Ein wettermässig mittelmässiger Freitag geht in seinen Feierabend. Der Typ im TV erzählt, dass die Inzidenzwerte wieder steigen und mich beschleicht eine leichte Wut, aber auch ein wenig Skepsis vor den nächsten Wochen – kurzum die Stimmung könnte besser sein. Da kommt mir das Album “At the Stake” des US-Trios Rosegarden Funeral Party gerade recht. Das ist musikalisch und emotional genau das, was mich gerade ein wenig wieder aufbaut und vor völliger Verzweiflung schützt – quasi der Schienbeinschoner gegen den Corona-Frust! – um es mal in der Sprache meines Lieblingssports zu sagen!
Also höre ich mir die EP aus dem Jahre 2020 in nachbarschaftsfreundlicher Lautstärke an. Soll heißen, mein Nachbar – ein Metal-Freak auf der anderen Strassenseite – hört trotz PC-Spiel-Akustik-Bestrahlung mit. Genretypisch sehr gut aufgemacht kommt “At the Stake” daher, gut getimtes Porträt der Sängerin auf der Frontseite, die gesamte Band auf der Rückseite, das Tracklisting in Runen. Pinkes Vinyl. Bis hierher volle Punktzahl!
Rosegarden Funeral Party bestehen aus (Vocals, Guitar, Synth) Leah Lane, (Bass) Michael Doty und (Drums, Drum Machine, Percussion) Dylan Stamas und stammen aus Dallas (Tx) USA. Das Dallas, das manche mit der namengleichen Serie verbinden und andere an den bisher immer noch nicht aufgeklärten Kennedy-Mord erinnert. Wer aber kennt eine Band oder Artist aus Dallas? Für mich sind Rosegarden Funeral Party da die ersten. Aber wie dem auch sein, für mich klingen RFP überhaupt nicht amerikanisch, sondern erinnern mich an die eher britischen und deutschen Bands des Genres. In erster Linie natürlich schon optisch an die großartige Siouxsie Sioux mit ihren Banshees. Aber auch an die deutschen X-mal Deutschland muss ich beim Durchhören denken. Was sofort auffällt ist der Stimmumfang der Shouterin und das Herzblut mit dem Leah Lane ans Werk geht. Das geht schon auch in das Genre des epischen Metal – rein vom Gesang her. Da denkt man vielleicht an Evanescence und ähnlich orientierte Bands. Und auch dafür erstmal volle Punktzahl!
Was neben der gewaltigen Stimme auffällt sind die wirklich guten Lyrics der Band. Macht euch mal die Mühe und holt euch die Lyrics beim Hören an die Hand. Ihr werdet da positiv überrascht sein. Das ist ganz klar über dem Durchschnitt. In Sprachgewandtheit und Humor sowie Stimmungslage würde ich die Lyrics in den Umkreis von Morrissey sehen, was durchaus eine gute Adresse ist. Auch hier volle Punktzahl!
Dann kommt der musikalische Part und da raste ich wirklich aus, die Gitarrenarbeit der Frontfrau Leah Lane ist einfach nicht von dieser Welt und erinnert mich ständig an Daniel Ash, den Saitenzupfer meiner Lieblingsband BAUHAUS. Dazu paart sich ein Bassspieler mit Michael Doty, der seit früher Jugend New Order gehört haben muß, denn die Hooks könnten in der Tat vom Altmeister stammen. Dazu kommt noch ein kongenialer Drummer Dylan Stamas, der genau weiß, wieviel gut genug ist, den Songs diese unterschwellige, manische Rhythmik zu geben, die einen vor Freude schier verzweifelt lässt. Umgarnt wird das Ganze von typischen Synthieklängen und -teppichen der achtziger Gothic-Bands. “Rosegarden Funeral Party erhebt sich aus dem Inferno des Herzschmerzes mit der Entschlossenheit zu Sanftmut, Demut, Gnade und Freundlichkeit und lässt sich von den Tragödien des Lebens beeinflussen, um Chaos in Schönheit zu verwandeln.” So steht es auf der Homepage der Band und ich hätte es selbst nicht besser beschreiben können. Diese Band ist der Phoenix des traditionellen Goth! Und wieder volle Punktzahl!
Wer hier schon überzeugt ist, kann direkt hier kaufen.
Für alle anderen Leser und Hörer habe ich ein Video der EP – macht euch selbst ein Bild, was für ein Juwel RFP sind.
Leider hat Corona den gerade entstehenden Hype um die Band arg gebremst. “Der ganze Zweck der Band ist es, Menschen zusammenzubringen und eine Atmosphäre der Toleranz, des Verständnisses, der Freundlichkeit und der Akzeptanz zu schaffen”, sagt Sängerin Leah Lane. “Das können wir nicht, wenn wir in einer Pandemie eingesperrt sind.”
