In unserer Interviewreihe “MusInclusion” befragen wir Menschen mit und ohne Behinderungen zu ihren Erfahrungen zum Thema Barrierefreiheit und Inklusion auf, vor und hinter der Bühne. Auch wenn die individuellen Bedürfnisse oder Ansichten manchmal auseinandergehen, so lässt sich bis hierhin schonmal resümieren: Kommunikation ist grundlegend, um dem Wunsch einer inklusiven Musiklandschaft näher zu kommen. Wir möchten an dieser Stelle auch nochmal allen Interviewpartner:innen dieser Serie danken – durch eure Offenheit, das “Sichtbar machen” eurer Bedürfnisse und eure, teilweise sehr emotionalen, Erfahrungsberichte, tragt ihr einen großen Teil dazu bei, Bewusstsein zu schaffen und dieses so wichtige Thema lebendig zu halten.
Heute hilft uns dabei Steffen aus Pforzheim. Was er mit Inklusion zu tun hat, wie er seinen Beruf als Heilerziehungspfleger und seine Leidenschaft zu Musik miteinander verknüpft und wie er aktuell die Barrierefreiheit in Locations bewertet erfahrt ihr, neben vielen weiteren interessanten Antworten, im folgenden Artikel.
Hinweis: Das Interview wurde im Sommer geführt!
Lieber Steffen, ich freue mich, dass Du mit uns Eure Erfahrungen für unsere Reihe „MusInclusion“ teilst. Es wäre schön, wenn Du uns zunächst einmal kurz etwas über Dich erzählst!
Hallo, ich heiße Steffen Bähr, bin 43 Jahre und lebe in Pforzheim. Ich bin ein leidenschaftlicher Erschaffer von Musik und Hörspielen und betreibe das kleine DIY-Label ozzeMusix.
Inwiefern bist Du selbst von dem Thema Inklusion betroffen?
Mein Onkel hat eine geistige, sowie auch leicht körperliche Beeinträchtigung. Er hat mich als Baby schon früh auf dem Arm durch die Gegend getragen, was mich mit Sicherheit geprägt hat. Er war für mich als junges Kind immer ein vollwertiger Erwachsener wie jeder andere auch, nur eben etwas anders. Das war glaube ich ein guter erster Schritt in Richtung dessen, was wir heute Inklusion nennen.
Beruflich bin ich als Heilerziehungspfleger nun seit über 20 Jahren mit dem Thema quasi ständig verbandelt.
In meiner Freizeit obliegt mir seit Mai 2015 das Amt des Abteilungsleiters für Inklusion beim 1.CfR Pforzheim. Dort haben wir nach einem Jahr Kooperation die Idee vollzogen, meine im Jahr 2000 gegründete Fußballmannschaft aus der Lebenshilfe Pforzheim auszugliedern und in den Verein zu integrieren. Dafür haben wir dann eine eigene Abteilung gegründet, welche aktuell aus rund 50 aktiven und aber auch passiven Mitgliedern besteht und im Verein sehr beliebt ist. Meine Kolleg:innen der anderen Abteilungen unterstützen mich jedes Jahr bei der Veranstaltung eines großen Turnieres mit 18 teilnehmenden Mannschaften, welches in unserem Oberliga-Stadion vor der großen Tribüne stattfindet und für alle Teilnehmer:innen immer eine tolle Atmosphäre ist.
Das klingt toll! Erzähl uns doch ein bisschen über Deine Arbeit. An welcher Stelle verbindest Du Deine Leidenschaft für Musik mit dem Beruf?
Ich bin nun seit fast neun Jahren im Bereich der ambulanten Wohndienste tätig. Das heißt, ich begleite Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung, welchen es möglich ist selbstständig in einer eigenen Wohnung leben. Ich helfe meinen Kund:innen bei allem, wo gerade Bedarf ist, das wird nie langweilig.
