Auch diese Woche gibt es bei “Frauen im Musikbusiness” wieder ein tolles, langes und sehr inspirierendes Interview zu lesen, diesmal mit Nine von MOLLY PUNCH. Schaut ansonsten auch gern noch einmal im Interview letzte Woche mit Lea von TODESKOMMANDO ATOMSTURM vorbei.
Hallo Nine, vielen Dank, dass du bei unserer Interview-Reihe mitmachst. Nicht nur Nico hatte mir vorgeschlagen euch mal für ein Interview anzufragen, ich habe in letzter Zeit auch immer mal ein paar MOLLY PUNCH Patches aufblitzen sehen. Wie kommst du zur Band, welche anderen musikalischen Aktivitäten oder Bands hast du sonst noch und was war deiner Meinung nach der Anstoß sich überhaupt auf eine Bühne zu stellen?
Ich freu mich sehr, dabei zu sein und darüber, dass es diese Reihe gibt! Vor allem, weil hier nicht nur Musiker*innen Platz finden, sondern auch alle, die drum herum arbeiten und mangels Bühnenpräsenz auch seltener (Interview-)Bühnen bekommen – coole Sache also.
Puh, also: So einen richtigen Anstoß, mich auf eine Bühne zu stellen gab es eigentlich nicht, im Gegenteil, ich hab mich lang und gern davor gedrückt – so richtig Freude daran habe ich erst seit wenigen Jahren. Vorher war das ein fieses, bloßstellendes aber notwendiges Beiwerk, dass es zu überwinden galt und eben das, was man irgendwann so macht, wenn man Musik macht. Und Musik habe ich in irgendeiner Form schon immer gemacht, da hieß es also Augen zu (nicht nur sprichwörtlich!) und durch. Mittlerweile muss ich mich nicht mehr überwinden auf die Bühne zu gehen, es ist hingegen eher schwierig geworden, mich wieder runter zu bekommen. Hab mich hier gut eingerichtet mittlerweile!
Molly Punch gibt es jetzt seit drei Jahren. Faro (am Schlagzeug) und ich haben vorher bereits gemeinsam eine Band gehabt und sind quasi „übrig geblieben“, als diese auseinanderfiel – wir haben weitergemacht und dabei festgestellt, dass wir zu zweit ne ganz andere, spannende Dynamik haben. Die ersten Molly Punch-Songs, die damals entstanden sind, fühlten sich für mich an, als hätte ich endlich die passenden Schuhe gefunden, um loszulaufen.
Richtig losrennen konnte ich dann spätestens, als Sveta (am Bass) mit ihrer Band Lorda Red in unserer Proberaumfamilie auftauchte und mich direkt beim ersten Konzert voll vom Hocker gehauen hat. Die hab ich mir dann geschnappt und plane nicht, sie wieder loszulassen.
Sollten Konzerte wieder ein Ding sein, würde ich gerne mein Kölner Konzertkollektiv GRRRLILLA wiederbeleben, das momentan auf Eis gelegt ist, aber mir sehr am Herzen liegt. Mit Sveta habe ich in den letzten Tagen an Übersetzungen für ihre russischen Songs gesessen, Lorda Red bringen nämlich bald ihre erste Platte raus. Ansonsten nutze ich den Winter, um einen Haufen Solo-Sachen aufzunehmen und lade mir im Frühjahr bestenfalls alle meine musikalischen Crushes ein, damit sie irgendwas dazu einzuspielen.
Kommen wir gleich zum Kern der Interview-Reihe: Wie sieht du die Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Musikbusiness? Fühlst du dich manchmal aufgrund deines Geschlechts benachteiligt oder nicht ernst genommen?
Erstens: Eher mau. Und zweitens: Klar. Obwohl ich mittlerweile keine Geduld mehr für letzteres habe und versuche, mich grundsätzlich und als Musikerin an Orten zu bewegen, an denen das selten passiert. Wenn jemand der Meinung ist, ich mache das ‚gut für eine Frau‘ bin ich schneller weg, als man gucken kann (sofern es mir möglich ist). Dafür ist mir meine Zeit zu kostbar.
Ich spiele in Bands vor mich hin seit ich 14 bin, die meiste Zeit davon in Konstellationen, in denen neben mir nur Cis-Männer spielten. Ich habe große Teile meines Teenager-Daseins damit verbracht, so wenig Mädchen wie möglich zu sein, um bloß cool und tough und gut genug für die Musikwelt zu werden und diesen Zusatzstempel, der einem als Frau* verpasst wird, abzuschütteln. Hat nie was gebracht, ich wurde trotzdem nicht in Backstagebereiche gelassen, weil die bloß „für Bandmitglieder und nicht für ihre Girlfriends“ waren, musste mir sexistische Zurufe beim Aufbau anhören oder mir erklären lassen, wie mein Amp funktioniert.
Gott sei Dank wurde mir irgendwann eine selbstgebrannte CD zugesteckt (danke, Sarah, wo immer du auch bist) auf der sich Bikini Kill, die Distillers und Sleater Kinney tummelten und merkte schnell, dass es abseits des immer gleichen Boysclubs und seiner Attitüden viel viel Spannenderes gibt.
