Auch wenn viele Frauen unserer Interview-Reihe schon lange im Business sind, wollen wir auch jüngere Generationen an dieser Stelle zu Wort kommen lassen. Heute steht uns Bea aus Berlin Rede und Antwort, gibt Einblicke in ihre Geschichte mit den linksalternativen Räumen Potse und Tommyhaus und erzählt, wie sie zur Feministin wurde. Habt Spaß beim Lesen und werft auch gern noch einen Blick aufs Interview letzte Woche mit der Fotografin Sophia Vogel.
Hallo Bea, als Berlinerin treibst du dich viel im Tommyhaus rum und warst auch in der Potse – die jetzt leider geräumt ist – aktiv. Wie bist du dort hin gekommen und was macht diese Orte für dich so wichtig?
Für Punkrock habe ich mich eh schon seit meinen ersten Green Day und Ärzte CDs interessiert. Mein erster Besuch in der Potse war eher zufällig und ich habe mich total wohl dort gefühlt, bei all den bunten Menschen. Hier konnte ich auch so sein und mich anziehen, wie ich wollte, im Gegensatz zur Schule damals. Mein Freund fing dann an sich dort zu engagieren und Konzerte zu organisieren, da habe ich mitgeholfen, wo ich konnte und habe zum Beispiel mal das Licht bei einer Show gemacht oder am Tresen geholfen. Mittlerweile nach 1 1/2 Jahren Besetzung wurde das Urteil gesprochen, dass die Potse die Räume verlassen muss – ohne Alternativräume. Damit und mit dem Drugstore (dem Laden, der neben der Potse war) sind super wichtige Läden in Berlin weggefallen und viele Jugendliche sitzen quasi auf der Straße. Im Tommyhaus habe ich mit Freunden zuerst ab und zu Konzerte besucht und dann haben mein Freund, ich und zwei weitere Freunde angefangen dort Shows zu veranstalten. Die Leute da sind einfach super nett und freuen sich, wenn wir dort etwas machen, auch die Konditionen sind super, deswegen ist es unser Stammladen geworden :). Ich mag es einfach an diesen Orten, Potse, Drugstore, Tommyhaus und vielen weiteren linken alternativen Läden, dass die Laden-Politik so klar ist und sie versuchen Safe-Spaces für alle zu sein.
Echt schade um die Potse, hoffen wir, dass nicht noch mehr Räume folgen. Du bist ja viel im Hintergrund aktiv, machst Merch der Band Mainlined, hilfst beim Bühnenaufbau und der Bandbetreuung – warum nicht selbst mal auf der Bühne stehen?
Also erstmal habe ich riesiges Lampenfieber. Ob damals in der Schule beim Referat oder mit der Musikschule bei Auftritten vor den Eltern von den Musikschul-Kids: Das war alles ganz furchtbar für mich. Ich mag es nicht von allen angestarrt zu werden, ich müsste schon ordentlich einen sitzen haben, um mich auf eine Bühne zu trauen. Dazu kommt, was wohl viel ausschlaggebender ist, dass ich gar nichts so richtig spielen kann. Mit dem Saxophon-Unterricht habe ich schon in der Schulzeit aufgehört, beim Gitarrespielen ist irgendwie nie der Talent-Funke übergesprungen und Singen ist bei mir so lala.
Du machst auch manchmal Licht bei Konzerten. Fühlst du dich da als Frau von Kollegen oder anderen Menschen beim Konzert nicht ernst genommen? Vielleicht gibt es Situationen, die du uns erzählen möchtest.
Uff, ja, ich denke jede weiblich gelesene Person in der Branche/ Szene kennt diese Situationen:
Irgendein random Dude: “Hier der Stecker wird übrigens mit Klemmmechanismus gelöst.”
Ich: *passive aggressive* “ICH WEIß DAS!”
Er: “War ja nur nett gemeint…” *beleidigtes Wegdrehen*
Oder:
Ich: *sitze am Merch*
Random Dude: *eklig grinsend* lächel doch mal, dann kauf ich auch die Platte.
Ich: Das muss ich mir nicht anhören.