Mit einem Kunden, der großer Metal-Fan ist, habe ich vor zwei Jahren ein Remake eines Stückes meiner Metalpunk-Band First Doom erstellt. Er hat meinen Gesangspart mit seinen Screams neu interpretiert. Der neue Mix klingt richtig fett und wurde bereits auf einem gepressten Sampler veröffentlicht. Für die geplante CD zum 30-jährigen Bestehen der Band ist der Song ebenfalls eingeplant.
Mit einer weiteren Kundin, die Panflöte spielt, würde ich gerne in näherer Zukunft ein Stück für mein Projekt SkHEPsis aufnehmen, welches über Begebenheiten an der Adria in Kroatien handeln soll.
Ansonsten habe ich in diesem Bereich weniger musikalische Berührungspunkte, das war früher tatsächlich mehr. Während meiner Zeit im Förder- und Betreuungsbereich gab es einmal in der Woche ein Musik-Angebot, in welchem ich Gitarre gespielt und meine Kund:innen dazu gesungen oder selbst gebaute Percussion-Geräte gespielt haben. Neben der Interpretation von bekannten Stücken, haben wir dann auch immer etwas Zeit für eigene Jams verwendet, wo jede:r Singen konnte, was Ihm gerade in den Kopf kam. Das gemeinsame Musizieren hat mich dann so inspiriert, das wir daraus eigene Songs komponiert haben. Diese habe ich, teilweise auch unter Mitwirkung der inspirierenden Menschen, mit meinem bereits erwähnten kleinen Nebenprojekt SkHEPsis aufgenommen.
Als ich später im Wohnheim-Bereich tätig war, konnte ich im Rahmen meiner Arbeit acht Menschen Trommel-Unterricht auf Djembes geben. Hin und wieder hatten wir dann auch Auftritte bei Festlichkeiten, Faschingsumzügen oder beispielsweise auf der Offerta in Karlsruhe.
Wie schön, dass Du anscheinend zahlreiche Möglichkeiten geschaffen hast, gemeinsam zu musizieren! Was machst Du für Erfahrungen dabei? Du hast ja auch von einer Trommelgruppe, die Du geleitet hast, erzählt, wie können wir uns das vorstellen?
Meine immer wiederkehrende Erfahrung ist, dass es allen Beteiligten sehr viel Freude bereitet und die Menschen mit Feuereifer dabei sind.
Bei der Gruppe Drommel Daifel war es so, dass ich erst die Fähigkeiten der einzelnen Menschen begutachtet, und diesen dann individuell, wie eben möglich, die Grundlagen von Rhythmen beigebracht habe. Nachdem die einzelnen Percussion-Spieler:innen sich sicherer wurden, haben wir die Rhythmen kombiniert, Gegen-Rhythmen gespielt und auch dazu gesungen. War auf jeden Fall mal was anderes. (lacht)
…und hört sich nach viel Spaß für alle Beteiligten an! Welche Art von Musik hast Du mit Deinem Nebenprojekt SkHEPsis aufgenommen? Wo kann man sich das anhören?
Ich würde die Musik als eine Art trashigen NDW-Sound bezeichnen. Schraddelnde Gitarren auf Ghettoblaster-Beats, seit 2012 bereichert mit dem Sound eines Casio VL-Tone 01. Generell lässt sich bei diesen Liedern, welche alle von Herzen kommen, weder ein TRIO-, noch ein EAV–Einfluss verleugnen. Die Eigenkompositionen der beiden ersten Tonträger habe ich Ende letzten Jahres auf dem Online-Portal Bandcamp unter dem Titel „Paula ist wieder am Start“ wieder veröffentlicht.
Auf Bandcamp findet man übrigens auch den Song „Fußballstar“ von meiner Band Viermannzelt, bei welchem die Fußballer der Lebenshilfe Pforzheim 2009 im Chor mitgesungen haben. Den Link dazu, so wie auch Infos zur Band bekommt man auf meiner Homepage ozzeMusix. Wenn Ihr im Hauptmenü auf den Button „Empfehlungen und Kritiken“ klickt, findet Ihr die bisher genannten Projekte, sowie auch jede Menge andere Bands.
