Ob dieses Tape was für einen Tag wie heute ist, wird sich zeigen. Kopfschmerzen und Punk sind jetzt nicht unbedingt das geilste Duo. Aber ich fang einfach mal an. Duo, genau, ha! Eine Kassette mit zwei Alben halte ich hier in der Hand. Ich hör erstmal rein und lass sie durchlaufen. Aua. Nicht die Musik, sondern mein Kopf. Ich kann trotzdem nicht abschalten, weil Punk und ganz schön fesselnd. Mexikanischer Punk. Oder Oi!? Oder Hardcore. Hm. Warum soll ich mich immer entscheiden, wenn es um Musik geht? Beatles oder Stones, Ärzte oder Hosen, Jacko oder Prince (Noch heute versuchen mich Menschen von der Magie von “Purple Rain” zu überzeugen, erfolglos…). Migrana Social wollen sich nicht entscheiden und experimentieren deshalb mit allen Musikrichtungen rum, die ich geil finde und sich irgendwie um “-Punk” ergänzen lassen. Nach ein bisschen Recherche weiß ich, es handelt sich hierbei um ein mexikanisches Künstlerkollektiv, das sich neben der Musik und Kunst auch aktiv gegen Unterdrückung und für soziale Anliegen einsetzt. Ihre Kunst und Musik soll für jede:n zugänglich sein, deswegen spielen sie nicht nur auf namhaften Festivals, wie dem britischen Rebellion, sondern auch bei Hausbesetzungen und auf der Straße. Also, erste Bestandsaufnahme: Musik top, Bandhintergrund spannend und ehrenhaft, Entscheidungen sind überbewertet und- Kopfschmerzen immer noch da. Dass sich Letztere beim Hören eines Running Out Of Tape Records Tapes in Luft auflösen würden, war ja auch eher utopisch. Eine Tatsache hingegen ist die Zielsicherheit, mit der sich das Ludwigsburger Label mal wieder eine der Perlen aus der Flut an internationalen Punkbands rausfischt, poliert und mir vor die Füße schmeißt (wenn die so weitermachen, wird am Ende des Jahres ‘ne Kette draus). Aktuell eben diese 7-köpfige Band aus Mexico City. Zähne zusammenbeißen, Schmerztablette rein und nochmal von vorne: “Ni Idolos Ni Fans de Nadine” heißt das 2019 releaste Album auf der A-Seite und ballert sich direkt mit Drums vs catchy Gitarrenlauf inkl. abgedrehtes Solo (das mich in meiner Entscheidung bestätigt, die Kassette lieber schmerzfrei zu genießen) in “Despierta y Contraataca”. Getragen lässig wird “Franja de Muerte” eingeleitet, um dann in ähnlichem Tempo an seinen Vorgänger aufzuschließen. Es fällt mir wirklich schwer, mich auf eine Genrebezeichnung festzulegen. Was sich wiederholt ist die crazy hämmernde Gitarre, fantastisch chaotisch. “Días de Kaos” wirkt ein bisschen aufgeräumter, ohne dabei an Wucht und Überraschungsmomenten zu verlieren.
Spätestens bei “Red Global” und “Contracultural” lassen sich Parallelen zu Bands wie GBH, The Exploited und Discharge, die die Band laut eigener Aussage beeinflusst haben, erkennen. Bei “Mundo Cacique” werden uns die Zeilen bröckchenweise vor die Füße gespuckt, aufgelockert durch ein ungewöhnlich langes und melodiöses Gitarrensolo, das sich auch in den vorangegangenen Songs stetig wieder findet und und den Streetpunk Bömbchen eine besondere Note verleiht. “Skingirl” und “Nuestro Entorno” bleiben eher kompakt und bieten sich an, um geballte Fäuste in die Luft zu reißen und “Ohhhhhhh” zu grölen. Huch? Hat da jemand ein andere Tape eingelegt? Geil. Ganze 5:16 lässt uns “No Conforme” kurz mal entspannt zurücklehnen und durchschnaufen: Mit feinstem Rocksteady untermalt von mexikanisch klingenden Gitarren, ganz großes Kino. “Colectividad” holt mich zurück, cleaner, eingängiger Sound mit bootyshakin’ Rhytmen, die sich im Refrain pogotauglichen steigern. Auch der letzte Track des Albums “Isaac” kann tempomäßig definitiv mithalten.
Jetzt bin ich aber gespannt, was auf Seite B folgt. Das Album “Acitud I Rabia” ist bereits 2016 erschienen und beginnt mit dem gleichnamigen Song “Actitud y Rabia”. Was mir gleich auffällt ist, dass der Song klassischer nach Streetpunk und weniger experimentell und gitarrenlastig klingt als die Lieder auf “Ni Idolos Ni Fans de Nadine”. Von der Geschwindigkeit her hardcoriger und auch weniger melodiös, ebenso wie die daran anschließenden Titel “Autonomía Indígena” und “Como En El 68.”
Bei “Emigrantes” taucht dann erstmals auf diesem Album die dominante Gitarre mit Solo wieder auf, und bleibt uns bei “Koraje” erhalten. “Manifestantes” scheppert mit viel Becken und Gesang, der immer leicht neben der Spur scheint und trotzdem immer wieder die Kurve kriegt. Das Trio “Muertes Libertarias”, “No Somos Creyentes” und “Nuestra Lucha” hämmern sich eher wieder schnörkellos und ohne Umwege direkt ins Gehör. “Paloma de Paz” ist der Ausreiser auf diesem Album, diesmal mit Ska Punk (wieder der 10. Song übrigens!). “Sin Identidad” prügelt in gewohnter Manier weiter zum letzten Stück: “Tradiciones Asesinas” schließt mit einem Lied, das sich, trotz zurückgekehrter Kopfschmerzen klar als mein persönlicher Favorit der B-Seite entpuppt.
Fazit: Kaufempfehlung für Oldschool Streetpunk Fans mit Hang zum Chaos (wozu ich mich ganz klar zähle). Wer in den Genuss kommen sollte Migrana Social live zu sehen kann vermutlich damit rechnen, dass irgendwas kaputt geht (auf der Bühne, am Körper oder- im Kopf).
Zu bestellen direkt bei Running Out Of Tape Records oder im Bauchladen bei einem der fantastischen Konzerte von Liebliche Klänge Konzerte im Planet X Marbach.