Auch heute wieder ein super spannendes Interview, diesmal mit Neitschl von den NOWAVES! Wer es letzte Woche verpasst hat, sollte auch unbedingt noch einmal ins Interview mit Franka reinlesen, die nicht nur den YouTube-Kanal “Mädels an die Bässe” betreibt, sondern auch ab sofort mit im Vinylkeks-Redaktions-Team an Bord ist! Jetzt aber zu Neitschl:
Hallo Neitschl, schön, dass du Teil unserer Interview-Reihe bist! Du spielst Schlagzeug bei der Band NOWAVES – wie bist du zum Musikmachen gekommen, warst du vorher in anderen Bands aktiv und kannst du dich noch an deine allererste Bühnenerfahrung erinnern? Wie war das?
Angefangen hat das mit der Musik schon 2005. Ich war befreundet mit Menschen, die schon länger zusammen Musik machten. Ich studierte da zwar schon in Dresden, war aber am Wochenende immer zu Hause in der sächsischen Provinz und der Proberaum meiner Freunde war in einem Sportlerheim im Nachbardorf. Ich habe das bewundert, aber nie wirklich die Ambition gehabt, selber ein Instrument zu spielen. Dann ging einer der Bandmitglieder nach England und die Band lag auf Eis. Der Schlagzeuger wollte gern Gitarre lernen und das Drumset, was dann ungenutzt da stand, lachte mich an. Ich war irgendwie neugierig, hatte mich bisher aber nicht getraut, es auszuprobieren. Dann habe ich mir einfach mal den Achtel-Groove Beat zeigen lassen und schwupp, ich hatte einen Beat produziert! Ein unglaubliches Gefühl, was mich dann zu weiteren Übungen motiviert hat. Ich habe super schnell dazugelernt. Während mein Kumpel also Gitarre lernte, spielte ich dazu Schlagzeug. Wir hatten beide ein ganz ähnliches Tempo und ich muss sagen, dass wohl alleine diese Tatsache dazu geführt hat, dass ich dabei geblieben bin. Niemand wurde unter Druck gesetzt. Wir mussten ja beide viel üben. Das Gefühl, mit anderen zusammen zu spielen und es kommt irgendwie sowas wie Musik bei raus, ist so unvergleichlich und das spornt mich bis heute an! Alleine geübt hatte ich nie, dazu war ich einfach zu faul und es brachte mir nicht dieselbe Freude. Für Punk hats immer gereicht! Als unser Freund aus England zurückkehrte, war klar, dass wir eine Band gründen wollen. Unser Stil war revolutionär! Trashpunkgaragenschlager. Zu poppig für Punk, zu trashig für Schlager.
Das erste Konzert war auf einem Vereinsfest eines Dresdner Sportvereins. Es war … interessant. Das Durchschnittsalter des Publikums entsprach nicht unbedingt unserer Zielgruppe. Ein paar Fans waren trotzdem da. Schade, dass der DJ vermutete, die Leute würden gleich nach Hause gehen und uns daraufhin abwürgte. Dafür brannte dann kurz darauf sein Mischpult. Karma, Baby! Mit den Flying Socks spielte ich insgesamt 11 Jahre, dazwischen gabs noch Devils Dump, eine Drunkabilly-Kombo mit dem Zweck, Konzerte zu spielen, um betrunken zu werden. 2015 haben wir dann die Nowaves gegründet. Zappel hatte schon ein paar Songs fertig und frug mich, ob ich die mit ihm einspielen wolle. Die Beats waren so minimalistisch, dass ich es mir zutraute. Ich war trotzdem übelst schüchtern und hatte Angst, nicht gut genug zu sein. So ein kleines bisschen hält das Gefühl bis heute an. Deshalb nehme ich nach 15 Jahren endlich Unterricht, haha.
Hast du persönliche Vorbilder in Sachen (Frauen/FLINT*)-Punkrock? Wen und warum?
