Herzlich Willkommen zurück, liebe Leserinnen und Leser! Wir machen da weiter, wo wir aufgehört haben und ich freue mich besonders darüber, dass die Band Station 17 das neue “MusInclusion” Jahr einläutet. Sie sind mir in den letzten Jahren immer wieder “begegnet” und standen schon lange auf meiner Wunschliste. In diesem Interview habe ich mit Sebi, dem Keyboarder der Band und Philipp, dem Schlagzeuger gesprochen. Sie erzählen im Folgenden, wie sich die Band über die Jahre verändert hat, wie sie mit der aktuellen Situation als Band umgehen, und was sie über Barrierefreiheit und Teilhabe in der Musikwelt zu sagen haben.
Viel Spaß beim Lesen!
Hallo zusammen, schön, dass ihr Euch bereit erklärt habt, bei unserer Reihe “MusInclusion” mitzumachen! Ihr seid mir in letzter Zeit immer wieder in den Medien “begegnet”, zuletzt in der ZDF Doku “Inklusion Rockt – Die Band Station 17”. Daher weiß ich auch, dass Du, Sebi, von den acht Bandmitgliedern derjenige bist, der am längsten dabei ist. Seit wann gibt es Station 17 und was hat sich seit Deinem Eintritt in die Band verändert? Philipp, mit Dir hatte ich Kontakt, als es um die Interviewanfrage ging – was ist Deine Rolle in der Band?
Sebastian: Als richtig aktive Band gibt es Station 17 seit Anfang der 90er Jahre, begonnen hat das Projekt aber schon 1989. Ich bin seit August 2000 dabei. Die Band hat sich seitdem ständig verändert, da es immer wieder Wechsel in der Besetzung gab. Es sind immer mal Leute „in Rente gegangen“ und neue Leute sind dazugekommen. Musikalisch haben wir in dieser Zeit von experimentellem Krautrock bis hin zu elektronischer Musik und Pop alles Mögliche ausprobiert.
Philipp: Ich bin wiederum das sozusagen jüngste Mitglied von Station 17. Ich bin im April 2019, kurz nach dem 30. Bandjubiläum, als Schlagzeuger eingestiegen
Da hat die Band ja schon einiges erlebt, das klingt spannend! Wie habt ihr die Zeit seit der Pandemie erlebt? Habt ihr euch stärker eingeschränkt gefühlt, als Bands, in denen ausschließlich Menschen ohne Behinderungen spielen? Gab es überhaupt Proben und wie sehr fehlt Euch die Bühne?
Sebastian: Ob wir stärker eingeschränkt waren, kann ich gar nicht sagen. Mir hat auf jeden Fall die Bühne gefehlt. Und es war total ungewohnt, dass wir viele Sachen gar nicht machen konnten, weil es hieß „Macht mal Homeoffice!“ – aber wie das zu machen war, blieb erst mal unklar, weil man online ja nicht wirklich zusammenspielen kann. Es sei denn mit spezieller Software, die dann aber gleich sehr viel kostet. Und ob die als Blinder bedienbar ist, weiß man auch erst mal nicht. Deswegen haben wir eher nach dem Ping-Pong-Prinzip gearbeitet: Der eine spielt was ein, schickt das dem nächsten, der spielt was drüber und schickt das wieder rum. Als dann zwischendurch wieder ein bisschen mehr ging, haben wir dann in Kleingruppen im Proberaum gearbeitet und ein wenig rumprobiert.
Philipp: Anfang September hatten wir dann das Glück, auf ein Probencamp in Schleswig-Holstein fahren zu können. Eigentlich wollten wir nur die im Lockdown entstandenen Songskizzen ein wenig ausarbeiten und Demos aufnehmen. Am Ende ist es dann aber ein ganzes Album geworden, da es einfach so gut lief. Jetzt stehen noch ein paar Overdubs an, aber im Laufe des nächsten Jahres dürfte es wohl ein neues Station 17-Album geben. Was die pandemiebedingte Einschränkung als Band betrifft, hatten wir auch in der Hinsicht Glück, dass wir zwischen den Lockdowns doch ein paar Konzerte spielen konnten. Die Konzerte meiner anderen Band (Anm.: Messer) wurden immer schön in die nächste Welle verschoben, das war ziemlich frustrierend. Bei Station 17 gab es dagegen durchaus einige euphorisierende Momente.
Super, dass ihr das Beste aus der Situation macht und die Zeit so kreativ und produktiv nutzen konntet! In der Doku ist der erste Satz von Dir, Sebi: “Wenn wir auf der Bühne stehen, dann spielt es für mich keine Rolle, ob wir jetzt eine Band mit Behinderung sind oder nicht”. Wie wünscht ihr Euch zum Beispiel eine Ankündigung auf einem Konzertplakat – findet ihr es besser, wenn erwähnt wird, dass auch Menschen mit Behinderungen bei Station 17 auf der Bühne stehen (wegen der Sichtbarmachung), oder wäre es eher wirklich “inklusiv”, wenn man es überhaupt nicht extra herausstellt?
