Interview mit Linus Bade
Hi Linus, super, dass du dir Zeit nimmst für ein Interview für die Reihe MusInclusion beim Vinylkeks. Wenn man etwas googelt, findet man viel, du bist ja wirklich sehr aktiv! Magst du dich mal vorstellen?
Ja, ich bin 23 Jahre alt, gelernter Mediengestalter und habe schon immer eigene total vielfältige Projekte gemacht. Ich bin in der Aktivismus-Szene zum Thema Inklusion und Barrierefreiheit unterwegs. Mittlerweile berate ich da auch und daneben habe ich einen Verein, über den wir immer wieder Projekte fördern lassen. Seit ein paar Jahren bin ich auch immer mal wieder vor der Kamera und schauspielere, dazu mache ich selber noch Meinungsvideos auf Instagram.
Ich habe mal dieses Video von dir gesehen, in dem es um ein Telefonat mit der Krankenkasse geht… Das war so super!
Das war ein Zufallsvideo, weil wir hatten an dem Tag schon einen Videodreh, wo wir einfach nur die Stimmen von Warteschlangen aufnehmen wollten, dafür habe ich es eigentlich aufgenommen. Und dann habe ich zufällig einen Mitarbeiter gehabt, der sich voll daneben benommen hat. Ich nehme sonst nie Telefonate auf.
Ich könnte mir vorstellen, so ein Verhalten von Telefongesprächspartner*innen ist dir wahrscheinlich schon öfter passiert, oder war das eine Ausnahme?
Also, es hat sich gebessert, aber klar, es kommt immer wieder vor, dass Leute denken, ich verarsche sie, wenn sie mich hören. Oder sie wollen mir auch immer mal wieder eine geistige Beeinträchtigung anhängen und mir nicht glauben, dass ich weiß, was ich erzähle.
Ja, das kann ich mir vorstellen. Aber du hast das Gefühl, es ist schon besser geworden? Meinst du, es liegt vielleicht auch an der Arbeit, die du und auch andere Aktivisten und Aktivistinnen machen? Diese ganze Awareness Arbeit und die Schulungen in Unternehmen, die du eben erwähnt hast.
Das Thema Inklusion kommt immer mehr an, aber das dauert. Ich schule diese grundsätzlichen Themen: Wie gehe ich mit Menschen mit Behinderung um? Wie behandle ich sie? Es gibt Ausnahmen wo das super funktioniert. Das hatte ich gestern erst in einem Restaurant, es gibt aber auch sehr auf den Fall, wo man sieht, die Menschen sind unsicher und handeln dann auch dementsprechend falsch.
Für die Menschen, die das jetzt hier lesen, würdest du da vielleicht einen kleinen Tipp verraten aus der Schulung?
Gelegentlich überlege ich nachdem ich so eine Schulung gemacht habe: „Eigentlich habe ich ja gar nichts gemacht, Warum verlange ich da Geld?“ weil das ist so einfach. Die Kernaussage ist so: „Behandle mich so, wie jeden anderen Menschen auch, dann geht alles andere schon irgendwie“. Du kannst den barrierefreiesten Raum anbieten, aber wenn die Leute darin nicht offen sind und Lust haben, mit einem Behinderten zu kommunizieren, dann bringt so ein Raum auch gar nichts. Aber sobald Inklusion im Kopf ist, ist alles andere verhandelbar. Es geht nicht darum, mich als behinderte Person zu bemuttern, sondern mich so zu nehmen wie alle anderen Menschen. Und wenn ich Hilfe brauche, dann melde ich mich. Es geht darum, das Gefühl zu vermitteln. „Du kannst dich jederzeit an uns wenden und wenn nicht, dann bist du hier einfach wie alle anderen Kundinnen und Kunden auch.“
Ja, ich glaube ich weiß genau, was du meinst. Für eine Person mit Behinderung ist es unangenehm und übergriffig, wenn einfach Leute daherkommen und ihr ungefragt die Dinge aus der Hand nehmen. Die Leute wollen sicher nur irgendwie helfen, aber Übergriffigkeit und Bevormundung sind genau das Gegenteil. Letztendlich ist gut gemeint, nicht immer unbedingt gut.
Hier wäre ein so Dialog als falsch-richtig Beispiel: „Soll ich dir aus der Jacke heraus helfen“, oder, „Oh hier ist eine Stufe, soll ich dir behilflich sein?“ ist nicht so gut. Es ist besser, einmal klarzustellen, „Ich bin da, melde Dich gerne, wenn Du was brauchst“, das reicht tatsächlich vollkommen.
Wie könnte man das speziell für Locations so sehen?