Danke für den Hinweis, reinhören lohnt sich! Hast Du mit Menschen mit Behinderungen schon einmal ein Konzert oder eine Veranstaltung besucht? Wenn ja, welche Hindernisse musstet ihr überwinden? Wäre es für einen Mensch mit Behinderung möglich gewesen, die Veranstaltung selbständig zu besuchen?
Ja, schon mehrfach. Ob ein Mensch mit Beeinträchtigung ein Konzert selbständig besuchen kann, hängt natürlich von diversen Faktoren ab, wie beispielsweise den individuellen Einschränkungen und Fähigkeiten einer Person und den Gegebenheiten der Veranstaltung. In den meisten Fällen, in denen ich Menschen zu Konzerten begleitet habe, waren die Hindernisse eher gering, was aber eben auch an der vorhandenen Begleitung lag. Selbstständig wäre es den wenigsten möglich gewesen die Konzerte wahrzunehmen. Da wäre es schon fraglich gewesen, ob diese den Weg zu Ihrer Reihe oder die eigene Sitzplatznummer gefunden hätten, oder es ihnen möglich gewesen wäre in der Pause den Weg zum Snack-Stand zu finden. Dort wären dann die nächsten Fragen gewesen, funktioniert es etwas zu Essen oder ein Getränk auszuwählen, zu bestellen, dies dann ordnungsgemäß zu bezahlen und es rechtzeitig zu verzehren. Das ist eine recht schwierige Thematik.
Es gibt jedoch durchaus auch Beispiele von Menschen die in dazu in der Lage sind. Mein unter Frage 2 erwähnter Metal-Fan-Kunde geht jedes Jahr selbstständig aufs Summerbreeze Festival. Dort schlägt er sich immer irgendwie durch und ist bisher auch jedes Mal wieder heil zu Hause angekommen. (lacht)
Ja, auch wenn der Ansatz oft schon vorhanden ist, gibt es in der Umsetzung bestimmt noch in vielen Locations Nachholbedarf. Wie definierst Du Barrierefreiheit? Was machst Du für Erfahrungen damit im Alltag (beruflich und privat) und wie empfindest Du die aktuelle Situation auf Konzerten und auf kulturellen Veranstaltungen?
Ich finde die Definition das „eine Barriere alles sein kann, was einen Mensch in seinem Leben einschränkt“ ganz gut. Für Menschen mit körperlichen Einschränkungen ist das Bewusstsein der Gesellschaft ganz gut voran geschritten und es wird inzwischen auch so einiges realisiert. Häufig wird Barrierefreiheit jedoch nur mit einer Körperbehinderung verknüpft, daher ist bei den Themen „”Leichte Sprache“ oder auch Barrierefreiheit für Gehörlose, wie z.B. Gebärdendolmetscher:innen, noch viel Nachholbedarf. Dies gilt meiner Meinung nach auch noch auf Konzerten oder ähnlichen Veranstaltungen. Auf vielen Veranstaltungen gibt es fast keine Informationen oder Wegweiser in leichter Sprache oder mit Symbolen. Bei Reden oder Sprachbeiträgen habe ich auch noch nie Gebärdendolmetscher:innen gesehen, wie es sie bereits bei manchen Sendern im Fernsehen gibt.
Ja, das ist mir auch schon aufgefallen… Hast Du das Gefühl, dass dem Thema Inklusion (im Allgemeinen und im Besonderen auf das Thema Zugang zu Musik) bisher ausreichend Beachtung geschenkt wird und was würdest Du Dir in Bezug auf dieses Thema wünschen?
Inklusion ist an vielen Stellen ein Thema geworden und das ist gut so. Natürlich gibt es an vielen Punkten noch einiges zu tun und zu verbessern, aber die Veränderungen der letzten Jahre sind auf jeden Fall erkennbar und zumindest mal ein Anfang. Was den Zugang zu Musik angeht hat sich durch das digitale Zeitalter ja auch schon einiges getan. Musik ist heute für fast jeden fast immer verfügbar, sei es über Youtube oder auch Streaming-Anbieter.
