Das erste Demo mit den Songs Trampoline, Ronsdorf, Schlagring und Fön erschien 2014. Und nun, knapp 10 Jahre später, gibt es die Band immer noch und sie haben ein neues Album namens “Böse Wetter” rausgebracht (29.09.). Dazwischen gab es zwei Veröffentlichungen, die, viel beachtet, doch unterbewertet (meine Meinung), noch nicht den Durchbruch brachten, den ich erwartet hätte.
Ja, es ist besonderer Punk, den die fünf aus Dortmund und Münster da machen. Da steckt viel drin, was aus anderen Genres einfließt. Emo, zum Beispiel. Wer jetzt so Muff Potter oder Captain Planet hört, der kann auch NO°RD hören! Auf jeden!
Nicht nur musikalisch läuft bei NO°RD Besonderes, sondern Sänger und Texter Andi gibt der Band diesen “magic spice”, den nicht alle Bands haben. Nein, er ist nicht besonders expressiv oder aggressiv, an dieser Stelle werden viele Punker dann auch denken “ach komm, noch so ne Jensen-Band, versteht ja eh keiner, die Texte”.
Keine Ahnung, ob das ein gutes Intro ist. Ich empfinde es halt nach 30 Jahren Punk-ZugeHÖRigkeit so, dass das Genre gewachsen ist. Leider auch im kapitalistischen Sinne, so einige verdienen einen nicht ganz schmalen Taler damit.
NO°RD veröffentlichen einmal mehr bei Kidnap Music, die, wie ich finde, die Preise echt moderat halten, fast schon selbstzerstörerisch. Nun die kapitalismuskritischen NO°RD, aber auch mit der Initiative Neustart Kultur obendrauf.
Wir, das sind Andi „Holz“ (vocals) und Andi „Hof“ (bass), werden uns also ein klein wenig über all die angesprochenen Themen unterhalten.
Fangen wir mal irgendwo “vorne” an: Was waren eure Beweggründe, euch 2014 zusammen zu tun?
HOLZ: Liebe zur Musik und Freundschaft: Maik und Willi, unsere beiden Gitarristen, haben zusammen im WG-Zimmer Musik gemacht und brauchten noch ein paar Leute für eine Band. Zuerst sollte es so in Richtung Fliehende Stürme gehen, aber da Willi vor allem auf Ami-Punk steht, hat das auch seine Spuren in der Musik hinterlassen. Hof und Holz kannten sich auch schon vorher, Tim stieß später dazu und wurde schnell ein Freund.
HOF: Holz kenne ich seit 2004, Maik seit 2005 oder so und waren seitdem sehr häufig zusammen auf Konzerten und haben teilweise selber welche organisiert bzw. mitgeholfen. Da ich vor NO°RD in noch keiner anderen Band gespielt habe, hat mich die Anfrage, ob ich dort Bass spielen möchte, doch sehr stark gefreut.
Wie würdet ihr sagen, wart ihr damals und wer seid ihr fünf heute?
HOLZ: Ich würde sagen, damals waren wir überwiegend ziemlich ungebunden, mit dem gemeinsamen Fix-Punkt DIY-Punk/-Hardcore – viel auf Konzerten, viel vor dem Rechner. Das hat sich grundlegend geändert, wir sind alle familiär und beruflich gebunden und auch als Band durch die bald 90 Konzerte und drei Platten sehr zusammen gewachsen. Nur Tim hat es leider woanders hin verschlagen, da ging beides nicht mehr zusammen. Mit Janni haben wir einen neuen Schlagzeuger gefunden, der zwar viel jünger ist als wir, aber mir manchmal schon reifer vorkommt, als ich mich fühle, insofern passt das auch gut.
HOF: Wie gesagt, ist Freundschaft bei uns schon ziemlich wichtig. Zumindest wäre es für mich damals (und auch heute) nicht vorstellbar gewesen, mit fremden Menschen zusammenzukommen, um Musik zu machen. Gerade wenn man auch so viele gemeinsame Stunden im Proberaum/Bühne/Studio/Autobahn verbringt. Dementsprechend waren wir natürlich auch sehr traurig, als Tim die Band verlassen hat. Natürlich musikalisch, weil er auch sehr aktiv beim Songwriting war, aber gerade auch menschlich war das schon ne geile und absurde Zeit. Umso schöner, dass Janni sich in kurzer Zeit so gut einleben konnte und bspw. bei unserem Humor oder unseren ganzen musikalischen/politischen/sonstigen Diskussionen gut mitschwingen kann. In so ne feste Gruppe reinzukommen ist halt auch nicht so leicht und ein bisschen anstrengend sind wir sicherlich auch. Dass er sich in der Kürze auch so viele Songs draufschaffen musste, kommt natürlich auch noch dazu. Großen Respekt dafür!