Ende 2019 signieren RFP einen Vertrag mit der Brooklyner Talentagentur Rocky Road Touring. So werden RFP zu Label-Mates von Gothic-Größen wie Killing Joke, Peter Murphy und Diamanda Galas. Man kann es durchaus schlechter treffen. Dem Mitbegründer der Agentur, Andrew Harper, gelang es, für seine neueste Entdeckung eine Tournee für Herbst 2019 und Frühjahr 2020 zu buchen, aber das Coronavirus entschied sich, gerade dann zuzuschlagen, als er sie auf Tourneen mit anderen Bands aus seinem Roster, wie Pigface und Ringo Deathstarr, verpackte. RFP waren sogar als Vorgruppe für den größten Act von Rocky Road, Bauhaus, eingeplant. Gibt es höhere Weihen für eine aufstrebende Band mit ihren Vorbildern zu spielen? “Das hat uns ganz schön zu schaffen gemacht”, sagt Lane seufzend. “Als Band haben wir viel davon, live zu spielen.” Während einige der Tourneen von RFP auf das nächste Jahr verschoben wurden, hat es die Band geschafft, eine Handvoll Livestreams für lokale Veranstaltungsorte wie Three Links und Double Wide in Deep Ellum zu spielen. “At the Stake” zeigt, dass RFP ihren ganz eigenen Goth- und Post-Punk-Stil pflegen. Die Spuren reichen von Lanes Siouxsie-Sioux-artigem Gesang bis zur Instrumentierung, die an Vorreiter des Post-Punk-Revivals der 2000er Jahre wie Interpol erinnert, aber ihre Wurzel ganz klar im Goth der 80er Jahre hat.
Die EP “At the Stake” ist anders als das bisherige Werk der Band. Der Gesang und die Texte von Lane sind düstere, introspektive Betrachtungen über das Ende einer Beziehung. Das wird schon im Eröffnungstrack “Fear of Feeling Nothing” mehr als deutlich, der, wie Lane oft scherzt, “genau davon handelt”. “Ich habe nichts mehr gefühlt, als ich über ihn gesungen habe”, sagt sie über ihren Ex. “Ich war total auf Autopilot … alles fühlte sich so roboterhaft an, und das machte mir eine Scheißangst.” Das Stück ist ein gut gewählter Opener, der nahtlos in die beiden Promo-Singles “Tortured Decline” und “Salvation and Saving Face” übergeht. Ersteres ist ein Brief an ihren ehemaligen Liebhaber und beginnt mit der überraschend nachdenklichen Textpassage “I’m sorry for some of the things I said / And others I don’t feel bad at all / I worry because I don’t feel bad at all / Is that a problem or is it fine / Is this psychosis only mine?” Im Track “Justification” entfernt sich das Album von seinen apologetischen Tendenzen und taucht in eine Haltung ein, die ebenso “gemein” (Lanes Art, sie zu beschreiben) wie selbstbewusst ist. “Dieser Song ist allen gewidmet, die mich gefragt haben, wann ich aufhören würde, über meinen Ex-Freund zu schreiben”, sagt sie lachend. In einem starken, emotionalen Kontrast dazu beendet der Abschlusstrack “Ghost of You” die EP auf einer bittersüßen Note, eine Stimmung, die noch unterstrichen wird, wenn Aaron Mireles von Sub-Sahara mit Lane im Refrain harmoniert: “If this is goodbye / I’ve got some things to get off my mind / If this is goodbye / I’ve got some things I don’t want to die with by my side.” Wie man dem Text entnehmen kann, befand sich Lane an einem ziemlich dunklen Ort, als sie diesen Song schrieb. “Ich fühlte mich sehr allein und in meinem eigenen Kopf gefangen, und alles, was ich wollte, war, mit jemandem zu Hause zu reden, aber ich wusste, dass ich das nicht konnte, weil alle schliefen”, sagt sie. “Ich wurde wirklich nostalgisch für jeden, den ich jemals kennengelernt habe, und mir wurde klar, wie viel Einfluss jeder, den ich jemals getroffen habe, auf mich hatte, egal ob es eine gute oder eine schlechte Beziehung war, ob sie gut endete oder nicht… Es spielte keine Rolle; sie brachten mich zu diesem Moment.”
Soweit dann noch die Besprechung der EP und ein wenig Hintergrund zu RFP. Ich habe RFP sehr lieb gewonnen und die EP läuft gerade Hot Rotation auf dem Plattenspieler. Allen fans des Achtziger-Gothic kann ich nur ans Herz legen, dieses Album hier zu bestellen. Hier paßt alles! Es wird euch nicht enttäuschen. Und bei dem Potenzial der Band, hoffe ich noch auf einige Veröffentlichungen in ähnlicher Art und Weise.