“Musik trifft Literatur” bei Vinyl-Keks.eu geht wieder auf die Reise! Diesmal fahre ich virtuell nach Österreich, genauer nach Salzburg. Dort lebt Thomas Mulitzer, Sänger und Gitarrist der Mundart-Punkband Glue Crew der mit “Pop ist tot” nun seinen zweiten Roman bei Kremayr & Scheriau veröffentlicht hat.
Die Veröffentlichung dieses saustarken, kleinen Punkromans nahm ich zum Anlass, um mit Tom über seine Bücher, seine Musik und die Bedeutung der Sprache in seinen Werken zu sprechen.
Viel Freude damit und danach nicht vergessen die örtliche Buchhandlung aufzusuchen und seine Bücher zu bestellen. Oder geht in Plattenladen und kauft seine Schallplatten! Lohnt sehr, also am besten beides!
Hallo Tom, ich grüße nach Salzburg, wo du lebst. Ich war noch nie dort, der Ich-Erzähler deines neuen Romans “Pop ist tot” macht aber in seinen Beschreibungen auch nicht so richtig Bock drauf: Eine Stadt, die aus Hipstern und Touristen besteht, die eigentliche Bevölkerung ist in Randgebiete gedrängt worden. Ist es wirklich so schlimm in Salzburg? Wie lebst du dort?
Thomas Bernhard hat über Salzburg gesagt, dass die Stadt eine Todeskrankheit ist, und wenn man nicht zum richtigen Zeitpunkt abhaut, geht man elendig zugrunde. Ich sehe das nicht ganz so dramatisch, aber bei den hohen Mietpreisen, den ständigen Staus und begrenzten Möglichkeiten ist es kein Wunder, dass junge Menschen eher das Weite suchen und somit viel kreatives Potenzial abwandert. Ich hab eine Zeit lang in der Altstadt gewohnt, mitten in der Fußgängerzone, und wenn man hautnah mitbekommt, wie sich Touristenmassen durch enge Gassen quetschen, ist man froh, wenn man eine leistbare Wohnung etwas abseits, aber trotzdem zentrumsnah findet. Die Kulturlandschaft wird von den Salzburger Festspielen dominiert. Trotz oder gerade wegen dieser Übermacht gibt es einige subkulturelle Initiativen, die coole Projekte auf die Beine stellen, es in dieser Stadt aber nicht leicht haben.
Du sprichst es an, das hätte mich aber eh interessiert: Wie sehen die alternativen, subkulturellen Strukturen in Salzburg aus? Nimm uns doch bitte mit auf eine kleine Tour zu den coolen Orten der Stadt.
Eine Location, die leider nicht mehr existiert, die ich trotzdem erwähnen möchte, ist das Denkmal, eine subkulturelle Oase in einem Gebäude voller Anwaltskanzleien, in der jede Woche mehrere Konzerte stattgefunden haben. Etwas abgefuckt, aber gemütlich. Dort haben viele kleinere Bands einen Stopp auf ihrer Europatour eingelegt und auch ich hab dort Konzerte veranstaltet. Jetzt machen viele Bands einen Bogen um Salzburg und die Lücke wurde bis heute nicht wirklich geschlossen. Nun zum Positiven: Im Kulturzentrum Mark finden Konzerte, Lesungen und Festivals wie die Salzburger Pestspiele statt, dann gibt‘s eine coole Literaturzeitschrift namens mosaik, die junge Literatur fördert, und auch neue Lokale wie das Narrencastl, das sich hoffentlich langfristig etablieren kann. Was an Salzburg wirklich super ist, ist die Landschaft in der Umgebung, die Nähe zu Bergen und Seen, und auch im Umland gibt es Kulturvereine und Initiativen, die immer wieder alternative Veranstaltungen auf die Beine stellen.
Du erwähntest eingangs Thomas Bernhard, dessen Name und Werk stark mit Salzburg verbunden ist. Aber auch dein erster Roman “Tau” ist ein Roman mit Bernhard Bezug. Was bedeutet Thomas Bernhard für dich? Was fasziniert so an ihm, dass du ihn zum Thema eines Romans gemacht hast?
Thomas Bernhard war Anfang der 60er-Jahre häufig Gast im Wirtshaus meiner Großeltern in Weng. Als 1963 sein skandalträchtiger Debütroman „Frost“ erschien, dessen Handlung in einem gleichnamigen Gebirgsdorf spielt, fühlten sich viele Einheimische persönlich beleidigt, weil sie unter anderem als schwachsinnig und unzüchtig beschrieben wurden. Im Zentrum der Handlung steht ein Wirtshaus und besonders die Wirtin kommt nicht gut weg. Viele Leser:innen haben das Buch mit einem Tatsachenbericht oder mutwilliger Verleumdung verwechselt. Und so kam es zum Beispiel dazu, dass sich Leute in die Zimmer des Wirtshauses meiner Großeltern geschlichen haben, um den scheinbaren Schauplatz von „Frost“ auszukundschaften. „Tau“ spielt mit diesem Missverständnis und lotet das Verhältnis von Fiktion und Realität neu aus.
