Thank God for this Longplayer! Nur wenige Takte von der Single “Free Field” hat es gedauert, bis mich Mellie an eine meiner Lieblingsbands erinnert haben. Ich spreche von SONIC YOUTH. Stellt euch die späte Phase der SONIC YOUTH vor. In einer reduzierten Version und mit dem Fokus auf der hellen, poppigen Seite von SONIC YOUTH. Quasi wie SONIC YOUTH in der 30er Spielzone bei Sonnenschein.
Die Musik, der Sound von Mellie – einem Trio aus Leipzig in 2019 gegründet – kommt aber nicht so anstrengend daher, wie von SONIC YOUTH, sondern fragiler und subtiler. Zudem klingen Mellie freier, nicht so avantgardistisch, erzwungen. Mellie spielen einen eher melancholischen Sound, den man beim ersten Zuhören nicht sofort durchschaut. Dazu kommen diese Parts, die an German Krautrock erinnern, gemischt mit repitativen, ja mantra-artigen, Bass-Lines, die den Hörer:in total entschleunigen. Dazu kommen dann diese disharmonischen Störfrequenzen aus der Saitenabteilung, die aber durchaus eintägig sein können. Ich liebe den Sound von Mellie schon nach dem ersten Durchhören.
Sonic Youth was not a singer-songwriter band. It was an electric collective.
And, whatever else people’s perceptions of Sonic Youth were,
it was always about putting together a time-based composition – and that is exactly what songwriting is, in its classic form.
Lee Ranaldo
Die Discographie der Band ist überschaubar, es existiert eine EP “Have Head” aus dem Jahre 2020 und das vorliegende Debütalbum “I have Ideas, Too” (auf dem Berliner Label Adagio 830) der Band. Namentlich bestehen Mellie aus: Marius Huber – Gesang, Bass, Synthesizer, Trompete sowie Julia Boehme – Gesang, Gitarre, Keyboard, Flöte und Alexander Günther – Schlagzeug, Synthesizer, Backing Vocals. Bei dem Song “Void” hat zusätzlich Anne-Sophie Lohmann Cello gespielt. Glaubt man den Quellen, so verbindet die Mitglieder von Mellie ihre Liebe zu “aus der Zeit gefallene Gitarrenmusik“. In welche Schublade man Mellie auch versuchen will zu stecken, es ist zu konstatieren, dass die Leipziger einen einzigartigen, interessanten Sound haben, der sich mir eingängig erschließt. Zudem empfinde ich keine Abnutzungserscheinungen nach mehrmaligen Hören von “I Have Ideas, Too”. Ganz im Gegenteil, ich entdecke immer neue, kleine, glitzernde Diamanten in den Melodien oder Arrangements. So kommt das Titelstück “I Have Ideas, Too” sehr funky rüber, während das Intro von “Flow” düstere, wavige Klänge anschlägt. Oder der Beginn von “Void”, wo Mellie den Synthesizer herrlich quälen bis nach etwas 25 Sekunden der Rest der Kapelle einstimmt. Bei “Clowns” gibt es herrliche Walls of Sounds zu hören. Unterlegt von einem hektischen Beat aus der Retorte, ist das Up-Tempo-Stück wunderschön fragil und noisy. So ist es mal eine Bass-Linie, ein disharmonisches Gitarrenspiel, eine Sequenz vom Synthesizer oder der interessante Gesang, die mich begeistern. Dem interessierten Ohr bieten sich viele Auralitäten zum Entdecken.
Das Album hat ein bemerkenswertes Cover, vor einem pinken Hintergrund erkennt man die sehr spartanisch dargestellte Silhouette einer Katze. Im gleichen Graphikstil ist die Rückseite hellblau eingefärbt und zeigt einen Strauß Blumen in einer Vase (war auch das Cover der Single “Free Field”).
Ein A5-Poster in Pink weist auf die Nummer der auf 300 limitierten Edition (200 in schwarz, 100 in gelben Vinyl) hin. Dazu die Augen, Nase und Schnauze der Katze. Die Rückseiten zeigt drei Hasen(?) in Menschengestalt an einem Tisch. Die Zeichnungen stammen entweder von Julia oder Marius. Gottseidank ist das Innersleeve weitestgehend aufgeräumt: Bandbild, Credits und Danksagungen auf der einen Seite, während die andere Seite die Texte der Songs enthält. Insgesamt befinden sich neun Songs auf diesem herrlich Debüt-Album, was auf eine Spiellänge von etwas über 31 Minuten kommt.
Ah ja, die Texte… ich finden Mellie treffen ganz gut einen Zeitgeist. Nach der nachdenklichen EP, bleiben Mellie auf “I Have Ideas, Too” weiterhin sehr nachdenklich und kritisch. Daneben gibt es noch Songs mit Titeln wie “Snail” (Schnecke), “Trap” (Falle), “Flaw” (Fehler), “Void” (Leere) oder “Clowns”. Allesamt mit eher ernsten Inhalten, die den/die Hörer:in zum Nachdenken animieren sollen und werden.
It’s been a long time ago they say
I try to get rid of it ever since
There is only one Idea behind
To let it end as good as it started off
I try to get rid of it ever since
There is only one Idea behind
To let it end as good as it started off
(aus “Free Field”)
Im November letzten Jahres erschienen, gehören Mellie für mich nachträglichen zu den Highlights der deutschen Erscheinungen.
Wie gesagt, es drängen sich Vergleiche zu SONIC YOUTH auf. Aber wer genau hinhört und die Bands kennt, hört auch Blonde Redhead und die frühen Stereolab heraus. Alles keine schlechten Adressen und trotzdem haben Mellie ihren Stil und genügend Selbstvertrauen und Eigensinn, was man an der Spielfreude und dem Wechselgesang von Gitarristin Julia und Bassist Marius unschwer erkennen kann. Wer Mellie live im Konzert sehen will, kann das am 8. März im Slow Club, im schönen Freiburg tun. Wem das Vinyl ausreicht, kann es auf der Bandcamp-Seite von Mellie bestellen. Die gelbe Vinyl Version ist scheinbar schon fast ausverkauft, aber von der schwarzen Vinyl-Version, scheint es noch Platten zu geben.
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