Die treue Leserschaft hat wahrscheinlich längst auf das nächste Interview dieser Reihe gewartet. Hier ist es nun. Doch leider ist es auch das letzte Interview – Frauen im Musikbusiness. Unsere Redakteurin, die diese Reihe betreut hat, geht neue Wege und wir sagen Tschüß.
Ob es eine neue Reihe gibt, die Diversität sichtbar macht, wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen. Mal sehen, was unser Team sich ausdenkt. Stay tuned.
Heute kommt ein Interview, auf das sich sicher einige – auch in unserer Redaktion – freuen. Jenny Thiele von FORTUNA EHRENFELD hat mir ein paar Fragen beantwortet und ich bin sehr froh, sie in diesem Kontext interviewen zu können, obwohl wir uns schon vor vielen Jahren zu einer ganz anderen Zeit an einem ganz anderen Ort kennengelernt haben, der trotzdem für uns beide Teil des musikalischen Weges geworden ist – und es war kein Punkkonzert 😉
Vorletzte Woche konntet ihr an dieser Stelle außerdem ein Interview mit Cveti von der Metal Band IRONY OF FATE lesen. Jetzt aber erst einmal viel Spaß mit Jenny!
Hallo Jenny, schön, dass wir dich in unserer Interview-Reihe ein bisschen ausquetschen dürfen. Mit FORTUNA EHRENFELD machst du ja recht erfolgreich Musik – dem ist bestimmt ein interessanter Weg vorausgegangen. Magst du uns ein bisschen was über deine musikalische Sozialisierung erzählen? Wann und mit welchem Projekt standest du das erste mal auf der Bühne? Kannst du dich erinnern?
Vielen Dank für die Einladung zum Interview, ich freue mich dabei zu sein!
Ich stand irgendwie schon immer auf der Bühne, merke ich gerade, im Kindergarten, in der Schule, als Teenie in der Musikschule, bei Theater und Musicalaufführungen und in verschiedenen Bandprojekten. Das hat mir schon immer Spaß gemacht und ich hatte großes Glück ein tolles kreatives Umfeld zu haben, das mich gefördert hat! Mein erster Solo-Auftritt mit 13 war auf jeden Fall spektakulär: „Colors of the wind“ aus dem Film Pocahontas im Altenheim in meiner Heimatstadt vor den mit Messer und Gabel klappernden alten Menschen. Grandios! 🙂
Ich bin größtenteils in der Theater- und Musicalwelt sozialisiert worden, schäbige Bandproberäume mit radioaktiven Toiletten kamen erst später dazu. Das merke ich bis heute, denn ich habe ein Fabel für Theatralik, für das Zusammenspiel der verschiedenen Künste. Das liebe ich einfach. Aber musikalisch und gesanglich wollte ich mich immer weiter entwickeln und habe dann in den Niederlanden Gesang studiert und viel experimentiert. Dort habe ich auch das erste Mal überhaupt eigene Bands gehabt.
Inzwischen füllt ihr recht anständige Hallen – zumindest wenn nicht gerade Corona ist – habt ihr die Lockdown-Zeit genutzt, um neue Songs aufzunehmen, ist etwas geplant? Oder hast du Nebenprojekte vorangetrieben? Wie wird es “nach Corona” weitergehen?
hihi, ja klar, ist was geplant…keep you posted!
Ich muss sagen, mir gefällt das Wort „Nebenprojekte“ nicht, denn für mich ist ja alles hauptsächlich, jedes Projekt hat nur einen anderen Fokus, andere künstlerische Seiten an mir, die ich je nach Projekt auslebe. 🙂
Im Dezember 2020 habe ich das erste AnnaOtta Album mit meiner Kollegin, Irene Novoa, beim Experimental Noise Label Econore digital und auf Kassette veröffentlicht. AnnaOtta ist ein experimentelles elektronisches Musikprojekt, das auf Improvisation und ausschließlich auf unseren Stimmen basiert. Wir loopen, samplen und manipulieren unsere Stimmen und bauen daraus Synths, Beats und Sounds. Wir arbeiten jetzt schon wieder an den nächsten Single-Veröffentlichungen und dem zweiten Album, das auf einer improvisierten Session mit unserer Kollegin und Pianistin Lucia Fumero basiert. Diese Session haben wir im Dezember 2018 live in Barcelona aufgenommen und sie wartet nur darauf produziert zu werden. Jetzt gerade treffen Irene und ich uns nur online, da sie in Madrid lebt, was zwar nicht so toll ist wie in echt, aber trotzdem gut funktioniert. Wir haben schon ganze Arbeitsphasen zusammen gemacht, wobei wir uns jeden Morgen um 9 zum Yoga auf Zoom getroffen haben und dann den ganzen Tag über immer wieder konferiert haben, um den aktuellen Status einer Sound-Recherche oder eines Mixes abzugleichen und uns auszutauschen. Die Pandemie hat uns jetzt gezwungen uns anders zu connecten, was für uns sowie so relevant ist, da wir in unterschiedlichen Ländern leben. Aber ich freue mich natürlich sehr drauf, sie wieder zu sehen!
