Das Niranium-Festival in Berlin begegnet zu 100% den Interessen der Interviewreihe Diversity Dive und ist gleichzeitig auch besonders im ersten Part voll gepackt mit Infos für alle Fans unserer Interviewreihe MusInclusion. Deshalb habe ich kurzerhand eine Fusion daraus gemacht. Viel Spaß beim Lesen!
Nira: Das alles in so einem Melting Pot zusammenzubringen, sodass da eine bunte Vielfalt entsteht. Die Vielfalt, die wir auch in Berlin haben, die so geil ist.
Hi Nira und Caro, ihr habt zusammen ein Festival geplant am 09.09.2023. Wie heißt denn das Festival?
Nira: Es heißt Niranium.
Hört sich irgendwie krass an, wie ein neues Element zum Beispiel.
Nira: Daraus kann vieles gemacht werden: Eine Sternenkonstellation, eine chemische Verbindung oder eine Rockformation…
Und um Rock geht es auch, es ist ja hauptsächlich ein Rock Festival. Welche Location habt ihr dafür?
Nira: Das ist die Kantine am Berghain. Am 9. September findet es quasi als End-Festival statt, wenn dann im Herbst die Festival Saison vorbei ist.
Caro: Wir sind darum auch ein Indoor-Festival, zelten kann man also nicht.
Nira: Wir haben extra geschaut, dass es auch einen Biergarten beziehungsweise eine Außen-Fläche gibt, damit man sich auch mal ausruhen kann.
Caro: Es soll schon wie ein Festival sein. Sodass man auch woanders innerhalb der Location hingehen kann und vergisst, mitten in Berlin zu sein. Draußen gibt es Essen und Trinken von Vegan bis Fleisch.
Ist dann auch angedacht, dass sich dadurch dann so eine Art Safe Space ergibt z.B. für Menschen mit unsichtbaren Behinderungen, chronischen Erkrankungen und denen, die sich zum Beispiel zwischendurch erholen müssen von teils anstrengenden Sozialkontakten und Reizüberflutung?
Nira: Ja, wir sind ein Inklusions-Festival. Da haben wir extra drauf geachtet.
Caro: Natürlich in dem Rahmen, in dem wir darauf achten konnten, weil wir sind nämlich ein kleines Festival.
Nira: Dass jetzt zum Beispiel GebärdendolmetscherInnen auf der Bühne stehen oder Brailleschriften, das können wir noch nicht. Auf jeden Fall haben wir eine rollstuhlfahrerInnengerechte Toilette.
Caro: Wir haben auch extra LotsInnen dafür abgestellt, die die Leute rumführen können, damit sie wissen, wo sich alles befindet und wo sie sich den Schlüssel holen können. Es gibt einen sicheren designierten Platz für RollstulfaherInnen vor der Bühne mit Begleitpersonen, der von den LotsInnen gezeigt wird, leider können wir diesen aber nicht absperren, jedoch wird das so von der Bühne am Anfang des Festivals kommuniziert. Das gilt bestimmt auch für die Unterstützung von Menschen mit Sehbehinderung oder Blindheit. Die Begleitperson kommt natürlich auch umsonst rein.
Ist es ein eigener Toilettenschlüssel von der Location oder ist das ein Euro-Schlüssel?
Nira: Das ist ein Schlüssel von der Location, der an der Bar hinterlegt wird, damit die Toilette eben nicht ständig besetzt ist und auch eher hygienisch rein bleibt.
Würden die LotsInnen, eventuell auch so ein bisschen helfen wie eine Assistenz, falls jemand ohne Begleitperson käme?
Caro: Ja, absolut. Die sind dafür auch da.
Ah, also, falls jemand alleine käme und sich spontan entscheidet, einfach bei euch aufzuschlagen und am Eingang sagt: „Ich brauche eure Hilfe in manchen Situationen“, dann wäre das möglich?
Nira: Wir haben ein Awareness-Team in zwei Schichten, und die erfüllen alle Funktionen, zum Beispiel auch als ErsthelferIn.
Eine Sache noch, die vorab peinliche Situationen ersparen kann für manche Menschen: Würde jemand aus der Awareness, falls die Notwendigkeit besteht, RollstuhlfahrerInnen Hilfestellung geben in Situationen wie dem Toilettengang?
Ich frage deshalb so detailliert, weil ich denke, das ist genau so eine Sache, die auch die Leute manchmal abhalten kann, ein Festival spontan zu besuchen. Manche trauen sich vielleicht auch nicht, sowas zu fragen. Die Folge ist dann eben schlimmstenfalls, dass jemand gar nicht erst alleine los fährt zum Festival oder sich vor Ort dann eventuell überlegt, möglichst nichts zu trinken, damit der Toilettengang eventuell erspart bleibt.