Ihr habt sicher schon einige Konzerte auf dem Zettel. Ich weiß ja, dass einige inzwischen Väter geworden sind und so tritt man eigentlich ein wenig kürzer mit den Freizeitaktivitäten. Nicht so ihr: Trotz oder wegen Corona nun neun neue Songs auf Platte, jede Menge Konzerte bis Februar 2024, drei Videosingles dazu.
Wahnsinn oder freundschaftliche Euphorie?
HOLZ: Es ist einfach die Erfüllung eines Lebenstraums – eigene Platten, Lieder, Konzerte. Wir haben dieses Jahr ein Album professionell produziert, sind beim “Angst macht keinen Lärm” aufgetreten, das sind unglaublich intensive und im zehnten Jahr nach Bandgründung vor allem nochmal ganz neue Erlebnisse. Dafür bleiben dann natürlich aber andere Freizeitaktivitäten auf der Strecke bzw. die werden dann familiärer. Wenn du dich entschieden hast, eine Familie zu gründen, darfst du die halt nicht vernachlässigen.
HOF: Das stimmt. Ich mache seit Ewigkeiten keinen Sport mehr, habe kaum noch Zeit für meine Playstation und komme jeden zweiten Tag zu spät zur Arbeit. Alle Kräfte schonen für die Familie & die Band. Aber es lohnt sich. Immer wieder. Die Jahre 2019-2021 waren allerdings Band-technisch auch sehr ruhig bei uns. Das fing schon ungeplant ein Jahr vor Corona an, und während der Pandemie haben wir uns als komplette Band auch kaum gesehen. Dementsprechend haben wir jetzt eben sehr viel Bock.
Wie ist euer Album “Böse Wetter” entstanden, gebt uns einen kleinen Einblick in das Tagebuch von NO°RD.
HOLZ: Durch die Pandemie sind die Songs ähnlich entstanden wie schon die Songs des ersten Albums, also mit zuhause aufgenommenen Demos. Als es wieder ging, haben wir die dann im Proberaum gemeinsam ausgearbeitet, erst noch mit Tim, dann mit Janni. Dann gab es eine Vorproduktion dort, und damit sind wir ins Donots-Studio, wo nochmal intensiv an den Songs gearbeitet wurde. Ich war aus familiären und beruflichen Gründen erst dabei, als es an die Gesangsaufnahmen ging, und ich war sehr zufrieden damit, dass die Songs einerseits voller und schöner klangen als vorher, andererseits aber auch noch eindeutig als das zu erkennen waren, was ich aus dem Proberaum kannte.
HOF: 1-2 Songs vom Album sind ja sogar noch vor der Pandemie im Proberaum entstanden. Ein paar weitere wurden verworfen oder haben es so nicht auf die Platte geschafft. Das hatten wir bei den anderen Alben bisher auch noch nicht. Also an kreativen Ideen hat es diesmal jedenfalls nicht gemangelt. Letztendlich wurden dann die besten Songs ausgewählt und im Studio nochmal ordentlich bearbeitet. Es war auch frühzeitig klar, dass wir Bica von Dr. Dosenbier auf dieser Platte wieder dabei haben wollen. Da wurden dann im Studio auch noch mal einige Sachen ausprobiert. Schön, dass alles funktioniert hat, obwohl sich die deutsche Bahn noch extra einige Gemeinheiten für die Zugstrecke Köln-Münster überlegt hatte, um uns in die Suppe zu spucken.
Der Kinderchror war übrigens ne ziemlich spontane Idee beim Einspielen vom Proberaum-Demo. Das hat uns allerdings so gut gefallen, dass wir die Idee dann natürlich auch mit ins Studio genommen haben.
Die Initiative Neustart Kultur kam wann und wie ins Boot? Erklärt uns kurz, was die Idee dahinter ist, bei denen, wie bei euch.