Außerdem arbeite ich an einem neuen Solo-Album, das ich veröffentlichen werde, wenn es fertig ist 😉
Fortuna Ehrenfeld steht in den Startlöchern, im Sommer Konzerte zu spielen, insofern das möglich ist. Wir sind aber sehr zuversichtlich und scharren mit den Hufen.
Nun gehört ja zum Musikbusiness einiges mehr dazu als nur die Musik an sich zu produzieren. Labelarbeit, Netzwerken, Urheberrechte – also auch viel Bürokratie. Hast du für unsere Leser*innen vielleicht ein paar Tipps aus eigener Erfahrung oder Initiativen, die du empfehlen kannst? Wie bewältigt man die ganze Organisation?
Als Musiker:in finde ich es zum Einen wichtig, alles einmal selbst gemacht zu haben, von GEMA über GVL bis zu Website bauen, Promotexte schreiben, Abrechnungen, den ganzen Kram. In der Zeit, in der ich mein ganzes Booking noch selbst gemacht habe, hatte ich auch einen festen Tagesablauf, bei dem ich morgens Musik gemacht und ab mittags Büro gemacht habe; konsequent, denn es gab immer was, was erledigt werden musste. Für mich war es gut eine Struktur zu haben, die mir half für kreative als auch verwaltungsmäßige Arbeit Zeit zu schaffen. Wenn du sich entscheidest, Musik beruflich zu machen, dann ist es wichtig die Elemente des Business zu kennen und auch mal durchlebt zu haben, denn ich weiß jetzt an vielen Stellen, was für ein Arbeitsaufwand dahinter steht und kann Dinge besser einordnen und nachvollziehen.
Das zweite, was ich dabei gelernt habe und was ich wichtig finde, ist, dass du nur bis zu einem gewissen Grad diese Arbeit machen kannst. Ab einem bestimmten Punkt, brauchst du einfach Menschen, die Aufgaben übernehmen, sei es beim Booking, bei den Finanzen, bei der Promo. Und zwar Leute, bei denen du ein gutes Bauchgefühl hast!
Mindestens seit ich freiberuflich Musik mache, ist es Usus, dass sich Musiker:innen selbst vermarkten und managen, was wie gesagt auch viele Vorteile, aber Limits hat. Als einzelne Person kannst du nicht mit großen Marketing-Kampagnen eines Major-Labels oder auch eines etablierten Indie-Labels mithalten. Wichtiger als den großen Kampagnen oder Strategien dieser Kampagnen, die mit viel Geld finanziert werden, nachzueifern ist, solange noch kein eigenes Team dahinter steht, gute individuelle Ideen zu entwickeln, wie du deine Kunst vermittelst. Immer von dem ausgehend, was deine Message, der Kern deiner Kunst ist.
Wo siehst du Hürden, die Musiker*innen immer wieder begegnen, wenn man ein eigenes Projekt vorantreiben möchte?
Das kann viele Gründe haben und hat oft nur was mit strukturellen Hürden zu tun. Eine Band oder ein Projekt aufzubauen braucht zum Einen finanzielle Mittel, wie jedes andere Unternehmen auch. Das wird vielleicht am Anfang einer Laufbahn als Musiker:in unterschätzt. Kommt das Geld, das du investiert hast, nicht wieder rein, verpufft die kreative Energie oft sehr schnell und die Band wird aufgelöst.
Dann sehe ich auf jeden Fall auch, dass Musiker:innen in ihrer Außendarstellung versuchen etwas zu sein, was sie nicht sind, dass sie, wie eben schon kurz angesprochen, Marketing-mäßig Bands hinterher eifern, die zum einen einfach eine andere Band sind und ihre eigene Darstellung haben und die aber auch ganz andere Strukturen dahinter stehen haben. Das kann man nur sehr schwer als Einzelkünstler:in oder als Band stemmen, wenn da kein Team dahinter steht. Auch das kann zu viel Kraft kosten und die Band löst sich vielleicht auf.
Und zu guter letzt sehe ich auch, dass es vielen Musiker:innen schwer fällt, sich auf eine klare Richtung festzulegen, was ich als jemand, die auch gerne viele verschiedene Dinge macht, gut nachvollziehen kann. Das kann eine Hürde sein, vor allem wenn man am Musikmarkt einen Platz finden und den Lebensunterhalt damit verdienen will. Denn auch dieser Markt verlangt, wie alle anderen Märkte, ein klares Profil, ein klares „Produkt“, damit die Menschen wissen, was sie bekommen. Das turnt viele Künstler:innen ab.
