Holzkopfkinder haben im Dezember 2022 ein Album mit Namen “Zucker” veröffentlicht. Holzkopfkinder sind ein internationales Musiker*Innen-Duo bestehend aus den beiden sehr aktiven Künstlern Stony Sugarskull alias Monika Demmler (Los Angeles/ Berlin) und Leander Passiv, LeLeander alias Leander Bauer (Augsburg).
Die Dame ist nach eigenen Worten: eine Singer-Songwriterin und ihre gleichnamige Band. Sie ist bekannt für die Vermischung von Genres, die sich durch experimentelles Gitarrenspiel, ihren sehr individuellen Gesangsstil und das Ausbalancieren von Klangfrequenzen auszeichnet. Und auf “Zucker” für die Texte und den Gesang verantwortlich. Im Klartext: Stony Sugarskull ist ein seit 2015 bestehendes Klangprojekt der Dr. (PhD – Doktor:in der Philosophie) Monika Demmler.
Ohne jegliche Angst vor irgendwelchen Genre-Grenzen oder Schubladen, hat die Sängerin in ihrem kreativen Universum schon alle musikalischen Naturgesetze gebrochen. Ihr Stil vermischt auf der Farbpalette Genres wie Punk, Electro, Shoegaze bis Psychedelic und kreiert daraus innovative neue Klangfarben und Stile. Ihre Art zu singen und ihre Stimmlage erinnert ein wenig an Nico von Velvet Underground oder Hope Sandoval, die Sängerin der famosen Mazzy Star. Nach eigener Aussage konzentriert sich Stony Sugarskull, “auf Klangfrequenzen, dass heisst auf Aspekte des Heilklangs und der intergalaktischen Kommunikation über Klang”.
Leander ist gelernter Bäcker und malt und musiziert seit seiner Geburt. Leander’s natürlicher Lebensraum liegt in den Tiefen der Stauden (Naturpark südlich von Augsburg). Gelegentlich agiert er als Discjockey im sagenumwobenen und allerseits beliebten City-Club Augsburg, direkt am Königsplatz.
Man ahnt es schon, hier handelt es sich um ein illustres Pärchen. In der Tat spiegelt sich der Spaß des Duo am Experimentieren und Musizieren auf dem Album wider. Das Vinyl weist äußerlich schon durch seine Farbgebung auf seine Vielfalt hin. Durch Drehung eines Farbkreises, der alle Farben enthält, sieht der Betrachter am Ende nur Weiß. So erscheint es mir nur logisch, dass “Zucker” im reinen weißen Vinyl daher kommt. Vielleicht aber auch nur deswegen, weil Zucker weiß ist…
Holzkopfkinder unternehmen, nach eigener Aussage, “…musikalische Reisen an die unterschiedlichsten Orte”. Stilprägend dabei ist der sehr einprägsame teilweise hypnotische (Sprech-) Gesang von Stony Sugarskull. Diese Stimme schneidet wie ein kaltes, scharfes Skalpell durch den ruhigen Beat-Klangteppich. Das hört sich seltsam an, aber diese Stimme, mit Gänsehaut-Faktor ergänzt sich perfekt mit den monochromen, geisterhaften Beats von LeLeander.
“Ich konzentriere mich auf Aspekte des Heilklangs und der intergalaktischen Kommunikation über Klang“
Monika Demmler (aka Stony Sugarskull)
Der Opener “BENTLEJ” beginnt stilgerecht mit Vinyl-Knistern, kurz gefolgt von einer Gitarre, die an den Glas-Rock von T-Rex erinnert und in Schleife gespielt wird. Dazu kommen der mantra-ähnlich gesprochene Titel des Songs. “I am a Party Girl. A Rock’n’Roller Coaster”, singt Stony Sugarskull und gibt damit bewusst oder unbewusst das Motto von “Zucker” vor, denn es geht hier wirklich auf und ab durch alle Genres. Nur das Tempo ist deutlich gedrosselt.
In “ZEIT” proklamiert Stony Sugarskull ihre Spoken Words und behauptet, dass Zeit ihre Währung sei und sie in Zeit bezahle. Ein sehr gut beobachtete Tatsache, denn was kann man Wertvolleres geben, als die eigene Lebenszeit. Der Song wird untermalt mit minimalen, fetten Downtempo-Beats.
“THE BEAT GOGO” lebt von diesen genialen Beats, die sich als Untermieter in dein Gehör schleichen und dort verbleiben. Der extrem tanzbare Song hat Lyrics, die aus nur fünf Wörtern bestehen und über die gesamte Länge im immer gleicher Stimmlage wiederholt werden. So entwickelt sich eine ganz eigene Wirkung auf Hörer*In.