Und auch was Thomas Bernhard in „Die Ursache“ über Salzburg geschrieben hat, kann ich zum Teil gut nachvollziehen, obwohl ich trotzdem immer noch hier lebe.
Also war Bernhard gar keine Inspiration für dein eigenes Schreiben, sondern dich hat die Geschichte dahinter interessiert? Wer, wenn es das überhaupt gibt, war oder ist dein Vorbild beim Schreiben?
Bernhards Schreibstil hatte einen großen Einfluss auf „Tau“, besonders auf die ersten Kapitel. Auch später gibt es immer wieder Anspielungen und Parallelen, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Als ich „Tau“ abgeschlossen habe, war ich trotz aller Freude an den Übertreibungen und Zuspitzungen froh, die Bernhard’sche Sprachwelt zu verlassen und mich auf neue Projekte zu konzentrieren.
Meine ersten literarischen Vorbilder waren die Autor:innen der Beat Generation. Jack Kerouac, William S. Burroughs, Allen Ginsberg, Gary Snyder und so weiter. Mit 16, 17 hab ich ihre Bücher auf Englisch gelesen und bin über sie auf viele andere Schriftsteller:innen gestoßen, zum Beispiel Thomas Wolfe, Henry Miller oder Charles Bukowski. Im deutschsprachigen Bereich würde ich vor allem Jörg Fauser und Rocko Schamoni nennen. Wen ich in den letzten Jahren auch sehr gerne lese, ist Roberto Bolaño. Seine Romane wie „Die wilden Detektive“ oder „2666“ haben großen Eindruck bei mir hinterlassen.
Mit deinem neuen Roman “Pop ist tot” beackerst du ein ganz anderes Terrain, wir folgen einer alternden Punkrockband auf ihrer Revival Tour. Touren, mit der Band unterwegs sein ist für dich was gut bekanntes. War der Schreibprozess deshalb anders als bei “Tau”, weil es viel weniger Vorstellungskraft brauchte, um die Situationen zu beschreiben?
Nach „Tau“ wollte ich mich auf ein Thema stürzen, das ich witzig gestalten kann und in das ich nicht viel Recherche reinstecken muss. Am Beginn des Projekts stand ein Rückblick in die gute alte Zeit, als die Band „Pop ist tot“ noch auf der Bühne stand und ihre Verstärker bis zum Anschlag aufdrehte. Der Schlussakkord klingt aus und bleibt nach einem Sprung in die Gegenwart als Tinnitus im Ohr des Protagonisten präsent.
Für die Beschreibung des Büroalltags hab ich mich unter anderem von eigenen Jobs inspirieren lassen und bei den Tourstories hab ich nicht nur auf persönliche Erfahrungen zurückgegriffen, sondern auch mit befreundeten Musikern gesprochen, um Ideen zu sammeln und Möglichkeiten auszuloten. Wenn man sich beim Schreiben intensiv in die Charaktere und ihre Lebensrealität hineinversetzt, ergibt sich die Geschichte fast von allein. Zu einfach wollte ich es mir allerdings auch nicht machen, also hab ich die Hauptfiguren um einiges älter als mich gestaltet, auch weil ich den Sprung von den 90ern in die Gegenwart spannend finde. Die Diskrepanz zwischen der früheren Freiheit und dem heutigen Alltagsstress finde ich nach wie vor spannend. Für die Mitglieder von „Pop ist tot“ kommt die Möglichkeit, wieder auf Tour zu gehen, sehr gelegen. Sie bekommen die Chance, ihre Vergangenheit wieder aufleben zu lassen, obwohl nicht alles so glatt läuft, wie sie es sich erhoffen.
Den Büroalltag fand ich brüllend komisch, war aber auch sehr glücklich, dass du neben den klischeehaften und überzeichneten Feministinnen der Agentur mit Ramona auch eine Frau erschaffen hast, die viel realistischer und sympathischer, aber deshalb nicht weniger feministisch ist. Ich hatte den Eindruck, dass es dir schon wichtig war, diese Figur als Statement zu setzten, oder?
