Heureka, das neue Jahr ist da! Zeit sich von ein paar Altlaste(r)n zu trennen. Rauchen aufhören? Mal kucken…, mehr Sport? Äh, hab keine Zeit! Ein paar, noch von 2024 ausstehende Platten rezensieren? Klingt am ehesten realistisch. Fangen wir mit „Claustrophobia“, dem zweiten Album der Wiener Alternative-Rocker Glazed Curtains an. „Altlast“ ist da natürlich unfair und völlig fehl am Platz, ist das Wort doch recht eindeutig negativ behaftet. Zwar mag der Albumtitel jetzt auch nicht gerade zu Freudentänzen animieren, der musikalische Inhalt dagegen ist trotz teilweise harter, düsterer und (negativ) emotionaler Darbietung als durchweg positiv zu bewerten.
Irgendwie scheint sich derzeit eine Art Neo-Grunge-Welle breit zu machen, so mein Eindruck. Da gibt es beim Rock’n’Roll-Gott Schlechteres, dachten sich womöglich auch Glazed Curtains und sprangen zumindest auf der untersten Stufe des Trittbretts doch glatt mit auf. Allerdings hat das Quartett DEN Sound der ’90er ins hier und jetzt gerettet. „Claustrophobia“ klingt frischer, moderner, vielleicht auch hipper. Ist positiv gemeint. Ich meine da auch ein wenig Placebo rauszuhören, würden diese ihre Alben von einem/einer staatlich anerkannten Rockproduzent*In produzieren lassen. „Claustrophobia“ ist bei allem, was ich der Platte gerade andichten will nämlich vor allem eins: ein amtliches Rockalbum. Für den Titel „Alternative“ vorneweg sorgt neben dem eben gemachten Vergleich auch die wachgerüttelte Erinnerung an die deutschen Alternative-nicht-Könige-aber-vielleicht-Prinzen Slut.
Was mich bei Glazed Curtains mit am meisten beeindruckt, ist der gekonnte und zielgerichtet erscheinende Einsatz von mutmaßlich einer ganzen Armada an Fußtretern. Gepaart mit dem teilweisen Klargesang und teilweise klagenden Geschrei bildet dieser ein Maß an Eigenständigkeit, ohne dass sich die Band durch den immer noch derberen Einsatz von die Gitarre und den Bass entfremdenden Sounds definiert. Das klingt dann teilweise fast schon futuristisch, mindestens aber so, wie ich es oben mit moderner gemeint habe. Und Glazed Curtains tun weiterhin mutmaßlich gut daran, kann es mittlerweile doch zunehmend schwieriger sein, sich als Rockband zu etablieren.
Dazu herrscht dann mitunter die pure Gewalt. Soll heißen, die Chords sind hart und kompromisslos eingedroschen. Kommt auf Platte schon richtig gut, kommt live vielleicht sogar noch besser?! Denn wie inzwischen selbst Plattenladenbesitzer*Innen prognostizieren, werde die Platte zunehmend irrelevanter, wohingegen auch langfristig gesehen das Livemusikerlebnis unersetzbar bleibe. Mag was dran sein, ich persönlich freue mich im hier und heute jedoch sehr, „Claustrophobia“ mein Eigen nennen zu können. Und sollten Glazed Curtains es in absehbarer Zeit auf eine Bühne nahe meinem Standort schaffen, so freue ich mich auch darauf sehr.
Auch das Artwork in seiner Schlichtheit überzeugt mich. Bei all der düsteren Nüchternheit des Motivs strahlt die Farbe weiß doch auch ein wenig Zuversicht aus. Einzig den Bandnamen hätten Glazed Curtains etwas prominenter präsentieren können. Schließlich hätten sie mit dieser Platte alles Recht der Welt, sich mit mehr Selbstbewusstsein zu zeigen. Hinter dem bandeigenen Vorhang zu verstecken muss nicht sein. Gutes bis sehr gutes Rockalbum auf weißem Vinyl, von Tape Capitol Music herausgebracht und bereits seit dem 22.11.2024 u.a. bei jpc erhältlich.