Sebastian: Ich fände es inklusiver, wenn man es nicht extra hervorheben muss, dass wir eine Band mit und ohne Behinderungen sind – auch wenn wir es sind, das kann man nicht abstreiten. Aber dass man das so herausstellen muss, als wäre das was super Besonderes, finde ich nicht so gut, weil sich dann automatisch das Augenmerk verschiebt: „Guck mal, da ist ein Mensch, der ist blind – wie findet der denn die Tasten?“ Oder: „Da ist ein Mensch mit Down-Syndrom – wie kriegt der das nur alles gebacken?“ Dann ist die Aufmerksamkeit nicht mehr auf der Musik, sondern wieder auf der Behinderung und davon wollen wir ja eigentlich weg.
Ja, genau so sehe ich das auch…Wie hat sich eurer Erfahrung nach in den letzten Jahren das Thema “Inklusion” insgesamt (also in allen gesellschaftlichen Bereichen) entwickelt? Ist es immer noch nur ein Thema, eine Idee, die in unseren Köpfen existiert oder passiert da schon etwas?
Sebastian: So ganz langsam passiert was. Es gibt jetzt zum Beispiel Computerspiele, die ein bisschen in die richtige Richtung gehen, und dann gibt es wieder Situationen, wo man denkt: Wieso fangt ihr jetzt wieder bei Null an?! Es wird zwar immer gesagt, Dinge sollen barrierefrei sein, meistens sind sie es dann aber nicht. Oder am Musikkonservatorium, da wird zu Leuten gesagt: “Hey, das wäre doch super für dich, ein Instrument zu lernen.” Nur sitzt die Person im Rollstuhl und es gibt dort keinerlei Pflegeeinrichtung. Einerseits ist gewollt, dass alle überall mitmachen können, andererseits gibt es dann Probleme zum Beispiel beim Thema Hygiene und dann kann man dort einfach nicht entspannt sein und entspannt arbeiten.
Diese Erfahrung mache ich auch sehr oft, das fängt schon in den Kindergärten oder der Schulen an, die sich “Inklusion” auf die Fahne schreiben, oft aber weder barrierefrei sind noch über geschultes (und ausreichend!) Personal verfügen… In eurer Band spielen und singen Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen. Oft wird, wenn es um Locations geht, Barrierefreiheit mit “rollstuhlgerecht” gleichgesetzt. Für Dich, Sebi, sind aber ja zum Beispiel wahrscheinlich eher Blindenleitsysteme etc. wichtig, um Dich selbständig in einem Club o.ä. bewegen zu können. Was müsst ihr, wenn ihr ein Konzert spielen wollt, im Vorhinein planen und abfragen, damit es für Euch ein entspannter Abend für alle werden kann? Was würdet ihr Euch von Veranstalter:innen diesbezüglich wünschen?
Sebastian: Ich fürchte, man wird mit der Barrierefreiheit nie alle erreichen können, da zum einen alle Clubs so verschieden sind und zum anderen auch die Bedürfnisse der Menschen. Es geht ja schon auf der Bühne los: Wenn die klein und eng ist und alles ist am Wackeln, muss ich schon sehr aufpassen, dass ich das Gleichgewicht nicht verliere. Ich bin in Clubs, auch weil die alle so verschieden sind, im Grunde immer auf Mithilfe angewiesen.
Vielleicht hilft es zumindest ein bisschen, diese Themen und Bedürfnisse sichtbar zu machen, damit Veranstalter:innen informiert sind und sich so zumindest der jeweils individuellen Barrierefreiheit annähern können…Philipp, Du spielst ja auch in Bands, in denen ausschließlich Menschen ohne Behinderungen spielen, z.B. bei den Postpunkern Messer – Kannst Du Unterschiede in den unterschiedlichen Bereichen benennen? (z.B. Konzertplanung, Aufnahmen, Bandgefüge, Songwriting etc.)? Hast Du eine Idee, wie Bands und Musiker:innen ohne Behinderung – außer selbst Teil davon zu sein – inklusive Bands anderweitig unterstützen könnten?
Philipp: Die Unterschiede, die ich erlebe, liegen nicht primär am inklusiven Charakter der Band, sondern in der Musik selbst: Bei Station 17 gibt es nicht den einen Songwriter, der eine Demo mitbringt, und dann wird gemeinsam arrangiert. Viel entsteht auf Basis von Improvisationen, die dann nach und nach immer fester gezurrt werden. Jeder bringt intuitiv die Ideen ein, die er so im Repertoire der eigenen Vorstellungskraft und des eigenen Könnens auftreibt – und das ist wohl bei allen Bands so.
Die Sache mit der Unterstützung ist wieder ein anderes Thema: Auch in der Musikszene, wie überall sonst, herrscht Konkurrenz, nicht aus Fiesheit der Musiker*innen, sondern weil eben um die Festivalslots, um die wichtigen Spotify-Playlists und überhaupt um die Aufmerksamkeit der Leute gebuhlt werden muss. Man hat also nicht einfach ein Mittel in der Hand, um anderen wirklich zu helfen – mal abgesehen vom läppischen Teilen von Instagram-Stories und es sei denn, jemand hat es so richtig “geschafft”.