Es geht hauptsächlich darum, wie die Veranstalter*innen kommunizieren, bevor ich als Behinderte*r da bin. Sodass ich möglichst genau erfahre, was mich beim Konzert erwartet. Das sind so Details wie: Untergrundbeschaffenheit, Sitzgelegenheiten, Wegstrecke zur Toilette, Blindenleitsystem, Assistenz, Gebärdensprache…. wenn das alles online und wertneutral zur Information bereitsteht, kann ich mich als Mensch mit Behinderung darauf einstellen. Wenn dann noch da steht: „Wir sind offen für jegliche Fragen, kontaktiere uns einfach“, dann brauche ich nichts Zusätzliches mehr.
Ich bin mal über den Begriff „Barrierearm“ gestolpert. Was hältst du von solchen Begriffen?
Also, ich finde den besser als barrierefrei. Barrierefrei ist für mich eine Image-Aufbesserung die nie erreicht wird. Nie! Egal, wie viel Kohle du in die Hand nimmst und wie viel wissen. Du wirst einen Ort nie barrierefrei machen. Ein einfaches Beispiel: Bordsteinkanten. Sie sind für Rollstuhlfahrer*innen super doof. Aber Menschen, die blind sind, die brauchen diese Bordsteinkanten, um zu wissen, da ist eine Straße oder ein Weg. Jenen, die sagen, „ja, wir sind barrierefrei“, denen sage ich, „komm, hör auf, an uns behinderten Menschen dein Image zu verbessern. Das ist eine Lüge. Dann schreib, wir sind barrierearm und erklär, was genau du hast. Geh ins Detail und schreib: Wir sind für die und die Zielgruppe barrierearm, weil wir haben Rollstuhlzugänge, wir haben für Blinde Audio Guides. Dafür sind wir barrierearm.“ Keiner erwartet, dass du von heute auf morgen für jeden offen bist, aber ich erwarte, dass Menschen transparent machen, was sie haben.
Wenn Unternehmen, die du beraten hast, zum Beispiel hinterher zu dir sagen: „Linus, das war jetzt so einfach und selbsterklärend, warum sollen wir denn dafür Geld bezahlen?“ Hast du dann das Gefühl, die haben das überhaupt durchdrungen und verstanden, worum es geht und dass sie etwas verändern und umsetzen können, von dem Coaching?
Ich sage mal, Unternehmen, die Geld für sowas in die Hand nehmen, die haben schon den wichtigsten Schritt genommen, denn sie erkennen ihr Problem und die wollen handeln. Und sie wollen auch vergüten. Ich habe viele Anfragen nach dem Motto: „Kannst du mal hier herkommen, ehrenamtlich?“ Da denke ich, wenn ich ein Unternehmensberater für andere Bereiche wäre, dann würde ich genauso und wahrscheinlich sogar viel höhere Stundensätze verlangen. Da ist eine Wertschätzung, denn man will eine Beratung, damit man inklusiver wird. Und dann bezahlt man die Leute nicht, was ja wieder das Gegenteil von Inklusion ist.
Du bist leider nicht der erste Aktivist, der so etwas sagt. Ich habe das schon öfter gehört, dass viele Aktivisten Anfragen bekommen über sämtliche Kanäle und dabei scheinbar öfter erwartet wird, dass sie Gratisschulungen anbieten. Quasi als ehrenamtlicher Erziehungsauftrag, der als Job aus der Behinderung erwächst.
Da ist das Motto dann so: „Wir machen doch etwas, was wollt ihr denn noch? Und sei mal dankbar, dass wir an dich denken, weshalb nimmst du dann dafür Geld? Damit bereicherst du dich ja wegen deiner Behinderung!“ Aber ein Software-Entwickler verlangt auch Geld dafür und verkauft. Warum sollte ich meine Skills, die ich aus langjährigen Lebenserfahrungen angesammelt habe, nicht auch verkaufen, ohne dass es eine moralische Katastrophe ist?
Ja, du hast schließlich was zu sagen, gute und wichtige Dinge. Mir hat mal jemand außenstehendes, ganz treffend gesagt: „Ich weiß nicht, wie es ist, eine Behinderung zu haben, ich kann es mir nur versuchen vorzustellen.“ Deswegen ist es so wichtig, solche Erfahrungsberichte zu hören von jemanden, der das tatsächlich erlebt. Wäre es nicht gut, wenn diese Schulungen gefördert werden?
Es ist besser, als umsonst, warum nicht? Ich finde, wenn man dafür Förderungen nimmt, zeigt das ja wieder: „Wir wollen dafür kein Geld in die Hand nehmen. Entweder, es gibt Geld von anderen, oder es ist uns egal.“ Also es ist besser als gar nicht. Falls es eine Förderung dafür gäbe, warum nicht? Da würde ich niemals Nein sagen. Aber es ist besser, wenn es aus eigener Überzeugung kommt. „Klare Sache, wir als Firma wollen Inklusion und wissen nicht wie es geht.“ Dann wird wenigstens mal Geld in die Hand genommen, wie für jeden anderen Bereich. Das sollte zu den Selbstverständlichkeiten gehören, wie zum Beispiel Brandschutz-Schulungen. Das ist eben Pflicht, das muss das Unternehmen bezahlen. Warum auch nicht für Inklusion?