Als ich angefangen habe mit dem Schlagzeug, hatte ich keine wirklichen Vorbilder. Ich habe mich eigentlich auch nie groß mit weiblichen Schlagzeugerinnen beschäftigt. Überhaupt Frauen in der Musik war ein Thema, auf das ich erst ganz spät gestoßen bin. Ich fand die Riot-Grrrl-Bewegung faszinierend. Ich mochte, mit welcher Wut die auf die Bühne gegangen sind, um den Stinkefinger in Richtung Musikmackertum zu zeigen. Spezielle Vorbilder habe ich nicht. Aber besonders bewundere ich Musikerinnen, die mit einfachsten Techniken an ihren Instrumenten, aber mit dem Kopf voller abgefahrener Ideen auf die Bühne gehen und einfach machen! Unkonventionelles, experimentelles und schräges Zeug von Frauen, bzw. FLINT-Personen gemacht finde ich klasse! Da fallen mir grad EAZY aus Leipzig ein, die ich grad sehr feiere. Ich mag Musikerinnen, die einfach alles selber in die Hand nehmen und sogar ihr Booking selbst machen. Dazu fällt mir spontan Neta Polturak, eine Musikerin aus Berlin ein. Aber auch Bands wie die Wrackspurts, die einfach nur ÜBELST nette Menschen sind, völlig uneitel und wirklich jedes Konzert mitnehmen… und wenn man das Equipment eben im Twingo transportieren muss. Meine Freundin Babett aus Berlin, die in der Doom-Band URSULAR singt, bewundere ich, weil sie zeigt, dass Doom eben nicht nur männlich sozialisierten Menschen vorbehalten sein sollte. Historisch und global gesehen feiere ich die Band ESG (gegründet 1978), bestehend aus Schwestern aus der Bronx. Deren Mutter kaufte ihnen Instrumente, damit sie “keinen Blödsinn” anstellen konnten. Und die haben einfach mal so einen revolutionären Nowave-Sound entwickelt. Leider sind sie immer unter dem Radar geblieben, obwohl ihre Sounds ständig von Hip-Hop-Künstlern (unerlaubterweise) gesampelt wurden und sie somit eigentlich weltberühmt sind (ES GIBT SIE IMMERNOCH!). Schlagzeugtechnisch auf jeden Fall ein Vorbild für mich!
Standardfrage: Was denkst du sind die Gründe dafür, dass auf den Bühnen immer noch mehr Männer als Frauen/FLINT* zu sehen sind?
Es ist so nervig, dass die Antwort auf diese Frage eigentlich immer ist, dass es einfach nicht genug Bands mit Beteiligung von FLINT-Personen gibt. Ich kann und will das eigentlich nicht glauben. Wenn man sich die Veranstaltungsformate anschaut, die sich der Verantwortung bewusst sind, auch Musik mit nicht männlicher Beteiligung zu repräsentieren, dann funktioniert es mitunter sehr gut und das kann man im Line-Up dann erkennen. Aber es scheint trotzdem immer so große Mühe zu machen. Es ist nichts, was natürlicherweise zu passieren scheint, sondern weil Menschen sich dessen bewusst sind und danach handeln. Das finde ich schade. Andererseits werde ich auch echt sauer, wenn ich zum Beispiel sehe, dass bei Festivals wie dem Stoned From The Underground EINE All-Female-Band im Line-Up steht…. Da denke ich mir dann so: WIRKLICH? Das ist alles, was die Stoner-Szene zu bieten hat? Nicht ernsthaft, oder? Aber erklären kann ich es mir nicht wirklich. Ich denke, dass diejenigen Männer in der Musikszene, die immer noch denken, eine Art Vormachtstellung einnehmen zu müssen, auf jeden Fall etwas damit zu tun haben, dass sich Frauen weniger auf Bühnen, oder auch zum Beispiel hinters Mischpult trauen. Es ist so lame, wenn du was lernen willst, es aber nur Macker gibt, die es dir beibringen können. Schön, dass man trotzdem immer wieder total liebe und lässige Menschen bei Konzerten trifft. Das Ziel ist ja am Ende nicht, dass man zeigt, dass man der/die Schlaueste oder Fähigste ist, sondern, dass man eine gute Zeit hat und das Beste gibt, um ein cooles Konzert zu gestalten und das Publikum glücklich zu machen. Das sollte man nicht vergessen!
Hast du als Frau im Musikbereich schonmal negative Erfahrungen mit Sexismus oder Benachteiligung gemacht oder hat dir jemand versucht zu erklären, wie du dein Instrument spielst?
