Nachdem wir in den letzten Wochen viele Musikerinnen im Interview hatten, wie beispielsweise Celina von THE BLOODSTRINGS oder Katja von den BERLIN BLACKOUTS – machen wir heute mal wieder einen Schritt hinter die Kulissen und begrüßen Karen Dhios, die in Berlin als Tontechnikerin und Musikproduzentin arbeitet. Wie sie ihren Weg beschritten hat und wo sie heute steht, erfahrt ihr im folgenden Interview:
Hallo Karen, schön dich in unserer Interview-Reihe dabei zu haben! Du arbeitest als Tontechnikerin und Musikproduzentin – ein Bereich, in dem man selten Frauen antrifft. Wie bist du zu der Entscheidung gekommen und wie und wo arbeitest du?
Hallo Chrissi, danke dass du mich bei dieser Anfrage ausgewählt hast. Mein Name ist Karen Dhios und ich arbeite hauptsächlich in Tonstudios, im Bereich Aufnahme und Mixing. Als Ergänzung fahre ich mit Bands auf Tour als Live-Mischerin.
Zu der Entscheidung im Audiobereich zu arbeiten (damals war noch nicht klar, was genau) bin ich in der Schul-Zeit gekommen. Nachmittags hatten wir Musikunterricht und ich wollte mich zwar der Musik widmen, aber ich wollte nicht selbst Musikerin sein.
In der Universität der Künste in Buenos Aires habe ich dann Sound für Film studiert und sofort danach eine Ausbildung in Tonstudios für Musik gemacht. Sofort ging alles los. Ich habe einen Job als Assistentin bekommen und bin bis jetzt in der Branche geblieben. Ich arbeite zur Zeit nach Projekt-Anfrage. Ich habe Studios zu Verfügung, wo ich immer nach freiem Platz im Kalender fragen kann, natürlich auch abhängig vom Budget. Post-Produktion und Mischung kann entweder im Studio oder in meinem Zimmer durchgeführt werden.
Kannst du dich an das erste Konzert erinnern, bei dem du den Ton gemacht hast und wie war das für dich?
Das erstes Konzert in meinem Leben vergesse ich nie wieder. Ich war in London, ich kannte die englische Sprache kaum und ich hatte keinen Job und kein Geld mehr. Dazu kam, dass ich nie in meinem Leben Live Sound gemacht hatte. Ich kannte mich damit in der Theorie aus, aber meine Erfahrungen hatte ich nur im Studio gesammelt.
Ich habe zufällig einen deutschen Mann kennengelernt, der seinen Job als Tontechniker nicht mehr machen wollte und er hat mir angeboten mir alles zu zeigen und mir seinen Job zu übergeben. In meiner Karriere war es eine sehr wichtige Regel, alles was mir Weisheit und Wissen bringen würde selbst durchzuführen. Das bedeutet sich weiterzubilden und hauptsächlich auch viele Fehler zu machen und dadurch zu lernen wie man den Job gut machen kann. Ich habe “ja” gesagt und er hat mir alles gezeigt. Am nächsten Tag habe ich das Soundsystem allein vorbereitet und das Konzert gemacht. Ich habe nie in meinem Leben so viel geschwitzt wie auf diesem Konzert. Ich dachte, ich platze. Auf der Bühne war alles mega laut, Rückkopplung, Monitor-Wege und PA-Wege ausgetauscht. Katastrophe. Aber ich habe dadurch viel gelernt und der Club-Besitzer hat mich als fleißig empfunden und mich in den nächsten 6 Monaten immer wieder angerufen bis ich aus London weggezogen bin.
Was bedeutet Feminismus für dich?
Puh, Feminismus ist ein hartes Wort. Feminismus bedeutet für mich: Eine Folge des bedauerlichen sozialen und wirtschaftlichen Umgangs unserer Gesellschaft. Ein Mittel zur Erreichung eines Gleichgewichts.
Das bedeutet für mich, wenn ich denke und bin wie ich idealerweise sein möchte und nicht wie das System mich haben will, dann würde ich meine Einstellung als feministisch betrachten. Das gefällt mir nicht wirklich. Warum sollte meine Meinung und dieser Kampf für Gleichberechtigung radikalisiert werden unter dem Namen des “Feminismus” und nicht als “fair und normal” betrachtet werden?