Richtig, weil es kann ja auch einfach jede und jeder behindert werden. Ein Unternehmen kann somit ja auch schon von vornherein darauf eingestellt sein, dass Angestellte plötzlich eine Behinderung bekommen und trotzdem ihren Job bestmöglich weitermachen können. Das wäre eine win-win Situation.
Wenn ich arbeiten gehe, finde ich das Wollen viel wichtiger. Ich selbst habe auch eine Situation, wo ich Arbeit suche und das ist fast unmöglich. Weil sobald in der Bewerbung steht, dass jemand behindert ist, kommt gleich der Gedanke: „Oh Gott, das können wir nicht. Der hat auch zu viele Rechte, den können wir ja nie mehr kündigen.“ Das ist völliger Nonsens, nur man will sich damit nicht auseinandersetzen. Und dafür sind dann diese Ausgleichszahlungen, die dann Arbeitgeber zahlen müssen. Die im Übrigen viel zu wenig sind. Das sind bis zu 300 € im Jahr. Im Jahr!
Das ist doch echt ein Witz. Die Kosten von 300 € im Jahr entsprechen im Unternehmen in etwa dem Preis für das Abo einer Fachzeitschrift.
Ich wollte dazu noch erwähnen, es gibt sogar noch eine andere Möglichkeit, diese Zahlungen nicht zu erfüllen. Und zwar, wenn man als Ausgleich Ware annimmt aus Behindertenwerkstätten. Das ist so absurd! Das ist so ekelhaft!
Genau da ist ja jetzt auch schon die ganze Zeit diese Diskussion im Gange, ob die Arbeit in Behindertenwerkstätten nicht schon an sich diskriminierend ist. Wobei manche behinderte Menschen eben auch sagen, dass sie sich dort wohl fühlen. Von daher kann ich dazu momentan auch nicht allzu viel sagen.
Wir haben 2018 in der UN Behindertenrechtskonvention unterschrieben, dass wir keine Werkstätten mehr haben wollen und dass die abgebaut werden. Das Ergebnis ist, dass wir mehr haben, als 2018.
Genau wie die Anzahl der Schüler mit Integrations-Status(die möglicherweise gar keinen Status benötigen), die steigt ja auch. Damit Deutschland eben dem Inklusionsanspruch genügt und vielleicht auch die Statistik zum eigenen Vorteil schönt. Da steht ja auch die Frage im Raum, wo die zigtausend Kinder pro Jahr herkommen, die auf einmal alle einen Förderbedarf haben sollen.
Das ist ein schwieriges Thema. Also in Werkstätten wird unter Mindestlohn bezahlt. Es sieht nicht gut aus, wenn deutsche Firmen sich das Recht rausnehmen, in China zu produzieren, um da niedrige Löhne zu zahlen, die wir hier sonst nicht zahlen dürfen. Oder sie gehen einfach hin und die Produktionsstätte liegt in Deutschland, aber in einer Behindertenwerkstatt, die wir auch kaum bezahlen müssen. Für mich ist das legale Sklavenarbeit, mehr nicht.
Ja, das ist wirklich peinlich. Und wie war demgegenüber deine Arbeitserfahrung beim Film? Zum Beispiel für die Rolle, die du hattest in dem Film „Einfach mal was Schönes“. Erzähl doch mal, wie das war. Sind sie da an dich rangetreten / du an sie für eine Besetzung als Person mit Behinderung oder hast du dich vielleicht sogar auf eine Rolle beworben, die gar nicht explizit mit Behinderung angedacht war und dann haben sie dich ausgewählt, worauf aus der Rolle dann halt ne Person mit Behinderung wurde?
Das war komplett anders. Also, der Film ist von Karoline Herfurth und die hat in ihrem Umfeld einen Menschen mit Behinderung. Sie wollte in dem Film auch eine Rolle mit Behinderung und die wollte sie mit Absicht nur mit einer behinderten Person besetzen. Was super cool ist. Sie fanden aber leider gar keine passende Schauspieler*in und über Umwege (über Freunde von mir) haben sie mich zwei Wochen vor Drehbeginn gefunden. Ich hatte überhaupt keine Erfahrungen mit Kinofilmen! Dann wurde ich gecastet und dann hieß es wir nehmen dich. Ich wusste noch gar nicht, wie viel man dafür bekommt und auch gar nicht, ob ich jetzt ein Komparse bin? Und dann hieß es: „Nö-nö, du bist ein Darsteller und hast eine richtige Rolle“
Ja, super! Also, du hast eine richtige Gage bekommen. Du hast ja auch eine total spezielle Anforderung erfüllt, die scheinbar schwer zu besetzen war als Rolle, weil es ja scheinbar so wenig Schauspieler*innen gibt mit Behinderung. Und weil es vielen von vorne herein vielleicht oft nicht zugetraut wird und ihnen diese Zukunftsperspektive fehlt, mit Behinderung Schauspiel zu studieren und anschließend auch ein Engagement zu bekommen. Selbst diese Rollen werden ja meistens wieder nur von Menschen ohne Behinderung gespielt.