Nira: Ja, dabei unterstützen wir ebenfalls professionell und diskret. Wir haben eine geschulte Person im Team, die ist Altenpflegerin / Personenpflegerin. Da haben wir extra drauf geachtet.
Ja super! Wie gut ihr organisiert seid für euer kleines Festival! Voll gut, ey.
Caro: Awareness ist mir persönlich ein total wichtiger Punkt. Es ist gut, dass jemand da ist, den man ansprechen kann, wenn irgendwas ist, man sich unwohl fühlt oder man Hilfe braucht.
Schreibt ihr das in eurer Festivalbeschreibung dazu, was genau einen erwartet?
Nira: Ja, das steht auf jeden Fall alles drin. Wir geben uns Mühe, da auch alles aufzulisten und transparent zu machen.
Caro: Wir machen das alles so, dass auch Leute mit Behinderung da hinkommen können und sich sowohl trauen als auch zutrauen, spontan zu sein. Es ist auch ausdrücklich erwünscht von der Förderung durch Musicboard, dass wir inklusiv sind.
Nira: Deswegen habe ich auch lange gesucht nach einer Location, die das alles bietet, was nicht immer einfach war. Aber die Kantine am Berghain möchte auf jeden Fall auch inklusiv sein.
Wieviel Leute passen in die Kantine am Berghain?
Nira: 240 Leute. Das reicht auch erst mal komplett für das erste Festival.
Das ist jetzt also das erste Festival, dass ihr zusammen organisiert?
Caro: Genau.
Nira: Ich hab das schon mal gemacht vor sechs Jahren zu meinem 30. Geburtstag, in der Panke oben in Berlin Wedding. Das war auch behindertengerecht. Da habe ich im Endeffekt aber niemand bemerkt, der/die darauf angewiesen war.
Ich glaube, da kommt es erst mal gar nicht so drauf an. Selbst wenn du nicht bemerkt (unsichtbare / unausgeprägte Behinderung) hast, dass jemand kam, obwohl du alles mögliche bereit gehalten hattest für den Fall und auch niemand auf dein Awareness-Team angewiesen war, ist das noch lange nicht umsonst gewesen. Du kommunizierst in jedem Fall, dass es bei dir diese Möglichkeiten gibt und bist Teil des Barriereabbau. Indem du die Möglichkeit zu mehr Eigenständigkeit und Teilhabe bietest, können Menschen mit unterschiedlich ausgeprägter Behinderung besser kurzfristig und unabhängig entscheiden, am Wochenende zusammen mit ihren FreundInnen oder auch alleine auszugehen. Zudem transportiert es eine wichtige Botschaft: Wohlwollen, Sicherheit und Akzeptanz.
Nira: Natürlich kann man immer noch alles ein bisschen besser machen. Zum Beispiel könnte auch die Bar an einer Stelle ein bisschen niedriger sein, damit Personen mit Rollstuhl besser rankommen beim Bestellen, aber das war jetzt eben leider noch nicht möglich.
Deswegen haben wir auch die LotsInnen. Sie sind einfach da und unterstützen unaufdringlich, wo Hilfe benötigt wird.
Sag doch noch mal, was für Bands auf dem Niranium spielen!
Caro: Als Opener haben wir die Shamaniacs. Wie gesagt, das sind alles ansässige Berliner Bands, mit internationalen Mitgliedern.
Also habt ihr auch auf Vielfalt geachtet in diesem Bereich.
Nira: Absolut! Deswegen, Shamaniacs zum Beispiel sind Jungs aus Syrien und einer davon ist Koreaner-Deutscher. Dann haben wir Kaos, vier FLINTA aus Berlin. Eine davon hat amerikanische Wurzeln.
Die kenne ich, die sind ziemlich geil. Die waren doch bei Grrl Noisy und haben richtig Stimmung gemacht.
Nira: Ja, die haben zwar nicht viele Lieder online, aber die sind so geil, die werden richtig reinhauen. Das sind dann unsere zwei Newcomer sozusagen. Danach haben wir Fatigue da, eine 100 % FLINTA-Band. Die kennen wir ja auch aus der Grrrl Noisy, sie gehen zum Beispiel mit Acht Eimer Hühnerherzen für ihr neues Album auf Tour. Die sind gerade schon gut im kommen.
Das Album von Fatigue haben wir ja auch hier bei Vinylkeks besprochen.
Caro: Und meine Band Eat Lipstick tritt auch auf. Ich wurde vorher gefragt, ob wir auftreten wollen und später dann kam ich erst zur Co-Organisation. Wir sind eine Drag-Quer-Glam-Punkband. Also, es wird viel Glitzer, Schminke und Party geben an diesem Abend.
Ich habe ja schon dein neues Outfit für’s Niranium gesehen! Sehr geil.
