren Zwang! Und mach' mich unbeliebt! (Unbeliebt, B-Seite, Die Dorks)
Die Bauarbeiterin war jetzt fertig, zog ihre Handschuhe aus, ruckelte prüfend an dem Schild, nickte zufrieden, ging zum Fahrzeug und fuhr davon. Ratte blieb zurück und blickte dem Fahrzeug hinterher.
Etwas in Ratte wehrte sich gegen das Erlebte und ihm kam unwillkürlich ein Lied der Dorks vom gestrigen Abend in den Sinn. Leise und dann immer lauter werdend begann er erst zu summen und dann zu singen:
Komm, leg alle Selbstzweifel ab Nicht du bist hier fehl am Platz Doch wer versucht dich zu zerstören Ist der, der hier nicht hingehört (Niemals Fehl Am Platz, A-Seite, Die Doris)
Er sah ziemlich irrsinnig dabei aus, denn er spielte Luftgitarre als Hommage an das doppelt gelegte Gitarrenriff aus dem Song. Nun trommelte er sogar noch die tighten Drums mit einem Stock auf dem maroden Gartenzaun, -peng, peng, bäm!-, und schrie jetzt den Refrain heraus: „Du bist niemals fehl am Platz!“
Das tat gut! Musik war die beste Hilfe in solchen Momenten.
Dann tapste er langsam los Richtung Plattenladen CATEX, um Hamster eine Freude mit einer gestohlenen Vinyl zu machen.
Dort angekommen huschte er zusammen mit einem großen, schlaksigen Kater in abgetragener Lederjacke unbemerkt in den Laden und versteckte sich unter einem Regal. Der Kater strolchte zielstrebig zur Ladentheke, ließ sich eine CATEX Katzenmilch-Pulle (Homebrew Grizzlybärenmarke) geben und stieß an. Dann begann er ausführlich zu fachsimpeln über Hardcore, Punk und Metal.
Niemand beachtete Ratte unterdessen, sodass er sich schnell eine Vinyl schnappen konnte und rausstürzte, sobald sich die Ladentür erneut öffnete.
Er taumelte, immer noch etwas schwach auf den Beinen und völlig zerzaust vom aufkommenden Winterwind, so schnell er konnte zurück zu Hamster. Glücklich über seinen Erfolg hatte er den Kampf-Song der Dorks als Ohrwurm: „Du bist niemals fehl am Platz..“
Als er jedoch zur Baracke gelangte sah er schon von Weitem am Straßenrand Baufahrzeuge parken. Im Vorgarten schlichen viele große, kräftige Katzen mit blauen und weißen Helmen auf und ab.
Ein Radlader walzte sich auf dem Grundstück hin und her und räumte den Weg zum brüchigen Gebäude für die Abrissbirne frei. Ratte schrie unterdrückt auf. Wo war Hamster? War sie etwa noch in der Baracke oder hatten die Katzen sie gefunden und aufgefressen?
Er versteckte sich unter einem parkenden Auto und lugte ängstlich darunter hervor, um die unheimliche Szene zu beobachten. Seine Schnurrhaare zitterten vor Wut.
Jemand rief nach einer gefühlten Ewigkeit: “Alles klar, Feierabend, Schluss für heute, morgen können wir die Hütte endgültig platt machen!“
Ratte traf schier der Schlag, als er die Worte begriff. Dieses Mal quollen ihm Tränen aus den kleinen, schwarzen Augen. Er musste sich sehr zusammenreißen, um ja keine Geräusche zu machen und entdeckt zu werden.
Nachdem die Katzen den Ort verlassen hatten, begab Ratte sich so schnell er konnte in die Baracke und eilte durch die zerfallenden Gänge und Zimmer zum Geheimversteck. Sein Herz pochte wild, als er in die Dämmerung mit matter Stimme rief:“ Hamster? Bist du da? Wo steckst du!?“
Nichts, keine Antwort. Ratte wurde jetzt Angst und Bange, er sprang zu Hamsters Lumpenhaufen und riss die Plünnen beiseite.
Dort lag Hamster eingerollt und blinzelte ihn verpennt an. Sie motzte aggressiv: „Hey, was soll das? Hast du sie noch alle?“ Grimmig riss sie die Altkleider an sich zurück und verkroch sich wieder darunter, um weiterzuschlafen. Ratte lachte zuerst erleichtert, dann wurde er ernst. “Hamster, wir müssen hier abhauen. Die Katzen werden morgen kommen und unser Zuhause zerstören.“ Hamster war schlagartig wach und sagte, „Was soll das heißen: zerstören?“
„Die Baracke wird morgen abgerissen für neue Bürogebäude. Wir müssen hier ausziehen,“ sagte Ratte. „Ausziehen? Aber was wird dann aus unserer Musikmaschine?!“, wollte Hamster ungläubig wissen.
Sie schauten beide rüber zu der Konstruktion aus Zahnrädern, Kabeln, Keilriemen, Kompaktplattenspieler und Laufband.
„Wir müssen alles abbauen. Vielleicht können wir es zu Hofratte in den Keller bringen, das ist das Einzige, was mir spontan einfällt.“
„Ich habe total Schiss, dass es schiefgeht!“, stöhnte Hamster. „Und ich erst!“, flüsterte Ratte leise. Dann nahmen sich Ratte und Hamster gegenseitig in den Arm. Hamster stieß an die Vinyl unter Rattes Mantel. „Was hast du da für eine Platte?“ „Ach, die habe ich heute für dich geholt, sollte ne Überraschung sein.“, stammelte Ratte verlegen.