Also ich finde, dass “Feministin” der neue Name der heutigen “Frauen” ist, weil wir nicht mehr mit der Rolle identifiziert sind, unter der wir seit hunderten Jahren leiden. Ich fand den Begriff Feminismus vor einer längeren Zeit nicht überzeugend, weil es immer mit den Worten “radikal” oder “Bewegung”, “soziale Strömung” oder ähnliches kombiniert wurde. What the fuck? Also, ich finde es wieder ein bisschen witzig, wie ernst Frauen in der Gesellschaft angenommen sind. Es geht ja nicht um eine fucking Bewegung, wie Hippies, oder auch nicht um Extremismus. Es geht im Gegenteil darum, die gleichen Rechte wie unsere männlichen Kollegen zu haben und auch um die gleiche Behandlung als Menschen!
Es ist allerdings nötig “Feministin” zu sein, um unsere Gesellschaft zu re-etablieren. Aber das ist auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Das feministische Denken und auch dort zu wirken, wo auch Cis-Männer beteiligt sind, und zwar die Männer, die sich schämen ein Mann zu sein, wenn sie beispielsweise sehen, wie andere Männer sich bescheuert verhalten. DIESE Männer sind total willkommen mit ihren Beiträgen, bitte.
Was denkst du, warum in deiner Branche so wenig Frauen arbeiten?
Naja, es ist eine relativ neue Branche. Zum Beispiel alle Ton-Engineers, die ich kenne, haben nicht in einer Schule oder Uni gelernt. Sie haben sich alles selbst beigebracht. Viele während ihrer Freizeit und als Hobby. Jetzt ist das eine existierende Branche mit Studiengang inklusive. Mit der Offizialisierung des Berufs kommt langsam der Einschluss der Frauen dazu. Auch wenn wir viel mehr Frauen als vorher sehen, so sehen wir noch nicht genug. Ich glaube, es gibt auch noch von Haus auf und von der Gesellschaft großen Einfluss darauf, welche Berufe Frauen und welche Berufe Männer haben sollten: z.B. Frauen gehören mehr ins Erziehungswesen und Männer eher zur körperlichen Arbeit oder so ähnlich.
Ich habe selber zu Hause von meiner Mutter oft die Frage gehört, warum ich mir einen männlich dominierten Beruf gesucht habe. Ich kann gut nachvollziehen, warum sich manche Frauen nicht trauen in einen Beruf einzusteigen, der voll mit Testosteron geprägt ist.
Fühlst du dich in Anbetracht deiner vielen männlichen Kollegen manchmal ungerecht behandelt? Wie zeigt sich das und was würdest du dir wünschen?
Jetzt nicht so oft wie am Anfang meiner Karriere. Ich denke das Alter hilft auch. Junge Frauen werden öfter frech behandelt und übersehen als ältere Frauen. Traurig.
Also vor 10 Jahren habe ich super schlimme Kommentare gehört von meinem damaligen Chef, sowas wie “Was hast du gemacht (sexuell gemeint), damit die Produktion wieder nach deiner Begleitung fragt”, mit weitaus schlimmeren Wörtern sogar. Oft wurde mein männlicher Kollege immer als erstes angesprochen für organisatorische und wichtige Dinge, auch wenn ich eigentlich die zuständige Person von der Venue oder dem Projekt war. Ich wurde oft nicht wahrgenommen, z.B. als ich in einem Techno-Club als verantwortliche Person für die Technik gearbeitet habe und ich musste einen männlichen DJ ansprechen. Ich wurde angeguckt als ob ich ein Groupie wäre, bis er dann verstanden hat, warum ich überhaupt dort stehe. Ich wurde oft belästigt von Männern, die in einer höheren Position als ich waren. Zum Beispiel wurde ich nach einem Kuss gefragt o.ä., ich wurde oft “Puppe” genannt etc. etc..
Ich habe mir immer gewünscht den Mut zu finden, eine schlagfertige Antwort auf solche bescheuerten Äußerungen zu geben, aber ich war wie versteinert und konnte es nicht. Ich hatte deswegen oft Angst ausgeschlossen zu werden und meinen Job zu verlieren.
Gibt es ein besonders ergreifendes, tolles oder sogar mieses Erlebnis, das du mit Sicherheit nie vergessen wirst?