HOLZ: Die Idee bei uns war: Wir wollen etwas Neues probieren, eine professionelle Albumproduktion über zwei Wochen. Dafür braucht man Geld. Weil es offenbar nicht genug Bands mit unfassbar viel Geld gibt, gibt es Fördertöpfe, die dafür sorgen, dass Profis aus der Kulturbranche Aufträge bekommen. Wir haben das als Chance wahrgenommen, an das benötigte Geld zu kommen, und waren damit erfolgreich.
HOF: Und trotzdem mussten wir nach wie vor noch ordentlich was an eigenen Mitteln in das “Projekt Böse Wetter” stecken. Also trotz Förderung immer noch ein sehr teurer Spaß. Dafür ist jetzt alles ein ganzes Stück geiler geworden, finde ich.
Musikalisch sagt ihr, so habe ich es aus unseren Gesprächen und aus einem Artikel genommen, den ich schon gelesen habe, dass euch die Zusammenarbeit mit dem Heavy Kranich Studio in Punkto Songwriting nochmal nach vorn geworfen hat. Herausforderung oder aus dem Ärmel geschüttelt?
HOF: Studiobesuche sind ja immer sehr intensive und spannende Erfahrungen. Musikalisch konnten wir diesmal alle nochmal sehr viel lernen und mitnehmen. Ich persönlich habe in den letzten Monaten so viele Fortschritte am Bass gemacht wie lange nicht mehr davor. Ganz großen Dank an Jan-Dirk, Phil und Guido für die tolle Zeit und Zusammenarbeit. Die Jungs haben sich einfach extrem viel Mühe mit uns und unserer Musik gegeben, teilweise bis spät in die Nacht. Fast noch wichtiger: Es wurde sehr viel gelacht. Von mir gibt es dafür eine 5-Sterne Bewertung bei Google. Der Kaffee war manchmal nicht so gut, aber den haben wir auch selbst gekocht.
Ich finde, man hört die Entwicklung sehr stark. Es sind nicht einfach nur einzelne Riffs, man spürt schon, dass da bei euch ein Griff nach der nächsten Sprosse auf der Leiter ist.
Vor allem der titelgebende Track “Böse Wetter” ist da ein gutes Beispiel.
Wo geht die Reise hin, erwartet ihr etwas oder schafft ihr es, am Boden zu bleiben, zwinker?
HOLZ: Ich finde diese Aufstiegsmetapher nicht so angenehm, obwohl wir uns sicherlich technisch und künstlerisch weiterentwickelt haben. Aber es ist nun einfach etwas anderes, und es gibt sicherlich einige Leute, die unsere alten Alben lieber mögen als unser Neues. Beim Titeltrack wollten wir einerseits in Richtung trockenen Post Punk gehen, konterkarieren das aber andererseits mit dem zuckersüßen Kinderchor am Ende – solche Kontraste sind es ja, die ich an Musik mag.
Erwarten tue ich persönlich lediglich, dass man sich unvoreingenommen mit unserem Album beschäftigt.
HOF: Verteilen Major-Labels eigentlich immer noch 5 Mio-Vorschuss? Dann mal her mit den Angeboten!
Die Texte waren ja von Anfang an, ich lobe sie mal in den Himmel, das Herzstück eurer Musik. Ich erinner mal an “(gaslaterne) wenn ich schon tot wär, müsst ich das nicht sehen”
“(paläste) die fassaden mit der werbung bunt und frei”
Das sind winzige, aus dem Zusammenhang gerissene Satzfetzen, was würdest du, Andi, sagen, gibt es einen großen Überbau für deine Lyrics?
Suchst du dir jedes Thema einzeln?
HOLZ: Vielen Dank, das bedeutet mir viel! Ja, es gibt einen gewissen Überbau – witzig, dass du das Wort verwendest… Es geht mir in erster Linie darum, konkrete Schicksale und Geschichten oder Emotionen mit einem kritischen Blick auf das politische System zu verbinden. Es gibt mir viel, wenn jemand daraus etwas für sich ziehen kann, denn ich bin davon überzeugt, dass politische Agitation über Musik und Gedichte nicht funktioniert, emotionale Anregung und Katharsis für den Moment aber schon – und dass das ungemein wichtig sein kann, um den Kopf frei zu haben für anderes, z.B. für politische Arbeit oder auch nur das Klarkommen in dieser Welt.