Glücklicherweise bin ich größtenteils davon verschont geblieben. Wenn mir mal jemand was erklärt hat, war das meist als ernsthafte Kritik gemeint und nicht, weil ich eine Frau bin. Ich bin bei Weitem nicht perfekt und sehr dankbar dafür, wenn ich Tipps bekomme, sofern sie nicht gerade ungefragt auf mich herabregnen. Es gibt kleine Ausnahmen, die mich frustrieren. Man merkt in Gesprächen schnell, ob Mann gerade denkt, einem grundsätzlich die Welt erklären zu müssen. Nach einem Konzert in Freiberg kam ein Typ auf mich zu und das Erste, was ihm einfällt ist, mir meine falsche Stickhaltung zu erklären. Das sind Momente, wo man den Backstage-Raum zu schätzen lernt. Haha. In einer Kneipe in Saalfeld (es waren offenbar noch nie vorher Frauen auf dieser Bühne gewesen), fragte mich ein betrunkener Konzertbesucher, warum ich denn nicht lache und ob ich keinen Spaß am Spielen hätte. Ich hätte sehr gefühlskalt ausgesehen. Naja, und sie haben an der Bar schon gemunkelt, ob ich als einzige Frau in der Band wohl lesbisch sei. Er teilte mir außerdem mit, dass er sich in seinem Spatzenhirn gefragt hatte, ob ich die anderen in der Band manchmal mit meinem Weiberkram nerve. Ok, da bleiben einem dann schon mal die Worte weg. Achso, am Ende nannte er mich dann gefühlskaltes Schwein, nachdem ich seine Annäherungsversuche abgewehrt hatte. Es war irgendwie lustig seine Ratlosigkeit, gepaart mit einer seltsamen Form des Sich-Zu-Mir-Hingezogengefühltseins in seinen Augen wabern zu sehen. Insgesamt aber eine eher ernüchternde Begegnung.
Bezeichnest du dich als Feministin und wenn ja, was bedeutet das für dich?
Ja, auf jeden Fall. Ich entdecke auch gerade die ganzen Facetten des Feminismus. Es ist so beruhigend für mich, zu wissen, dass es nicht nur eine Form von Feminismus gibt. Jeder Mensch, der für einen Fortschritt bei der Gleichstellung der Geschlechter ist, kann sich irgendwo darin verorten. Ich kann zwar akzeptieren, wenn Leute sich nicht explizit als Feminst*innen bezeichnen möchten, weil sie vielleicht denken, man müsse gleichzeitig Aktivist*in sein. Aber es muss ja gar nicht gleich die Abschaffung des Patriarchats sein (obwohl…eigentlich doch!). Jede Person kann auch durch ihr alltägliches Verhalten und Denken und minimale Änderungen in der Sprache Feminismus mitgestalten und unterstützen. Ich lerne das gerade für mich und habe aber trotzdem übelsten Nachholebedarf. Ich weiß, dass ich mich aufgrund anerzogener Verhaltensweisen auch nicht immer adäquat gegen die Diskriminierungen wehre, die ich beobachte, oder die ich selbst erfahre, möchte daran aber arbeiten, weil es nicht nur wichtig für mich ist, sondern auch für den Fortschritt insgesamt. Ich lese übrigens gerade Bad Feminist von Roxanne Gay. Es geht um Fehlbarkeiten und Unperfektheiten als Feminist*in und die Reflektiertheit darüber.
Du hast auch eine Musiksendung auf Coloradio, dem freien Radio in Dresden. Um was geht es in deiner Sendung, was wird dort besprochen und wie bist du überhaupt dazu gekommen?
Zum Radio bin ich auch wieder aus Neugierde gekommen. Erst wars eine Ringvorlesung zum Thema Radio an der TU Dresden, dann ein Workshop des Campusradios und schwupp, bei der ersten Sendung auf Coloradio wurden wir angesprochen, ob wir nicht Bock auf eine eigene Sendung hätten. Das ging irgendwie viel zu einfach! Seit über 10 Jahren haben wir eine Quatsch-und Musiksendung (ha, noch bevor Podcasts cool waren). Am Anfang gab es Motti, zum Beispiel Musik zu Themen wie Farben, Essen, Gefühle, Babys… Ich habe dann auch die Chance erkannt, Sendungen zu bestimmten Genres zu machen und bin dadurch auf die Riot-Grrrl-Bewegung gestoßen. Heutzutage kommen wir ohne Motto aus. Wir sind zu zweit und wir bringen einfach die Musik mit, die uns grad beschäftigt. Dazu quatschen wir dann einfach vor uns hin. Ich habe gemerkt, dass mein Anteil an Musik von Frauen sich erheblich gesteigert hat! Das ist ja auch eine Chance, die man bekommt und nutzen sollte. Tolle, von Frauen gemachte und unbekannte Musik über den Äther schicken und dadurch vielleicht bekannter machen. Übrigens darf jeder bei uns zu Gast sein! Das Konzept ist, dass man sich selber einlädt 😉 – rADIO³ – Perlen der Popkultur von Over- bis Underground. Die beste Musik, die wahrsten Fakten, die schönsten Gäste.
Du hast außerdem auch Konzerte mit dem Kollektiv “Am Leben vorbei” organisiert. Kannst du uns ein bisschen darüber erzählen und werdet ihr weiter Konzerte organisieren, wenn Corona vorbei ist? Durch was zeichnet sich dieses Kollektiv aus und was bedeutet es für dich?