Ja, vermutlich ist tatsächlich der Support in den Sozialen Medien zumindest ein relativ “einfacher” Weg, sei es eben durchs Beiträge teilen oder das Abonnieren von Bandprofilen etc. Wie barrierefrei sind eurer Erfahrung nach deutsche Bühnen und könnte eventuell eine nicht ausreichende Barrierefreiheit auf und hinter der Bühne ein Grund dafür sein, dass wir noch immer eher wenige Musiker:innen mit sichtbaren Behinderungen kennen? Wie wichtig ist eurer Meinung nach die Präsenz von Menschen mit (sichtbaren) Behinderungen für ein inklusives Publikum?
Sebastian: Also die Behinderungen müssen nicht sichtbar sein, die Menschen aber schon, damit sie zeigen können, was sie draufhaben, um dem Ganzen das Besondere zu nehmen. Ich glaube aber nicht, dass es an der mangelnden Barrierefreiheit liegt, dass so wenig Menschen mit Behinderung auf Bühnen gehen. Ich glaube eher, das ist ein allgemeineres Thema. Das ist einfach noch tief in der Gesellschaft drin. Noch vor gar nicht so langer Zeit hat man in Alsterdorf, wo Station 17 seinen Ursprung hat, die Behinderten weggesperrt.
Philipp: Das sehe ich auch so. Die eine Hälfte ist die Einforderung von mehr Barrierefreiheit, um konkrete Vereinfachungen in der Lebenspraxis zu schaffen. Die andere Hälfte ist aber die wesentlich grundlegendere Kritik an der Einrichtung der Gesellschaft, deren geltenden Erfolgsbedingungen notwendigerweise gegen Menschen ausschlagen, die besondere Bedürfnisse haben. Oft scheint mir die inklusive Kritik viel zu bescheiden geäußert zu werden – es ist weit mehr fällig als ein feines Nachjustieren an Erscheinungsweisen dieser sogenannten Leistungsgesellschaft.
Ja, da gebe ich Dir recht. Ich könnte mir vorstellen, dass das oft daran liegt, dass Menschen, die sich täglich mit dieser Thematik auseinandersetzen (müssen!), oft auch keine Kraft mehr haben, laut zu kämpfen. Allgemein beim Thema Kommunikation habe ich oft das Gefühl, dass eine große Unsicherheit seitens der Menschen ohne Behinderung herrscht, weil sie befürchten, etwas “Falsches” zu sagen. Das rührt bestimmt auch daher, dass viele Menschen oft gar keine Berührungspunkte und Kontakte mit Menschen mit Behinderungen haben. Was würdet ihr diesen Menschen gerne sagen? Seht ihr eure Musik auch als einen “Barrierebrecher” für solche Unsicherheiten?
Sebastian: Ja, würde ich schon sagen. Musik verbindet! Und auf Konzerten springen Mitglieder der Band auch schon mal ins Publikum und tanzen mit den Leuten, da entstehen manchmal die verrücktesten Situationen. Während ich da feststehe, weil ich nicht weiß, ob ich sonst nicht auf Effektgeräte oder Kabel trete, hüpfen die anderen wild rum. Und das finde ich gut, da ist nichts stocksteif, während es gesellschaftlich aber nach wie vor ein Tabuthema ist, über das nur sehr wenig gesprochen wird.
Philipp: Nach Konzerten kamen schon öfters Leute zu mir, die sagten: „Das war so schön locker und unverkrampft!“ Man hört da heraus, dass wir für die Leute mitunter eine entlastende Funktion einnehmen: Ihre eigenen Unsicherheiten werden (zumindest für die Dauer des Konzerts) dadurch aufgeweicht, dass wir sie nicht haben.
Ich habe jetzt schon mehrfach in den Interviews, insbesondere von Menschen mit Gehbehinderung, gehört, dass es Clubs in Deutschland gibt, die Besucher:innen im Rollstuhl keinen Einlass gewähren, mit der Begründung des Brandschutzes. Habt ihr auch schon derartige Erfahrungen gemacht, also seid ihr, ob als Band oder als Besucher:in schon einmal irgendwo an der Türe abgewiesen worden?
Sebastian: Nein. Nur beim Thema Brandschutz fällt mir ein: Wir hatten einmal ein Erlebnis in Aachen, wo die Venue wegen fehlender Brandschutzbestimmungen an dem Tag geschlossen wurde, an dem wir spielen sollten. Dann wurde das ganze Publikum kurzfristig umgeleitet und wir konnten an einem anderen Ort das Konzert noch spielen.
Großartig…Zum Schluss würde ich gerne Platz für ein paar Abschlussworte lassen, die ihr unseren Lesern gerne mit auf den Weg geben würdet!
Sebastian: Bleibt gesund!
Vielen lieben Dank ihr beiden für das interessante Interview und Euch wünschen wir natürlich auch einen gesunden Start ins neue Jahr und hoffen, dass ihr bald wieder auf die Bühne könnt!