Wenn es um das Thema des “Selbst Musik machen” geht, kann man denke ich noch einiges verändern. Musikschulen sollten Menschen mit Beeinträchtigung ebenso offenstehen, wie Menschen ohne. Die Musikschule eines Freundes aus Pforzheim, die Rockton Musikschule geht da mit sehr gutem Beispiel voran. Hier ist natürlich auch die Offenheit der Gesellschaft gefragt. Generell sollte das Bewusstsein dafür, dass auch Menschen mit Einschränkungen musizieren können und wollen, viel mehr geschaffen werden. Und manchmal braucht es aber auch einfach mal den Mut von Betroffenen oder deren Angehörigen, irgendwo anzuklopfen.
Ja, Offenheit und Kommunikation sind die Grundvoraussetzungen für Inklusion. Wie könnte man Menschen mit Behinderung Deiner Meinung nach sichtbarer machen in der Musikszene- auf der Bühne, hinter der Bühne und im Publikum? Wie müssten die Bedingungen dafür sein und wer ist dafür verantwortlich?
Das ist glaube ich immer noch ein grundsätzliches Problem der Gesellschaft. Dass Menschen mit Behinderung generell sichtbar sind, ist ja für viele Menschen schon gar nicht relevant oder gar gewollt. Um Menschen in der Musikszene sichtbarer zu machen braucht es das Engagement von Bands, Veranstalter:innen oder sonstigen Kulterschaffenden. Man könnte ja auch Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung in der Veranstaltungsbranche schaffen, eventuell mit einer Assistenz oder Hilfsmitteln. In anderen Branchen wird dies bereits ermöglicht. Ich fände es auch gut, wenn solches Engagement vom Staat unterstützt werden würde, aber das gibt es vermutlich immer wichtigere und profitablere Themen.
Außerdem sollte man darauf achten, dass Menschen mit Behinderung im Publikum nicht ausgegrenzt werden, sondern mittendrin sind. Für Rollstuhlfahrer:innen gibt es zwar meist immer spezielle Bereiche, die sind jedoch eingezäunt und meist außerhalb, ebenso darf häufig nur eine Begleitperson mit in diesen Bereich. Will man als Rollstuhlfahrer:in aber mit zehn Freund:innen auf ein Konzert wird das schon problematisch.
Ja, das Konzept auf Veranstaltungen ist in den meisten Fällen definitiv noch verbesserungsfähig. Kennst Du Programme, Initiativen oder Ähnliches, die sich bereits mit dem Thema Inklusion und Musik beschäftigen?
Da muss ich leider passen. Die Band Metzer 58 sagen mir ein wenig was, aber ansonsten bin ich meistens zu beschäftigt um zu schauen, was andere so machen. Vielleicht ein Fehler!? Ich finde es auf jeden Fall gut, dass Ihr das Thema aufgreift. Um Veränderungen in Gang zu bringen, bedarf es meistens auch erst mal dem Bewusstwerden des Vorhandenseins einer Thematik.
…und ihr Alle tragt durch eure Offenheit in den Interviews dazu bei! Gibt es etwas, was Du gerne in diesem Zusammenhang mal loswerden würdest ?
Generell möchte ich an alle Menschen, egal ob mit oder ohne Einschränkung appellieren, den Mut aufzubringen Musik zu machen. Dafür ist es nie zu spät, egal wie alt man ist.
Ich bedanke mich herzlich, dass Ihr mit Eurer Reihe „MusInclusion“ an mich gedacht habt. Ich fühle mich geehrt.
Wir haben zu danken lieber Steffen – für Deine Zeit und das tolle Interview!
Hallo Steffen,
gerade habe ich das Interview gelesen und möchte Dir sagen und Dir dafür danken, dass du in vielfältiger Weise einen vorbildlichen Job machst!
Herzliche Grüße
Elfriede