Nira: Da sind dann auch zwei Amerikaner, zwei Deutsche mit dabei und eine Person ist kolumbianisch – amerikanisch.
Nach Eat Lipstick kommen Voodoo Beach. Die waren beim Grrrl Noisy Festival. Die einzige Band, die mit deutschen Texten singt. Das war uns auch wichtig, dass man da noch deutsche Lyrics mit reinholt. Die Headliner heißen The Third Sound. Das ist Hákon Aðalsteinssons Soloprojekt, er ist auch bekannt als Sänger der Band Singapore Sling und ebenfalls Mitglied bei The Brian Jonestown Massacre. Das Album wurde von Anton Newcombe, dem amerikanischen Produzent und Gründer der Band The Brian Jonestown Massacre veröffentlicht. Hákon ist aus Island und die restlichen Mitglieder sind von überall aus der Welt.
Caro: ich freue mich auf jeden Fall total, dabei zu sein und auch, dass es auch ein feministisches Team ist. Wir sind nur Frauen!
Wollt ihr das auch in Zukunft noch zusammen weitermachen?
Nira: Wir müssen dann mal gucken, wie’s läuft.
Caro: Und wie wir beide unser Stress-Level zusammenkriegen. Aber so ein Traum ist es schon.
Für dich war es jetzt das erste Mal, dass du so ein Festival veranstaltest?
Caro: Nein, tatsächlich nicht.
Was hast du bisher so veranstaltet, willst du vielleicht mal ein paar Sachen nennen?
Caro: Oh Gott, ja, das waren meistens so kleine Festivals und Konzerte. Zum Beispiel das Meet The Rock Festival. In der KVU bin ich auch oft dabei. So kleinere Punk Locations, Support Underground, Local Bands. Und deswegen fand ich auch das Niranium so überzeugend, so dass ich dachte: „Ja, da hab ich Bock drauf!“
Natürlich mache ich das auch, um weiter Erfahrung zu sammeln. Vor allem soll das ja auch irgendwann mal mein Leben werden.
Nira: Das Kernteam besteht tatsächlich nur aus Frauen. Wir haben eine Buchhalterin, eine Designerin und halt wir zwei Organisatorinnen. Natürlich hoffen wir, dass wir das Team auch irgendwann ausbauen können, aber fürs erste ist das schon ganz gut so.
Also plant ihr das so richtig professionell aufzuziehen?
Nira: Ja, auf jeden Fall! Ich hab da Bock drauf, denn ich habe Event Management studiert.
Es gibt auch noch etwas besonderes an diesem Traum Team und das ist, dass wir ein kommerzielles Festival werden möchten. Nichts gegen Charite / gemeinnützige Festivals, die sind super, die muss es auch geben. Wenn man ein Leben davon aufbauen möchte, dann muss man eben leider kommerziell werden. Wenn du dir anguckst, was es hier in Deutschland überhaupt an großen Festivals gibt, wir reden jetzt hier von Lollapalooza, Rock im Park, Hurricane usw. Das sind alles männerorganisierte große Konzerte. Also ich meine, wir können uns ja über die Festivals aufregen, oder auch nicht, die haben sich einen Ruf aufgebaut und das sieht man halt. Man sieht, dass es eine männerdominierte Branche ist.
Man sieht es auch am line Up.
Nira: Man sieht es vor allem am line up.
Ich selbst hatte mir anfänglich auch mal ein anderes line Up gewünscht für mein Festival. Und ich habe die Förderung erst ein bisschen später bekommen. D.h., das ganze Booking für die Headliner, die ich haben wollte, war schon gelaufen. Ich wollte eigentlich eine gemischte oder eine FLINTA-Band als Headliner haben. Hat nicht geklappt. Ich liebe meine Headliner, keine Frage. Weil ich halt immer krass den Standpunkt vertrete, dass Frauen-Bands eben auch mal zur Hauptzeit spielen sollten und nicht immer nur früh zu Beginn oder spät um 3:00 Uhr nachts. Wenn alles schön austangiert ist und Frauen eben auch einen größeren, Time-Slot spielen.
Voodoo Beach sind ja vor dem Headliner, aber der Headliner selbst ist ja wieder eine reine Männerband. Ich habe nichts dagegen, ich hatte mir nur zum Ziel gesetzt, diese ganze Sache einmal aufzubrechen. Du bist halt doch eben irgendwie limitiert, wenn du einerseits ein kommerzielles Festival sein willst und sagst, okay wir haben eine Band, die halt auch Leute zieht und die Größe hat, das zu schaffen. Da gibt es natürlich noch nicht so viele davon, aber durch solche Festivals werden die auch aufgebaut.
Ja, die Belohnung für deine Arbeit siehst du dann wahrscheinlich erst in zehn Jahren.