Die konkreten Themen liegen auf der Straße oder verstecken sich in meinem Erfahrungsschatz und tauchen zum richtigen Zeitpunkt dann einfach auf.
Lasst uns ein wenig über euer Videoauskopplungen sprechen. Ihr habt euch zusammengetan mit Kay Özdemir von Visual Attack und habt mit ihm zwei Videos produziert.
Zuerst “Horizont” – ein sehr melancholischer, misanthropischer Geburtstag, Andi geht zum Schluss und landet in “wir” in einer Kneipe.
Lasst uns ein wenig am Making-of teilhaben.
HOF: Kay hatte ja schon 2017 unser Video zu “Bungee” gemacht, insofern wussten wir, dass das auch wieder zwei anstrengende (für Kay vermutlich wesentlich mehr als für uns) aber gleichermaßen witzige Tage werden.
Die Idee mit der Geburtstagsfeier ist mir beim Kindergeburtstag von meiner Tochter gekommen. Eigentlich wollte ich nur eine Szene haben, in der ich Willy ein Schokokuss ins Gesicht klatschen kann. Irgendwie haben wir das beim Drehen wohl vergessen. Aber ich bin natürlich trotzdem sehr glücklich mit dem Ergebnis.
Bei „Wir“ gab es die Idee, dass wir ne andere Band einladen und uns mit denen prügeln. Das hat organisatorisch nicht geklappt und jetzt verprügeln wir uns halt selbst. Das war bei aller Freundschaft sicherlich auch mal überfällig. Aber tatsächlich ist es als Band auch schön, solche gemeinsamen Erfahrungen zu erleben, auch wenn wir am Ende dann doch lieber Musik machen als schauspielern.
Eine dritte Videoauskopplung kommt mit dem Album. Was habt ihr euch da ausgedacht?
HOF: Auch wenn wir jetzt schon eben drei Videos mit Visual Attack gemacht haben, finde ich es auch spannend stilistisch andere Sachen auszuprobieren (siehe u.a. das animierte Video zu “Gaslaterne” von Aku!). Für “Zahltag” hatten wir das Gefühl, dass es diesmal wieder etwas düsterer werden muss und mit Lautstarke Filme sind ja wir auch schon länger freundschaftlich verbunden, insofern schön, dass da eine Zusammenarbeit geklappt hat. Die Idee und Umsetzung dieser Lichteffekte hat mich ziemlich beeindruckt. Auch wieder ein sehr spannender und witziger Dreh. Und angenehm unkompliziert.
Insgesamt sind wir jedenfalls sehr glücklich damit, dass wir diese drei Videos zur Platte gemacht haben. Ob das jetzt aus reinen Promo-Gründen überhaupt noch Sinn macht heutzutage, weiß ich gar nicht mal. Aber für uns rundet es das ganze “Kunstwerk” nochmal ab, dazu gehört natürlich auch ein vernünftiges Cover/Booklet zur Platte etc. Das Design hierfür kommt übrigens von Christian Kock.
Was würdet ihr sagen, sind heute eure Gründe zusammen zu bleiben?
HOLZ: Neben den oben Genannten möchte ich gerne mit dem nächsten Album etwas verwirklichen, das mir schon länger im Kopf herum schwirrt – aber das wird noch nicht verraten. Außerdem liebe ich es einfach, kreativ zu sein, entweder im Proberaum, zuhause am Rechner oder live im Moment. Wenn aus verschiedenen kreativen Prozessen etwas Gemeinsames entsteht, das möchte ich nicht missen.
HOF: Mit guten Leuten abhängen und dabei entstehen gute Dinge, das ist doch erstmal ne gute Sache. Und wenn auch noch andere das gut finden, umso besser. Reicht ja schon, wenn nach einem Konzert eine Person zum Merch kommt und sagt, dass sie von unserer Musik berührt ist. Das finde ich jedesmal total krass. Mir ist gerade auch beim Beantworten der Fragen wieder aufgefallen, mit wie vielen guten Menschen wir im Rahmen von “Böse Wetter”, aber auch schon in den ganzen Jahren davor zu tun hatten und kennenlernen durften. Veranstalter*Innen, Bands,Freund*Innen und andere Menschen, die uns sonst irgendwie immer unterstützt haben. Schon ganz geil, dass alles immer wieder erleben zu dürfen.
Liebe Grüße und Danke an alle!