„Komm, lass uns sie wenigstens einmal hören, bevor wir alles zerlegen,“ sagte Hamster. Aber Ratte hatte schon wieder die LP aus schwarzem Vinyl von den Dorks aufgelegt und rannte bereits auf dem Laufband los. Die Keilriemen und Zahnräder setzten sich in Bewegung und die Platte begann sich zu drehen, Musik erklang.
Ein Sound aus Punk, Metal und Hardcore mit einer glasklaren, weiblichen Gesangsstimme. Die Stimme war ungewöhnlich rein, harmonierte mit den bissigen metallastigen Gitarrenriffs:
Vielleicht haben wir nur noch ein paar Tage Drum lass uns füreinander da sein Lass uns in den Armen halten Denn vielleicht sind wir morgen schon allein Sagt euch einander nur oft genug Wie lieb ihr euch habt Denn sonst nehmt ihr das vielleicht Mit in das kühle Grab (Seid Gut Zueinander, A-Seite, Die Dorks)
Hamster konnte sich für einen Moment vorstellen, dass die Sängerin als Kind Schlagersängerin werden sollte. Allerdings standen dazu die knallharten, kritischen Texte im Kontrast. Liz, die Frontfrau der Dorks, sang Hamster und Ratte direkt aus der Seele. Die beiden fühlten sich mutiger mit jeder Sekunde, die die Platte spielte. Sie waren nicht allein, sie hatten sich, das war sicher.
Als am Schluss der A-Seite der Song „Wer nimmt mir die Angst?“ lief, wurde es Ratte beinahe zu emotional, aber er schluchzte befreit auf. Der ganze Stress und die ganze Angst dieses schrecklichen Tages wurden weggefegt, als Liz einzig begleitet von einer Westerngitarre sang:
„Und dann verlier' ich meine Angst, denn jemand nimmt mich an der Hand Und will, dass ich für ihn da bin Und ich vergesse meine Angst, weil ich für jemand da sein kann Gebe meinem Leben neuen Sinn Komm ich nehme dir deine Angst, wenn du es grad nicht kannst Weil ich verstehe, wie es dir grad geht Komm, ich nehme dir deine Angst, dass du die Welt ertragen kannst Und wir gehen den alten Weg, solange wir noch hier sind“ (Wer Nimmt Mir Die Angst, A-Seite, Die Dorks)
Hamster sah Rattes komischen Gesichtsausdruck, hopste zum Laufband und rief: „Hey, ist doch klar, wir halten zusammen! Lass uns loslegen und retten, was zu retten ist!“ „Ja, lass uns hier raus!“, sagte Ratte und stieg vom Laufband.
Dann begannen beide, ihre gemütliche Höhle auseinanderzureißen. Alle Kabel, Zahnräder, Keilriemen sowie Plattenspieler und Lp’s wurden hastig und chaotisch in leere Kartons, Papiertüten und Stoffbeutel gestopft.
„Wie sollen wir das nur jemals alles schaffen? Bestimmt geht die Hälfte kaputt!“, wimmerte Ratte.
Sie verstauten am Schluss eilig ihr gemeinsames Hab und Gut in einem klapprigen, alten Einkaufswagen. Was nicht mehr in den Einkaufswagen hineinpasste, wurde in Plastikbeuteln außen drangehängt, bis er vollkommen überladen war. „Ich bin sooo müde, Ratte!“, seufzte Hamster, was wirklich ungewöhnlich für sie war. Aber es war klar, sie mussten noch heute Nacht ihr Lager verlassen. Und so standen sie mitten in der Nacht, kurz nach zwei Uhr auf der nebeligen, kalten Straße vor ihrem ehemaligen Zuhause. Ratte eng in seinen Wollmantel gewickelt, Hamster mit ihrem schwarzen Frotteestirnband weit in die Stirn gezogen.
Tief in einem Gebüsch auf dem Abrissgelände hinter ihnen glommen zwei Augenpaare im Dunkeln. Hamster und Ratte waren immer sehr vorsichtig gewesen, heute Nacht waren sie jedoch komplett in ihre Flucht vertieft und bemerkten ihre Feinde nicht.
Der Einkaufswagen war schwer belastet, die Räder schlenkerten widerspenstig in alle Richtungen und blieben an jeder Kante des Gehwegs hängen. Ratte und Hamster keuchten vor Anstrengung und entliessen kleine, weiße Nebelfetzen aus ihren Mäulern, die verloren in die kalte Nacht wehten, um sich dort in der Dunkelheit aufzulösen. So setzten sie sich in dieser eisigen Winternacht in Bewegung, um ihr Zuhause zu verlassen, im Ohr noch den Rocksound der Dorks.
Was soll hinterm Horizont sein, wenn davor nichts ist?
Ja, was soll hinterm Horizont sein? Nichts!
(Hinterm Horizont, A-Seite, Die Dorks)
Welche LP Ratte im Plattenladen mitgehen lassen hat, ob sie diese jemals wieder hören können auf ihrer Soundmaschine oder ob sie vorher von Katzen gefressen werden, erfahrt ihr in der nächsten Rattster-Folge, wenn es wieder heißt: Hamster und Ratte, hören gerne Platte.
Alle anderen Folgen von Rattster könnt ihr hier nachlesen und erfahren, was bisher geschah oder wie die Story weitergeht:
Die neueste LP von den Dorks, die Hamster und Ratte heute gehört haben, könnt ihr euch übrigens hier bei CORETEX Records holen.
Video: Die Dorks – Nein sagen