Und was Gleichberechtigung angeht: Es ist völlig egal, ob es um Tontechnik im Jugendzentrum, die Grammys oder das Line-Up vom Ruhrpott Rodeo geht: Überall Typen, soweit das Auge reicht. Und weil die Menschen in den entsprechenden Positionen auch Typen sind, reicht der Blick oft nur ganz bequem bis zum eigenen Tellerrand. Diese Ignoranz ist nicht nur benachteiligend, sondern auch schlichtweg traurig, weil dadurch so viel (!) gute Musik und Arbeit unsichtbar bleibt – ob von FLINT* Personen, Personen of Color oder Menschen mit Behinderung zum Beispiel.
Und was denkst du sind die Gründe dafür, dass immer noch weniger Frauen als Männer auf den Bühnen zu sehen sind? Was denkst du, wie man das ändern kann?
Da gibt’s viele gesellschaftliche und strukturelle Stellschrauben natürlich. Am einfachsten geht das vermutlich trotzdem, in dem die, die bereits auf den Bühnen sind und die, die Bühnen befüllen, Platz machen. Es braucht Repräsentation und Diversität, damit andere sich repräsentiert und ermutigt fühlen können und nachrücken. Und dafür muss man so gut es geht versuchen, diskriminierungsfreie Räume zu schaffen. Man muss sich fragen, für wen welche Räume gerade standardmäßig gedacht sind und wie schwer der Zugang zu ihnen für unterschiedliche Personen ist. Und das gilt nicht nur für die Bühnen, auch für den Platz am Mischpult, die Küchen, das Booking, die Reviews, die erste Reihe und so weiter.
Bezeichnest du dich als Feministin und wenn ja, wie setzt du das in deinem täglichen Leben um?
Ja. Obwohl der Begriff eigentlich gar nicht so viel aussagt – manche glauben, als Feminist*in habe man ganz bestimmte Positionen und Meinungen, dabei gibt es die unterschiedlichsten Ansichten unter diesem Dach. Für mich bedeutet es vor allem, Teil einer sozialen Bewegung zu sein, die einerseits anerkennt, das Geschlecht(-sidentität) eine Kategorie ist, nach der die Welt sortiert ist (und zwar unfair) und andererseits versucht, etwas daran zu ändern. Und damit ist man dann eigentlich gut beschäftigt in allen Lebenslagen. Das sieht man vielleicht auch in einigen meiner Songs: Viele Texte sind einerseits sehr persönlich und besetzen andererseits klar feministische Positionen.
Feministin zu sein, hat mir vor allem auch die Augen geöffnet, über meinen eigenen Tellerrand zu schauen und mir meiner Privilegien bewusst zu werden. Barrierefreiheit ist bloß eins von unzähligen Beispielen: Viele, auch kleinere DIY-Venues achten beispielsweise bereits darauf, dass sie für Gäste irgendwie gegeben ist. Aber in wie vielen Läden gibt es auch eine Rampe, um auf die Bühne zu kommen?
Gibt es ein besonders schönes, schlimmes oder einfach sehr großen Eindruck hinterlassendes Schlüsselerlebnis im Konzertbereich, das du hier mit unseren Leser*innen teilen willst?
Als ich das erste Mal einen Song in der Mitte unterbrach, weil ein paar Typen in der ersten Reihe wild pogend zu viel Raum einnahmen, wurde es nach kurzem Geraune nicht nur viel gemischter vorne – es kamen danach mehrere Personen zu mir, die sich ganz aufrichtig dafür bedankt haben. Das war so wichtig! Manchmal muss ich mich daran erinnern, wie viel Macht man mit einem Mikrofon in der Hand hat. Eigentlich absurd, dass es sich so schwierig anfühlen kann, die Klappe aufzumachen, aber es wurden eben nicht alle Menschen mit riesigem Platzhirsch-Ego auf die Bühne katapultiert. Umso schöner, dann zu hören und zu sehen: So etwas lohnt sich wirklich immer.
Ansonsten ermöglichen mir Band und Konzerte vor allem Begegnungen mit tollen Menschen, die in den entlegensten Ecken mit Herzblut Sachen machen – etwas, das ich zurzeit wahnsinnig vermisse. Ich habe so viele engagierte, talentierte Leute getroffen, soviel gute Musik entdeckt, gelernt ohne Ende und mich über alle erdenklichen Dinge austauschen können.
Außerdem wird es für mich immer etwas Besonderes bleiben, wenn die Dinge, die sich hinter meiner Stirn zusammenbrauen, andere erreichen oder bewegen. Das ist eigentlich völlig absurd und jedes Mal schön.
Was denkst du, wie sich die Position von Frauen im Musikbusiness in den letzten 10 Jahren verändert hat? Hast du eine Art “Turning Point” erlebt?