Ja auf jeden Fall. In der Corona-Zeit habe ich auf meiner Jobsuche meinen Lieblingsproduzenten kennengelernt. Nach diesem Gespräch wurde ich eingeladen als Session-Begleiterin / Assistentin in die Hansa Studios, eine Woche lang. Dieses Erlebnis werde ich nie in meinem Leben vergessen. Ich wollte seit ich in Berlin angekommen bin in die Hansa Studios. Yeah!
Was denkst du wie sich die Position von Frauen im Musikbusiness in den letzten 10 Jahren verändert hat? Hast du bei deiner Arbeit eine Art “Turning Point” erlebt?
Als ich angefangen habe, waren wir so wenige, dass wir kaum Möglichkeiten hatten uns zufällig zu treffen und uns kennenzulernen. Darüber hinaus wenn eine neue potentielle Kollegin angefangen hat und schon eine Frau da war, gab ein bisschen eine Konkurrenz-Dynamik. Die Frau, die schon länger da war, hatte viel gekämpft um ihre Position zu bekommen und hatte das Gefühl, dass es unfair wäre, wenn sie den Job der neuen erleichtert. Dadurch kann ich mir vorstellen, dass viele Frauen diese Frustration nicht “überlebt” haben und einfach aufgaben. Die Frauenquote ist deswegen nur sehr langsam gestiegen. Mittlerweile hat sich diese Art Umgang der Frauen geändert und sie sind solidarischer geworden.
Frage zur aktuellen Lage: Wie verändert Corona deine derzeitige und zukünftige Arbeit als Tontechnikerin?
Corona hat alle meine Jobs versaut, ich war auf Tour mit einer Band und in der Hälfte unserer Tour wurde ab 15. März alles abgesagt. Ich habe mich aber nicht deswegen entmutigen lassen und habe weiter nach Aufträgen gesucht, Leute angeschrieben, etc. etc.. Obwohl ich wusste, dass es kaum Möglichkeiten gibt. Ich habe wunderbare Leute kennengelernt, die in der Branche in Berlin und in Europa arbeiten und letztendlich Arbeitsmöglichkeiten und Licht am Ende des Tunnels gesehen. Also gar nicht mal so schlecht.
Auf welche in der Zukunft liegenden Ereignisse freust du dich besonders? Gibt es etwas, was du unbedingt erleben möchtest, vielleicht eine Band, die du gern mal mischen würdest oder ein Festival, auf dem du gern Ton machen willst?
Ich hab mich immer von der großen “Liga” angezogen gefühlt. Da in Argentinien habe ich als Assistentin angefangen, für Projekte gearbeitet mit einem ganzen Team (Produzent, Engineer, Drum/Gitarren-Doktor, Band und Assistenten). Ich wünsche mir etwas ähnliches weiter zu machen. Also, ich würde mich sehr freuen in einem großen Studio regelmäßig arbeiten zu dürfen. Für Live wünsche ich mir für nächstes Jahr ein Projekt zu finden, mit dem ich auf Tour fahren kann.
Gibt es noch andere Projekte speziell von und für Frauen im Musikbusiness, die du unseren Leser*innen ans Herz legen möchtest?
Ich kenne kein spezielles Projekt, das ich den Leserinnen empfehlen kann. Allerdings kann ich immer empfehlen aufmerksamer miteinander umzugehen. Also die Frauen, die wir treffen, kennenzulernen und nachzudenken, wie wir in Projekten zusammen arbeiten können. Ich gebe oft Jobs an anderen Kolleginnen als erstes weiter, oder ich frage nach einer Zusammenarbeit, wenn die Gage es ermöglicht. Dadurch fördern wir auch der Zuwachs der Frauenquote in der Musikbranche.
Ich freue mich immer mit Frauen zusammen arbeiten zu dürfen.
Hast du für die Leser*innen noch eine Botschaft, die du hier gern mit auf den Weg geben möchtest oder etwas, was du sonst noch gern beantwortet hättest?
Hab keine Angst vor Ehrlichkeit gegenüber selbstbewussten Männern. Dadurch gelingt es ihnen, die Person vor sich abzuschwächen und uns das Gefühl der Minderwertigkeit zu vermitteln. Es geht um ein Verhaltensspiel (tun als ob). Ihr könnt auch so selbstbewusst sein wie sie. Nur muss man diese Glaubwürdigkeit beweisen, also bleibt auch in Übung und seid professionell in euren Tätigkeitsbereichen.
Danke dir für das Interview, liebe Karen!