Das hat viele Gründe. Fast alles wird von Menschen ohne Behinderung gespielt, die dann komplett einen auf krank gemacht werden. Das müsste eigentlich verboten werden. Und die Begründung ist zum Beispiel: „Die Person kann ja nicht ans Set, weil unser Set ist ja nicht barrierefrei. Ja sobald eine Frauen und Männer am Set sind, brauchst du getrennte Toiletten. Wenn Sie mich mit Behinderung nehmen, dann haben sie dafür zu sorgen, dass das Set barrierefrei für mich ist. Wenn das nicht der Fall ist, dann sollten sie auch keine Rolle als Behinderte anbieten, die dann bloß von Nicht-Behinderten gespielt werden muss. Dazu heißt es immer Arbeitssicherheit und Brandschutz. Das ist komplett Bullshit. Bei diesem Dreh war es glücklicherweise das komplette Gegenteil, die waren so offen und hatten alle so Bock. Da war es egal wie viel Stufen da waren. Sie haben mir zu verstehen gegeben: „Mach dein Ding und wenn du Hilfe brauchst, wir sind da“. Da war bei dem Dreh dann tatsächlich eine Stelle, wo ich gesagt habe, das kann ich nicht. Und da hieß es: „Gut, dann ist es halt anders“. So lief es gut und so muss es gehen. So ist Inklusion. Und das hat Karoline Herfurth und das ganze Team an dem Set zu 100 % erfüllt.
Ach, super!
Und es wurde an keiner Stelle in der Öffentlichkeit thematisiert, dass wir eine Person mit Behinderung am Set haben. Überall stand mein Name, aber mehr nicht. Das ist Inklusion und das ist so einfach.
Ja richtig. Das Thema hatten wir auch öfter bei Bands. Die Frage: „Sagt man es jetzt an, oder sagt man es nicht an?“ Auch bei MusInclusion hat sich uns öfter die Frage gestellt. Der Name sagt es ja schon, dass es um Inklusion geht und dadurch wirft man natürlich bereits ein Spotlight darauf. Im Endeffekt fanden wir es für die Reihe richtig, dass man gezielt im Internet suchen kann nach Inklusion und Musik und sich dann Informationen holen kann.
Ja, ich finde das super und es ist halt auch einfach wichtig, dass man es nicht nur als Werbeschild benutzt. Dann finde ich es wirklich cool.
Möchtest du eigentlich noch weiter machen in der Filmbranche?
Ja, ich versuche es jedenfalls. Ich habe durch den Film total viele Kontakte bekommen und kann über Social Media vieles teilen. Dadurch habe ich dann einen Werbespot gedreht vom Familienministerium zum Thema „Zwei Jahre Corona sind jetzt vorbei, für Zusammenhalt und um allen Menschen Mut zu machen“.
Und das nächste Film Angebot hast du auch schon?
Ja, ich hatte unter anderem wieder eine kleine Komparsenrolle.
Und wie heißt der Film?
Der Film wird heißen “Eine Million Minuten”. Er kommt, glaube ich nächstes Jahr raus. Bei dem Produzenten habe ich auch zwei Monate Praktikum in der Firma gemacht. Bzw. ist das die selbe Produktion, wie bei „Einfach mal was Schönes“. Dort habe ich auch schon das Drehbuch gelesen unter anderem. Und für die Filmszenen in Deutschland und im Ausland habe ich Kulissen rausgesucht, beziehungsweise ein MoodBoard erstellt. Ich weiß aber überhaupt nicht, ob das irgendeinen Einfluss hat. Letztens hatte ich auch eine kleine Rolle für einen Fernsehfilm, wofür ich extra nach Köln gefahren wurde. Mal sehen, was noch so kommt, ich liebe diese Film Welt, das ist so eine komplett eigene Welt. Chaotisch, aber das passt voll zu mir.
Ja voll gut, ich freu mich total für dich. Ich werde mir auf jeden Fall deinen Film auch wieder angucken. Am liebsten natürlich wieder zusammen mit dir im wunderschönen Vintagekino Thalia (Berlin Steglitz), in dem wir zusammen „Einfach mal was Schönes“ geschaut haben. Das war toll und ein super Erlebnis.
Vielen Dank dafür und auch für das tolle Interview, lieber Linus!