Ich kann nicht viel sagen über das „Musikbusiness“, höchstens vielleicht übers (pop-)kulturelle Klima insgesamt oder über die Räume, in denen ich mich so bewege. Und klar, da hat sich viel getan in den letzten Jahren. Vieles von dem, was ich früher für selbstverständlich hielt (‚boys will be boys‘-Mentalität und sexuelle Übergriffe zum Beispiel) wird heute weitestgehend als das betrachtet, was es ist: absolut inakzeptabel. Es gibt trotzdem noch genug zu tun.
Für mich hat vermutlich vor allem das Internet den „Turning Point“ hervorgekitzelt und mir ein erstes Bewusstsein dafür eingetrichtert, dass die Dinge eben nicht so laufen müssen, wie sie laufen. Damals waren das Blogs, heute ist es Social Media – das alles hat nicht nur verändert, wie und welche Musik wir hören und was wir dafür zahlen oder eben nicht, sondern auch die Art und Weise, wie soziale Fragen und Bewegungen Fahrt aufnehmen, an Relevanz gewinnen, wie man sich vernetzt und so fort. Aber eben auch: great power, great responsibility und so – dass das auch ganz schön schiefgehen kann, sieht man auch an aktuellen Entwicklungen.
Wie findest du die Idee Jam-Sessions für “Girls Only” zu veranstalten? Grund zu einer größeren Diskussion?
Finde ich großartig. Ich höre immer noch Leute über safe spaces meckern oder diskutieren, weil diese angeblich mehr „trennen“ als „zusammenführen“. So ein Bullshit. Die ganze Welt ist mehr oder weniger ein safe space für weiße Cis-Männer (zumindest für die, die sich mit den dazugehörigen Stereotypen identifizieren können) und das gilt eben auch für die Musikbranche. Bevor man sich gleichberechtigt und selbstbewusst dazu mischen kann, braucht es Räume, in denen sich Menschen treffen können, die ähnliche Erfahrungen gemacht oder eine ähnliche Lebensrealität haben. Orte, an denen man sich nicht beweisen muss, genauso gut zu sein, wie die Jungs, in denen man sich mehr traut und ausprobieren darf. Gegenseitiges Empowerment und Erfahrungsaustausch sind so so wichtig, also mehr davon, bitte.
Kommen wir zu einem heiklen Thema: Was hat Corona für dich als Musikerin verändert? Ist die “Zwangspause” Fluch und Segen zugleich? Was denkst du, wie es danach weitergeht? Wird es überhaupt ein “Danach” geben?
Letztes Jahr haben wir über 60 Konzerte gespielt und viele Pläne gehabt – zum Beispiel unsere Releaseparty, die Anfang April, also ganz pünktlich zum Lockdown, hätte stattfinden sollen. Jetzt sitze ich da, wie eben alle gerade sitzen: Viel Zeit zum Nachdenken und viel Zeit für Songwriting, die sich doch eher wie Fluch als Segen anfühlt. Obwohl so auch viele Dinge an einen neuen und vielleicht besseren Platz fallen konnten.
Die Lockdowns haben mir vor allem nochmal gezeigt, wie wertvoll der Austausch mit anderen Menschen für mich geworden ist. Genauso Begeisterung und Leidenschaft mit anderen zu teilen – und nichts Anderes macht man ja im besten Fall auf Konzerten, ob auf der Bühne oder davor.
Ich hoffe, dass wir am Ende des Jahres zumindest irgendwas über Solidarität gelernt haben. Und etwas darüber, wie relevant nicht nur Care-Arbeit und Pflege, sondern eben auch Kunst und Kultur sind. Neulich hab ich mir in einem fatalistischen Anfall ausgemalt, wie es wäre, im hohen Alter eine der letzten Zeitzeuginnen echter Konzerte gewesen zu sein – tieftraurig wäre das, aber wahnsinnig dankbar wäre ich wohl trotzdem. Damit es dazu nicht kommt: DIY- und Lieblingsläden und -szenen unterstützen, Maske tragen, Abstand halten und eben zuhause bleiben. Und nicht so fatalistisch sein, wie ich beizeiten.
Ich meckere ohnehin auf hohem Niveau – die Pandemie hat die Situation für viele Menschen, denen es vorher schon dreckig ging, rapide verschlechtert. Die Situation an den EU-Außengrenzen ist immer noch katastrophal, es herrscht immer noch Pflegenotstand, viele kleine, unkommerzielle Projekte und mit ihnen Existenzen, stehen vor dem Aus. Das darf auf jeden Fall nicht so weitergehen.
Gibt es noch andere Projekte speziell für Frauen im Musikbusiness, die du unseren Leser*innen ans Herz legen möchtest?
Queers to the front oder Fight like a grrrl Booking setzen sich zum Beispiel für mehr FLINT*-Personen auf Bühnen ein, es gibt es viele spannende Zines, das Mäd Mäm, Lady Fuzz, Okapi Riot oder das Mantis Magazine. Und natürlich das Platypus-Kollektiv <3
Danke für die vielen Tipps! Hast du für die Leser*innen noch eine Botschaft, die du hier gern mit auf den Weg geben möchtest oder etwas, was du sonst noch gern beantwortet hättest?
Nö, jetzt hab ich schon genug gelabert. Aber danke dir, für die Fragen!
Vielen Dank für das Interview, Nine!