Random Dude: War doch nur nett gemeint …
Aber am meisten passiert es mir, dass ich nur als “Freundin-von” wahrgenommen werden. Als das Anhängsel, das mitgeschleppt wird und kein “echter” Teil der Crew ist, sondern nur die “Freundin-von” … So musste ich letztens vier mal (!) wiederholen, dass ich an diesem Abend die Kamera halten würde (wir haben einen Livestream gemacht), die Person gegenüber war dann auch nur so “Achsoo okay, hätte ich nicht gedacht bla bla bla”. Und wenn ich mit meinem (männlichen) Crewmitglied zusammen koche, dann wird er nach den Rezepten gefragt und für das Essen gelobt – nicht ich. In sofern ist es schon oft scheiße eher im Hintergrund zu agieren und nicht auf der Bühne.
Auch wenn “wir” uns als Punkrock-Szene immer so super fortschrittlich fühlen, die Arbeit ist noch lange nicht getan.
Inzwischen hast du auch mit Freunden zusammen die Konzertcrew “dance-our-revolution” gegründet. Was sind deine Aufgabe dort und wie geht ihr mit der Corona-Krise um?
Ja genau, wir brauchten einen gemeinsamen Namen unter dem wir Konzerte veranstalten, weil die Leute immer sehr verwirrt waren, wer wir sind und wie wir zusammengehören 😀 Meine Aufgabe ist oft das Catering, vor Ort zubereitet oder mitgebracht, satte Bands sind meist auch glückliche Bands. Dazu mache ich oft den Einlass und das sogenannte “Feel-Good-Management”, bei dem ich die Bands begrüße, ihnen die Räume und Backstage zeige und auf den Zeitplan achte, aber auch für Fragen im Allgemeinen, wie zum Beispiel wo der nächste Späti ist, da bin. Aus dem Booking hatte ich mich bisher raus gehalten, aber dieses Jahr beim Heart Attack Fest eingemischt, weil ich mehr Frauen* auf der Bühne haben wollte. Unser größtes gemeinsames Projekt bis jetzt war unser 2-tägiges Heart Attack Festival letztes Jahr, das dieses Jahr wieder stattfinden soll, aber leider noch ein wenig in den Sternen steht. Wir mussten auch schon ein paar andere Sachen absagen, z.B. die Release-Show von Mainlined, was sehr traurig war. Dafür konnten die Jungs dann im Tommyhaus im vom Drugstore im Exil organinsierten Livestream spielen. Wir (dance-our-revolution) haben auch selber schon 1, 2 Livestreams mit anderen Bands gemacht. Ansonsten haben wir die Zeit genutzt, um an unserem Heart Attack Fanzine zu schreiben, in dem wir die Bands interviewen, die dieses Jahr spielen sollen (wenn alles gut geht). Das soll vor dem diesjährigen Heart Attack Fest erscheinen, um die Bands und das Fest zu pushen und Sichtbarkeit zu zeigen in dieser Zeit in der viele Bands weniger Reichweite haben, weil sie keine Konzerte spielen können 🙂
Wir drücken die Daumen fürs Heart Attack Festival und haben natürlich auch einen Blick aufs Lineup geworfen, womit wir gleich zur nächsten Frage kommen: Was denkst du sind die Gründe dafür, dass immer noch mehr Männer auf den Bühnen zu sehen sind als Frauen? Und wie denkst du kann man das ändern?
Oh ja, das ist eine gute Frage. In anderen Szenen und Subkulturen – habe ich das Gefühl – sieht das schon viel fortschrittlicher aus. Ich denke, das liegt viel daran, dass im “alt-eingesessenen” Punkrockbereich die Mehrheit der Veranstalter*innen, Booker*innen, aber auch das Publikum männlich ist. Interessant dazu fand ich den Artikel von der Band Lügen zum Ruhrpott Rodeo, in dem genau auf dieses Problem aufmerksam gemacht wird unter dem Motto: fuck your boys club! Wenn ein alter, weißer Mann seit 30 Jahren nur Männerbands mit Pimmelwitzen als Namen bucht, dann ist das schwer ihn vom Gegenteil zu überzeugen. (Hier gehts zu unserem Interview mit Sängerin Sabrina der Band LÜGEN.) Hoffnung habe ich da, was die junge, diverse Punkrock-Szene angeht, die ja auch ganz neue Arten der Vernetzung hat. Ich habe zum Beispiel total viele interessante Bands über Instagram kennengelernt. Mensch muss laut sein und auf Probleme aufmerksam machen, mit dem Finger auf das Problem zeigen und sagen “hier müssen wir etwas ändern”. Vor allem Awareness-Strukturen sollten ausgebaut werden, damit Veranstaltungen wie Konzerte Safe-Spaces für alle sind. Außerdem müssen Musikerinnen ernster genommen und früher gefördert werden.