Danach gehen Holzkopfkinder mit auf “WACHSBLUME” auf eine akustische Reise, die wunderschön sanft und leise beginnt. Die Beats bauen diesen Song ganz behutsam auf, bis bei Song-Halbzeit der Gesang einsetzt. Zum Ende hin entlässt uns “WACHSBLUME” ebenso sanft, wie er begonnen hat. Das Thema der wunderschönen, aber sanft zu behandelnden wächsernen Blume ist hier akustisch sehr anschaulich umgesetzt.
Mit wunderschön, entspannenden Meeresrauschen, von sanft am Strand zerlaufenden Wellen, umhüllt uns “BLAUE AUGEN ZUM OZEAN” am Track-Anfang. Hier arbeiten Holzkopfkinder mit ein wenig verhallter Stimme und Beat-Sequenzen, die in jeder Lounge, Cocktail-Bar oder Meditationsrunde auf diesem Planeten zum Einsatz kommen könnten. Extrem eingängig und dabei doch von innerer Schönheit, die dem Hörer*In genügend interessante ear-catcher bietet.
“GOOSE BUMPS” läutet im Wortsinne das Stück ein, welches mit wunderschönen Zitaten an Shoegaze und Psychedelic erinnert. Diese Genres werden mit den wummernden Beats im Downtempo auf niedriger Temperatur verwoben zu einem tollen Track, der aufgrund seiner Melodieführung schnell ins Ohr geht und dort als Dauergast verweilt.
Der Nachfolger “TELEFON-SKIT” ist ein aneinander gereihtes Sample aus Gesprächsfetzen wie “Ja Ja” oder Gelächter, welches aus Telefongesprächen stammt. Ein sehr experimentales Stück mit Spoken Words ohne jegliche musikalische Untermalung. Eine nette und gelungen kurze Unterbrechung.
Mit “FUTURE BABY” geht es dann erstmal in die House-Spur und damit in ein UpTempo. Der hektische, nervöse Beat steht im krassen Gegensatz zum monoton gesprochenen Text der Sängerin, der auf eine unsicher Zukunft hinweist. In diesem Zusammenhang verlangt Sony Sugarskull des Öfteren “Unblock the Future” und sucht nach den “Flowers in the Garbage”. Eine eher schwierige Zukunft scheint vor uns zu liegen.
“MIND” scheint sich mit dem fehlenden Selbstbewusstsein auseinander zu setzen, denn Text-Fragmente wie “I Apologize” und “Say Self-Consciousness” hören sich irgendwie nach Therapie-Stunde an. Ansonsten hören wir in “MIND” Synthie-Gewitter und andere interessante Effekte, die im gewohnte Downtempo der Beats Akzente setzen.
“HITTENSTEIN” beginnt schön jazzig, mit durch Springbrunnen-Geräusch untermalten Piano-Fetzen. Der entschleunigte Beat bildet den Klangteppich für die langsamen und sehr sporadisch eingestreuten Gesangsfragmente von Stony Sugarskull. Dieser über sechsminütige Track plätschert so hypnotisierend vor sich hin und wird etwa auf der Hälfte von einem kurzen, anschwellenden Beat-Stakkato unterbrochen, bevor er wieder in sein altes Flussbett fällt. “HITTENSTEIN” endet mit einer wunderschönen Kaffeehaus-Piano-Melodie und einer letztmalig erhobenen, leicht verhallten Stimme.
Resümierend finde ich “Zucker” ein “Einerseits-Andererseits-Album”. Einerseits ist “Zucker” auf wundersame Weise aus der Zeit, und jeglichen Stilen, gefallen. Lediglich die Beats bilden das Band um die Songs. Andererseits klingt “Zucker” auch wiederum sehr aktuell, dem Zeitgeist folgend. Diese besondere Magie verzaubert mich auch nach mehrmaligen Durchhören des Albums, welches sowohl als “Hintergrund-Beschallung” dienen kann, aber dem/der Hörer*In auch viele kleine, schöne, aurale Perlen zum Entdecken bietet.
“Zucker” ist ein Album ohne neues Material, sondern eine Werkschau der Holzkopfkinder über diverse Veröffentlichungen aus den Jahren 2015 bis 2021. Dabei können Holzkopfkinder schon aus einem beachtlichen Katalog aus EPs und LPs schöpfen. “Zucker” bietet den Alt-Fans eine gute Gelegenheit, die bekannten und geliebten Songs, mal in einem anderen Kontext zu genießen, und den neugierigen Hörer*Innen einen guten Überblick über das Schaffen der Holzkopfkinder. Wie auch immer – hier geht es direkt zur Bandcamp-Seite zum Bestellen des Rundplastiks.
Am Ende ein Geständnis. Ich konnte mich nur mit Mühe zwingen, keine Zeile zu dem ungewöhnlichen Namen der Band zu verfassen. Aber ein Glück: Ich habe es geschafft.