Den Gegensatz zwischen den Feministinnen in der Agentur und der Männerband auf Tour wollte ich unbedingt durchbrechen. Ramona ist das Gegengewicht zu den Männern, sie übt Kritik am Machotum und bringt eine neue Perspektive in die Konstellation ein. Sie spielt in einer feministischen Punkband und sagt, was sie sich denkt. Zum Beispiel, dass Punk Feminismus braucht und ohne ihn irrelevant und dem Untergang geweiht ist. Das ist Neuland vor allem für Drummer Günther und so bekommt der Männerausflug „Punkband auf Tour“ eine weitere Dimension.
Günther ist derjenige, der sich seinem Punkrock Lifestyle klammert, den er seit seiner Jugend lebt, wirkt dabei aber immer irgendwie anachronistisch, aber ist auch oft auf der Schwelle zum peinlich sein.
Was glaubst du, ist es für Punkrocker schwieriger in Würde zu altern, als für “Normalos”?
Wo ist für dich da der Unterschied beim Schreiben von Prosa Texten? Funktioniert Mundart bei längeren Texten für dich nicht?
Gedichte in Mundart könnte ich mir noch gut vorstellen, längere Texte stelle ich mir für die Leser:innen sehr gewöhnungsbedürftig vor. Auch wenn man denselben oder einen ähnlichen Dialekt spricht, gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Wörter niederzuschreiben. Es gibt ja keine standardisierte Schriftsprache von Dialekten. Da wäre die Hürde noch größer als bei der Musik. Was ich aber sehr gerne in meinen Prosatexten verwende, sind Austriazismen, einzelne umgangssprachliche Ausdrücke, die meine Sprache von deutschen Kolleg:innen unterscheidet.
Sprache ist bei Glue Crew nicht nur für dich ein Thema, dein Bandkamerad Wolfgang ist recht erfolgreich bei den Pongauer “Gstanzl”. Was kann die Leserschaft sich darunter vorstellen?
Wolfgang hat unter seinem Künstlernamen „El Fetzn“ mehrere Gstanzl-Wettbewerbe gewonnen. Ein Gstanzl ist ein Vierzeiler, der in der jeweiligen Mundart vorgetragen wird und in der Regel das Ziel hat, sich über andere lustig zu machen. Quasi das österreichische oder bayrische Pendant zum Battle-Rap. Während das früher sehr traditionell war, gibt es in den letzten Jahren auch innovative Ansätze. Bei einigen Gstanzl-Battles treten zum Beispiel Rapper:innen gegen Gstanzler:innen an und dissen sich zur Begleitung einer Ziehharmonika oder eines DJs. Die hohe Kunst ist es, aus dem Stegreif gute Konter zu improvisieren.
Ist die Beschäftigung mit Sprache in der Band überhaupt ein großes Thema? Redet ihr bandintern viel über die Lyrics?
Mir sind die Lyrics sehr wichtig. Auch wenn ich Musik höre, achte ich meistens mehr auf die Texte als auf die Musik. Mir ist generell schlechte Musik mit guten Texten lieber als gute Musik mit schlechten Texten. Im Idealfall ist natürlich beides gut gelungen. Wir stellen unsere eigenen Texte schon auch in Frage und arbeiten an stimmigeren Formulierungen oder alternativen Strophen. Es gibt ältere Songs, die wir so heute nicht mehr schreiben würden, aber man wächst mit jedem Album und entwickelt sich weiter. Während unsere bisherigen Songs meistens aus einer Feder stammen, setzen wir uns mit dem neuen Line-up öfter zusammen und arbeiten gemeinsam an Ideen, überlegen uns Lyrics zu bestehenden Melodien oder experimentieren mit neuen Instrumenten. Das ist ja das Schöne an einer Band: dass gemeinsam etwas entsteht, das alleine nicht möglich wäre.
Wie wichtig ist dir, euch als Band das Medium auf dem eure Musik veröffentlicht wird? Ich spiele natürlich auf Vinyl an, ein Medium unter vielen oder eine Herzensangelegenheit?
Ich stöbere immer gerne durch die Bücherregale und Plattensammlung anderer Leute. Was sind die letzten Bücher, die letzten Platten, die bei dir eingezogen sind, welche haben dir total gut gefallen?
Ich bin schon einige Jahre von den Büchern von Roberto Bolaño sehr angetan. „2666“ und „Die wilden Detektive“ haben mir besonders gut gefallen. Von ihm findest du also einiges in meinem Bücherregal. Derzeit liegen “Eine andere Liga” von Carl Weissner, “Hippocampus” von Gertraud Klemm und “Gespenster zählen” von Martin Peichl und Matthias Ledwinka in Griffweite neben meinem Bett.