Das zweite Pandemiejahr hat gerade begonnen und außer ein paar wenigen Open Air Konzerten im letzten Sommer unter meist strengen Hygienemaßnahmen ging einfach mal gar nichts, was sich nicht zuletzt auch hier in dieser Magazin-Rubrik wiederspiegelt. Umso aufgeregter bin ich, dass ich heute live bei einem Live Stream Konzert im Bandhaus Leipzig dabei sein kann und somit die Band Riotkäppchen aus nächster Nähe sehe und nicht einen weiteren Freitag-Abend vor dem Bildschirm kleben muss. Und von dieser etwas “neuen und anderen Art” Konzerte zu konsumieren will ich euch hier kurz berichten:
Das Bandhaus in Leipzig ist mit Abstand eine der wenigen Institutionen, die es wirklich sehr professionell auf die Kette bekommen hat kontinuierlich Live Streams in bester Qualität zu produzieren, so dass es Freitag und Samstag Abend während der harten Lockdowns und auch jetzt zumindest immer einen möglichen Programmpunkt fürs Wohnzimmer gibt. Das erste Live Stream Konzert startete letztes Jahr im Mai, man nähert sich inzwischen der 50. Übertragung. Neben Highlights wie Die Art und Fliehende Stürme darf man gespannt sein, wer in den nächsten Wochen noch dort die Bühne entert. Jetzt aber zu Riotkäppchen:
Das Leipziger Punkrock-Trio bestehend aus Tarcy (bekannt von The Heroine Whorse und Fight Like A Grrrl Booking, hier gehts zum Interview bei “Frauen im Musikbusiness”), Paula und Ela (die unter anderem bei Koprolith spielen) hat sich letztes Jahr im April gegründet – also mitten im ersten Lockdown – und über den Sommer ein paar wenige Live Konzerte gespielt. Ich habe es bisher bewusst vermieden mir die Aufnahmen auf Bandcamp anzuhören und will mich einfach mal wieder aller Digitalität zum Trotze einfach von etwas Neuem überraschen lassen. Und das hat sich definitiv gelohnt!
Im Bandhaus angekommen ist die “Konzertatmosphäre” natürlich eine ganz andere als von “früher” gewohnt. Wer sich im Raum bewegt, trägt Maske, es gibt ein Hygienekonzept, Luftfiltergeräte und Listen zur Kontakt-Nachverfolgung, sowie Corona-Tests für alle Anwesenden, und außer Band, Koch und Technik-Crew ist niemand weiter vor Ort. Ein beschauliches Miteinander, das allerdings auch die manchmal auf Konzerten herrschende Anonymität sofort aufhebt.
Ein paar Minuten später sitze ich schon mit den Riot Grrls im Backstage und lasse mir veganes Cordon Bleu mit Pilzrahmsoße und Nudeln schmecken, dabei erfahre ich gleich etwas über die Band, dazu werdet ihr aber demnächst von mir noch ein ausführlicheres Interview lesen können.
Der Zeitplan sitzt hier wie an einem eintrainierten Filmset und nachdem der Countdown bis zum Stream vom Tontechniker laut runtergezählt wird, springen Riotkäppchen in samtenen roten Umhängen auf die eindrucksvoll ausgeleuchtete Bühne und legen direkt los. Womit jedoch keiner gerechnet hat: Auch die Internetverbindung macht ausgerechnet heute auf Punkrock und kappt kurzerhand den ganzen Stream – glücklicherweise gleich zu Beginn, also wird hier nach kurzem Herzstillstand improvisiert, alles auf Anfang gesetzt und die nun schon warm gezockten Riotkäppchen wiederholen ohne Murren ihren Steilstart – den die Online-Welt leider nicht gesehen hat – erneut.
Es ist ein Fest. Der Sound hat einfach eine hervorragende Qualität und selbst Tarcys widerspenstiges Gitarrenfiepen wirkt keine Sekunde so als hätte es irgendwie anders sein sollen. Ich bin jedenfalls von Anfang an voll dabei und kann mich nur schwer auf meinem Hocker halten. Vor meinem geistigen Auge kann ich mir alles, was zu einem “echten” Live-Konzert fehlt, vorstellen – denn genau das transportieren Riotkäppchen: Harter Pogo, Bierduschen, Auf die Fresse, Authentizität, kurz: Punkrock. Es geht zackig voran und mir bleiben Hits wie “Heli über Conne”, “Der schöne Pups”, “Born to be Kartoffel” und “Zugedröhnt” auch nach dem Konzert noch im Ohr. Der wütende Tri-Gesang, die “Geschichten aus dem Leben” zwischen den Songs, nicht zu verachtende Rülpseinlagen und eine vor dem Amp auf dem Boden liegende und Gitarre zockende Tarcy – hier stimmt für mich alles von vorne bis hinten und ich fühle mich trotz fehlender Pogo-Meute musikalisch mal wieder richtig gut abgeholt. Selbst die Ohropax habe ich mir gespart – ich will heute, dass es endlich mal wieder in den Ohren klingelt, und das tut es!
Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle natürlich der vielseitig angepriesene “Setcho” (laut meiner Information eine Art sächsisches Wort für “Prosecco”), bühnenzentral positioniert in einem ostigen Präsentkorb, mit zunehmender Stunde bei abnehmendem Inhalt.
Sehr ermutigend sind auch Tarcys Worte kurz vor einem Hole-Cover (yeah!) an alle Frauen und FLINT-Personen, die schon immer in einer Band spielen wollten, sich aber aus welchen Gründen auch immer nicht trauen: Einfach Machen! Wie das gehen kann, haben Riotkäppchen an diesem Abend eindrucksvoll bewiesen und ich freue mich auf ein weiteres Konzert mit ihnen, dann hoffentlich mit ausrastender Meute vor der Bühne statt vor den Bildschirmen.