Im Frühjahr 2022 erblickten 38:13 Minuten Fuzzwave aus Köln das Licht der Welt: „A Second“ von Gong Wah. Der Sound erinnert mich sehr an die ersten Shoegaze-Bands der 90er gemischt mit einen Schuß Rave aus Manchester und eben diesem unglaublichen Fuzz-Sound.
Doch das zweite Album von Gong Wah bereitet schon vor der Akustik einen großen Moment der Haptik. Das Frontcover hat genau da ein kreisförmiges Loch, wo das abgebildete Auge die Iris hätte. Im zugeklappten Zustand werden diese Teile des Auges, durch ein Schwarzes Loch und die umliegenden Sterne verdeckt. Klappt man das Cover auf, blickt man auf einen fantastischen Nachthimmel. Die Rückseite des Covers zeigt das Auge geschlossen, so daß die gesamte Rückansicht die obere Partie eines Gesichtes zeigt.
„A Second“ ist auf wunderschöne Art und Weise immer ein wenig zu bittersüß und weich. Wie ein guter Jahrgangs-Rioja spürt man diese Schwere, die sich immer mehr auf den Hörer legt. Als Ausgleich wechseln Gong Wah Atmosphäre und Tempo der Songs. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist der Opener „Heartache Jean“. Ein Song wie eine Praline, außen eine Noiseverpackung, ist das Innere eine Versuchung, die schön nach den Cranberries klingt.
Das folgende „The Well“ ist direkt für das Tanzbein geschriebener Song im Stile von Belly und The Breeders. Einfach eine schöne Perle des Pops. Dann aber geht es endlich in den Weltraum – „Consolation“ ist einwandfreier Space-Rock. Dann wird es aber wieder sehr melancholisch. „Baby, won’t you come Along?“ drückt ordentlich auf die Tränendrüse. Der teilweise gehauchte Gesang sorgt mit der Unterstützung von Chören für die Extraportion Gänsehaut. Spooky.
Auch hier höre ich eine Kristine Hersh oder Tanya Donelly durch. Der Closer der A-Seite packt dann noch mal die Fuzz-Gitarren aus. „Paint my Soul“ handelt von einem Menschen, der Angst und fehlendes Selbstbewußtsein hinter Makeup und Schmuck versteckt.
Der Opener „One fine day” lässt uns wieder im All fliegen. Gleich einem Segelflieger dreht sich der Song langsam aber stetig in die Höhe und geht am höchsten Scheitelpunkt in den Song „The violet Room“ über. Das ist ganz großes Tennis. Ich habe mir die Stelle häufiger angehört, weil ich sie von der Idee und Umsetzung einfach gelungen finde. „The violet Room“ ist Odysee im Weltraum auf Extasy. Wild trudelnd geht es in Lichtgeschwindigkeit durch die Galaxien, bis… ja bis mit „This Life“ die verkehrsberuhigte Zone alles entschleunigt.
„This life“ wurde die erste Single des Albums und ist ein schönes melancholisches Stück, das zudem die wunderschön, traurige Textzeile „This Life could be so much better“ enthält und mit diesem Konjunktiv die Stimmung zum Ende des Albums dimmt. Das fantastische Video dazu, will ich euch nicht enthalten.
Am Ende wird es nochmal traurig. Mit „A Head is not a Home” geht es nochmal in die Schublade Taschentücher. Der Cocktail aus Soul, Pop und Noise lässt wirklich niemanden kalt.
Nina Davari am Bass und Giso Simon an den Drums schieben einen Song nach dem anderen durch das Fuzzgewitter von Felix Will und Thorsten Dohle. Das wirkliche, unverwechselbare Kennzeichen von Gong Wah ist der über allem schwebende Gesang von Inga Nelke.
Tabula Rasa:
Gong Wah haben mit „A Second“ ein Album geschaffen, das mit himmelhoch, jauchzende Fröhlichkeit ausgelassen das Leben feiert, nur um dann in die tiefen, dunklen Täler der Melancholie abzustürzen. Diese Herangehensweise wird über Albumlänge nie langweilig. Ich kann „A Second“ empfehlen. Es paßt hervorragend ins Momentum.
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