“Am Leben vorbei” ist ein kleines DIY-Konzertkollektiv in Dresden und hat es sich zum Ziel gesetzt, unkommerziell Konzerte zu veranstalten, auf die alle in der Gruppe Bock haben. Dabei wird beim Booking darauf geachtet, wenn möglich Bands mit Frauen* einzuladen. Außerdem ist ein Ziel von ALV, dass die Konzerte für alle schön werden, das heißt, einen Raum frei von Diskriminierungen zu schaffen, wo man aufeinander achtet. Das Kollektiv gibts seit 2016, ich bin durch Zufall 2017 dazu gestoßen. Ich wurde vorher oft von Bands gefragt, ob ich eine Show für sie in Dresden organisieren kann. Ich habe mich da immer teilweise echt verrenkt, die irgendwo unterzubekommen. Ich habe da sogar mal eine Show illegalerweise in einem leerstehenden Ladengeschäft veranstaltet. Ohne die große Unterstützung meiner Freund*innen wäre das damals nicht möglich gewesen und ich wusste, das würde nicht immer so klappen. Ansonsten war Klingeln putzen bei den Bookern und Clubs angesagt, was in Dresden echt eine undankbare Tätigkeit ist. Die Möglichkeiten sind beschränkt, die Läden meist schon lange mit gewinnbringenden Acts ausgebucht. Ich hatte versucht, last minute einen Ort für zwei Bands zu finden und zufälligerweise suchte ALV noch nach einem Supportact – ZACK! Die Kooperation stand. Und weil ich die Leute sehr mochte und sie mich vielleicht auch ein bisschen, durfte ich dann mitmachen. Das Schöne am Kollektiv ist, dass es eine Möglichkeit bietet, sich auszuprobieren und vielleicht auch mal die Technik für einen Gig zu übernehmen, wenn man Bock hat, oder einen Flyer zu gestalten. Nach Corona wird es hoffentlich wieder losgehen. Mal sehen, wie dann die Kapazitäten so sind, aber beim letzten Plenum hat man gemerkt, dass die meisten immer noch richtig Lust drauf haben.
Corona hat uns das Festivaljahr 2020 genommen. Wie bist du bisher durch diese für die Musik-Branche echt schwere Zeit gekommen? Was treibt man so, wenn keine Konzerte und Festivals stattfinden und worauf freust du dich besonders, wenn es wieder losgeht?
Wir haben echt Glück, dass die Band nichts ist, wovon wir leben müssen. Das heißt, finanziell hat es keine negativen Auswirkungen gehabt, außer dass die Bandkasse natürlich immer mehr geschrumpft ist. Martin, unser Bassist, hat die Zeit genutzt, um unseren Proberaum auszubauen und hat sich dazu ein First-Class-Studio eingerichtet, in dem wir jetzt selber unsere Sachen aufnehmen können. Wir haben an neuen Songs gearbeitet und werden die dann aufnehmen. Es war deshalb nicht ganz so schlecht, dass viele Konzerte weggefallen sind, denn wir hätten sonst die Zeit nicht fürs Songmachen gehabt. Wir vermissen das Live-Spielen trotzdem sehr. Es ist ja am Ende nicht nur das Konzert, sondern auch das Rumfahren, zusammen Blödsinn machen, Freund*innen in anderen Städten treffen und neue Freund*innen kennenlernen, was einem fehlt. Ich habe außerdem Angst, dass wenn die Konzertsaison wieder losgehen kann, es einfach keine Läden mehr gibt, die welche veranstalten. Ich hoffe wirklich, dass sich alle irgendwie durchbeißen können, damit wir uns bald wieder zu guter Musik schweißüberströmt in den Armen liegen können.
Gibt es besondere Projekte, Bands, Labels, Kollektive oder sonst irgendwas, was du unseren Leser*innen empfehlen kannst? Willst du noch etwas loswerden, was bisher nicht zur Sprache kam?
Neben den schon genannten Bands und Projekten möchte ich noch wärmstens empfehlen:
böse&gemein – queer-feministisches all-grrrlz Konzertkollektiv aus Dresden – ich liebe sie vor allem, weil sie ein paar Konzerte für meine Lieblingsrapperin aus New York organisert haben (Miss Eaves – absoluter Hit: Aye Girl) und alles, was “of bits and pieces” in Leipzig so produziert und veröffentlicht, z.B. ganz fresh: ALESK – female raptraphiphop.
Vielen Dank für das tolle Interview, Neitschl!