Es kann helfen, sich ganz klar darüber zu werden, was man möchte und sich dann auch der Konsequenzen bewusst zu werden. Möchte ich, dass eine Band meinen Lebensunterhalt zahlt? Möchte ich das mit eigener Musik oder mit Cover-Musik machen? Will ich Geschäftsführer*in einer Band sein? Will ich „nur“ Musiker:in in einer Band sein etc. All diese Fragen gehören zum Musikgeschäft dazu. Aber diese zu beantworten braucht manchmal auch Zeit. Und dann muss mensch sich halt ausprobieren. Da bin ich ja auch ein großer Fan von!
In einigen subkulturellen Szenen wie dem Punkrock wird derzeit wieder in einer etwas breiteren Debatte das Thema Sexismus in Musik und Szene diskutiert. Wie siehts im Indie-Pop-Bereich aus? Kannst du dort ähnliche Entwicklungen verfolgen oder ist das eher gar kein Thema und läuft alles gleichberechtigt?
Auf jeden Fall passiert da was in Sachen Sichtbarkeit von Frauen in der Musikwelt. Es gibt immer mehr Festivals oder Konzert-Reihen, die speziell auf female artists ausgelegt sind. Es herrscht ein Bewusstsein dafür, dass Frauen und auch queere Künstler:innen in der Szene präsenter sein müssen. Ich sehe auch immer mehr Technikerinnen in der Szene, endlich! Aber ich muss sagen, es ist immer noch total unproportional, da viel mehr Männer in der Branche arbeiten (in allen Gewerken) als Frauen. Ich verstehe nicht so richtig warum. Vielleicht fehlt es auch hier an Vorbildern. Aber das ändert sich so langsam!
Bezeichnest du dich selbst als Feministin und wenn ja, was bedeutet das für dich?
Ja, ich bin Feministin. Feministin zu sein bedeutet für mich, unabhängig und mutig zu sein und immer wieder zu hinterfragen, ob die Dinge, vor denen ich Angst habe oder die ich mir nicht zutraue, damit zusammenhängen, dass mir (unterschwellig) eingeredet wird, ich könne das nicht, weil ich eine Frau bin. Außerdem zu hinterfragen, was von mir erwartet wird. Sei es, immer zu lächeln, mich so und so zu kleiden, das und das zu sagen, bis zu einem gewissen Alter das und das erreicht haben zu müssen etc. Feministin zu sein bedeutet auch, anderen Frauen und Männern ein Vorbild zu sein und dadurch zum Wandel in der Gesellschaft beizutragen. Nicht indem ich sage: „Schauen sie mal hier, ich bin Feministin! Toll, oder?“ Sondern, indem ich nach meinen Werten lebe und auf meine eigenen Erfahrungen als Frau vertraue. Außerdem probiere ich immer wieder Neues aus, künstlerisch und im Alltag, um nicht in irgendwelchen Rollen oder Vorstellungen hängen zu bleiben. Ich muss als Feministin und als Mensch immer in Bewegung sein.
Bestreitest du mit der Musik eigentlich deinen Lebensunterhalt und wie hat die derzeitige Pandemie das für dich verändert? Musstest du dich umorientieren?
Ja, ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit Musik und ich musste mich glücklicherweise nicht umorientieren in der Pandemie. Ich lebe alleine und habe keine Familie zu ernähren, das macht die ganze Lage sehr viel einfacher. Außerdem habe ich einige Stipendien bewilligt bekommen, die mir helfen die fehlenden Konzertgagen auszugleichen. Umorientieren nur in dem Sinne, dass ich viel online gearbeitet habe und mein Studio zu Hause ausgebaut habe. Das empfinde ich aber als Bereicherung.
Wer sind deine musikalischen persönlichen Vorbilder? Und warum?
Das gibt’s so viele, aber hier mal ein paar, die mich sehr stark beeinflusst haben oder noch beeinflussen:
Björk mit ihrer eigensinnigen Art zu singen und Texte zu schreiben. Sie entwickelt Soundtexturen und Klänge, die mich total faszinieren.
Camille und Imogen Heap, weil sie so eine Experimentierfreude und Vielseitigkeit zeigen, die ich sehr lebensbejahend finde.
CocoRosie, weil sie Schönheit neu definieren und das typische Bild von Schönheit in Frage stellen.
Nina Simone, weil sie so so unglaublich direkt und unverblümt singt. Weil sie wütend wird auf der Bühne und weil ich ihre Art mag Klavier zu spielen.
Otis Redding, emotional, groovy – bam!
und viele viele mehr….
Gibt es besondere Projekte, Bands, Labels, Kollektive oder sonst irgendwas, was du unseren Leser*innen empfehlen kannst? Willst du noch etwas loswerden, was bisher nicht zur Sprache kam?
Tanzt, Leute! Tanzt!