Nira: Andersherum ist es ja genauso. Das wären halt kaum Frauen gebucht in höheren Positionen und dadurch geht das Follow nicht auf. Das ist dann so ein Teufelskreis. Leider muss ich beim Booking immer so die Ballance halten. Wenn ich die kleinen Bands einsetze, die ich am liebsten nur hätte, verkaufe ich dadurch halt keine Tickets. Das ist eben die Crux an den kommerziellen Festivals.
Anreize könnte man sicherlich auch damit schaffen, dass Männer und Frauen ihre Kinder betreuen lassen können. Wo du dann als Mama oder Papa weißt, okay wenn ich jetzt meinen Soundcheck habe, dann ist alles okay und die Kinder sind bei einer Nanny, die sich super um sie kümmert, sie sind in guten Händen.
Nira: Das ist auch Next Step. Das ist ein 18+ Festival, weil es eben auch länger als bis 24:00 Uhr geht und es eine Rauchervenue ist. Man kann draußen rauchen, drinnen nicht. Aber trotzdem hat die Kantine gesagt, dass es ab 18 ist.
Das ist auch noch mal eine wichtige Info.
Nira: wenn man dann größer wird, dann kann man auch schauen, dass man vielleicht noch eine Kinderbetreuung mit einbaut.
Das sind auf jeden Fall alles so Dream-Sachen.
Nira: Am Schluss möchte ich noch sagen, dass in Berlin gerade total viele, kleine Bühnen sterben, wo halt kleinere Bands ihre ersten Schritte machen und ihr Publikum aufbauen können. Deshalb dachte ich halt, dass man so ein Festival macht, wo es gute Headliner hat und so Bands wie Shamaniacs oder Kaos. Die kleineren Bands haben jetzt vielleicht nicht so viele Follower, aber die Leute zahlen trotzdem das Geld für die Tickets für die größeren Bands. So kann es halt dazu kommen, dass sie auch die kleineren Bands sehen, damit diese sich ihre Fan-Base aufbauen können, die dann auch zu den anderen Gigs kommen. Deshalb ist es ja so wichtig, solche Festivals zu machen, denn durch die Gentrifizierung brechen diese kleinen Bühnen immer mehr weg. 240 Personen ist nicht die Welt, aber es ist ein Anfang. Für die kleineren Bands sind es schon eine Menge Leute. Es ist auch wichtig, einfach mal diese Livemusikszene hier hervorzuheben und die Leute alle zusammenzubringen. Denn da gibt es diese ganzen kleinen Rock Pockets: die Metaller, die Punker, etc. aber irgendwie verbinden die sich nicht. Und das alles mal wieder zusammenzubringen, das liegt mir am Herzen. Deswegen habe ich auch versucht unterschiedliche Bands zu nehmen: Da ist eine Metal Band, da ist eine Psychedelic Band, da ist eine Punkband. Das alles in so einem Melting Pot zusammenzubringen, sodass da eine bunte Vielfalt entsteht. Die Vielfalt, die wir auch in Berlin haben, die so geil ist.
Wie lange hast du gebraucht, um das alles zu planen?
Nira: Vor sechs Jahren zu meinem Geburtstag war die Idee da. Da waren so 100-120 Leute auf dem Festival. Das war super, das war kleiner, das war so ein Herzensprojekt. Dann habe ich es, wie es manchmal so ist, etwas schleifen lassen. Und dann kam Corona. Da dachte ich dann, jetzt hast du fett Zeit.
Es hat ja nichts mehr stattgefunden. Keine Konzerte mehr. Ich konnte keine Touren mehr buchen, nichts. Und ich wollte auch einfach wieder Hoffnung haben. Mich endlich wieder auf die Zukunft konzentrieren und darauf, dass es weitergeht, auch wenn echt viele KünstlerInnen sehr gelitten haben und die ganze Branche quasi stillstand.
Meine Agentur heißt Dancing Shoes Promotion, die habe ich damals in London während meines Studiums gegründet. Vor zehn Jahren bin ich dann nach Berlin gezogen und habe es hier immer weitergeführt. Darüber habe ich Konzerte veranstaltet, Tour Management gemacht und so ein bisschen PR habe ich auch gemacht.
Jetzt nach zehn Jahren in Berlin habe ich das Netzwerk und auch die Zeit gehabt, während der Corona Lockdowns die Fördergelder zu beantragen. Wenn du das alles alleine aufziehst, ist es super schwer. Aber innerhalb von einem Jahr war dann die Planung fertig.
Vielen Dank für das Interview Nira und Caro, wir freuen uns auf das Niranium Festival.
Tickets bekommt ihr hier oder vor Ort bei Coretex Records Oranienstraße 3, 10997 Berlin