Und noch einmal eine Kaltfront. Dieses Mal im Livegewand. “Live 1988” wurde bereits 2018 veröffentlicht, davor schon 2000 als abgespeckte Version unter dem Titel “Live ’88”, tatsächlich stammen tun die Aufnahmen jedoch und quelle surprise, jawohl, aus 1988 – und somit aus der ersten Schaffensphase der Band aus Dresden. Über viele Jahrzehnte verteilt also die ganze Sache, eingestaubt klingt’s dennoch nicht. War ich bei der Compilation “Holiday im Niemandsland” doch noch etwas ernüchtert ob des dürftigen Sounds, so bin ich nun umso positiver überrascht über die erstaunlich gute Soundqualität.
Bei der hier zu besprechenden Version handelt es sich entgegen dem 2000er-Release um eine, um acht Songs erweiterte Veröffentlichung. Deshalb dieses Mal auch doppelt Vinyl. Braucht’s aber auch, um den gleichermaßen simplen, wie auch originellen Gag auf den Labels unterzubringen. Auf allen vier zusammen kommt nämlich der Bandname Kaltfront unter. Wäre neben den am 9.12.1988 in “Onkel Tom’s Hütte” in Cottbus entstandenen Aufnahmen auf die am 10.06.1988 im “Gasthof Zwei Linden” in Görlitz aufgenommenen Songs verzichtet worden, so hätte es eben nur zu “Kalt” oder nur zur “Front” gereicht. Wobei es zumindest in Cottbus recht kalt gewesen, bzw. kaum eine*r an der Pogofront gewesen zu sein scheint. Für eine Liveaufnahme sind tatsächlich erstaunlich wenig, nee, tatsächlich keine Zuschauer*Innen zu hören.
Entweder gab’s damals schon Livestream-Konzerte (unwahrscheinlich), die Cottbusser*Innen hatten überhaupt keinen Bock auf Punkrock und blieben lieber zuhause; die Band hat trotzdem gespielt (auch unwahrscheinlich), oder aber, es gab keine Raummikros und die Aufnahmemöglichkeiten standen lediglich Kaltfront zu (am wahrscheinlichsten). Schade, denn dadurch fällt es schwer, den Cottbusser Teil des Releases tatsächlich als Livealbum anzuerkennen. In Görlitz dann aber, ja da ging der Punk ab. Gejodel und Gegröhle nach jedem Song. Nun sind Blut, Schweiß und Tränen schon eher spürbar, dafür minimal schlechtere Soundquali. Passt aber noch.
Was die Aufnahmen dann jedoch wiederum allesamt als Liveaufnahmen enttarnt, ist dieser, ich nenne ihn, Ramones-Effekt. Dieser bewirkt, dass die Songs live gefühlt doppelt so schnell gespielt werden als im Studio. Bei den Ramones find ich das geil, weil dadurch so mancher Schnarchzapfensong doch noch zu brauchbarem Liedgut mutiert. Bei Kaltfront find ich das auch geil, den Effekt aber tatsächlich noch krasser, da sich durch das schnellere Spiel viel mehr Aggressivität in die Songs einschleicht. Alte Hits wie “Entertainment”, “Kriegslied” und sogar die eher ruhigere Nummer “Winter” verlieren ihren ursprünglich fast schon wavigen Touch und werden zu waschechten Deutschpunk-Granaten. Kaltfront stehen beide Gewänder. Und deshalb lohnt sich eine Anschaffung von “Live 1988” auch.
Verantwortlich für den Release zeigen sich abermals Rundling. Zwecks Anschaffung wohl auch am besten mit denen in Verbindung setzen. Ich find ja das Bandfoto auf der Rückseite irgendwie schnuffig. Ansonsten bietet das Artwork in bester Kaltfront-Manier nicht sonderlich viele Höhepunkte. Andererseits soll und sollte Punk ja auch schon immer einen Kontrast zu irgendwelchen aufreißerischen Produktionen liefern. Et voilà: Kaltfront, bzw. ihr Artwork halten sich daran. Das Inlay bietet alle Songtexte, wobei das eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre, da die Vocals für eine Liveaufnahme wirklich gestochen scharf ums Eck kommen. Ist gut, das Ding!