Und was denkst du, wie sich die Position von Frauen im Musikbusiness in den letzten 10 Jahren generell verändert hat?
Ich bin ja erst Anfang 20 deswegen habe ich da bestimmt nicht so einen guten Überblick, was in den letzten 10 Jahren passiert ist *lol*, aber ich beobachte, wie sich immer mehr junge, diverse Kollektive gründen und finden, die tolle Projekte machen und sich für Gleichberechtigung einsetzen. Besonders aus der LGBTQIA+-Community gibt es Stimmen, die laut sind und werden. Ich denke auch, dass durch entstandene antisexistische Strukturen mehr Frauen* ihre Stimme gefunden haben. Das meine ich nicht nur im wörtlichen Sinne, dass es fantastische Bands mit Frauen* gibt, sondern auch die Awareness geschaffen wurde, dass sexistisches Verhalten nicht mehr toleriert wird und die Stimme gegen Mackers erhoben wird. Das musste ich auch erst lernen bzw. lerne ich immer noch.
Bezeichnest du dich als Femistin? Wenn ja, was bedeutet das für dich?
Ja, mittlerweile auf jeden Fall, aber das war nicht immer so. Im Umkreis meiner Familie und an der Schule, war das nämlich immer sowas wie ein Schimpfwort. Ich brauchte da einen Prozess, in dem ich auch viel von anderen Feminist*innen gelesen und über Intersektionalität gelernt habe. Aber es hat mir auf jeden Fall Kraft gegeben, das zu erkennen, dass ich eine Feministin bin. Wenn ich in einem Wort beschreiben sollte, was Feminismus für mich bedeutet, dann: Solidarität. Oh, nein ich will noch ein zweites Wort dazu schreiben: Freiheit. Uh, oh, Gleichberechtigung, Chancengleichheit und so, ihr wisst schon 😉
Gibt es noch andere Projekte speziell für Frauen im Musikbusiness, die du unseren Leser*innen ans Herz legen möchtest?
Safe Gigs for Women – die sitzen in UK und arbeiten mit Veranstalter*innen und Musiker*innen zusammen, um gegen sexuelle Belästigung und Übegriffe bei Konzerten und Ähnlichem vorzugehen.
Und dann habe ich letztens GRRRL-NOISY kennengelernt, die Jamsessions, die gleichzeitig Vernetzungstreffen sind, in Berlin veranstalten (“Berlin’s WOMXN POWERED HAPPENING”) – (Hier gehts zum Interview mit Kat von GRRRL NOISY.)
Findet man beides auch auf Instagram.
Hast du für die Leser*innen noch eine Botschaft, die du hier gern mit auf den Weg geben möchtest oder etwas, was du sonst noch gern beantwortet hättest?
Also erstmal vielen Dank für die tollen Fragen, Chrissi und dann noch: Seid laut!
Danke für das Interview Bea und viele liebe Grüße nach Berlin!
Ergänzung der Redaktion:
Das Heart Attack Festival wurde auf nächstes Jahr verschoben. Hier das offizielle Statement:
Liebe Menschen, Ihr könnt es euch schon denken: mit schwerem Herzen verschieben wir das diesjährige Heart Attack Fest 2020 auf nächstes Jahr! Unter den aktuellen Bedingungen können und wollen wir das Fest dieses Jahr einfach nicht realisieren. Wir sind sehr traurig und hoffen ihr könnt es verstehen. Auch für uns ist die aktuelle Zeit ohne Live-Musik hart, aber es wäre mit den aktuellen Bestimmungen einfach nicht umsetzbar. Wir haben uns gefreut, dass sich so viele von euch dieses Jahr für unser Line-Up interessiert haben und wenn alles gut läuft können viele der Bands nächstes Jahr wieder dabei sein! Die Freude für nächstes Jahr ist umso größer. Wir halten euch auf dem Laufenden und planen das Fest nächstes Jahr auch für den Spätsommer/ Herbst. Außerdem planen wir schon eine kleine Überraschung für euch … Bis dahin: Stay safe and leave no one behind! Eure dance-our-revolution Crew