Bei Stag-O-Lee denke ich sofort an das traditionelle amerikanische Volkslied, das über die Jahre Inspiration für zahllose Künstler wie Mississippi John Hurt, Ma Rainey, Woody Guthrie und Taj Mahal war und in vielen Varianten veröffentlicht wurde. Der Song hat afroamerikanische Wurzeln und behandelt die Figur des Stagger Lee oder Stag-O-Lee, die als harte und berüchtigte Figur dargestellt wird, die in eine gewalttätige Auseinandersetzung mit einer anderen Person verwickelt ist.
Aber Stag-O-Lee ist ebenfalls ein feines deutsches Independent Label, das sich auf die Veröffentlichung oder Wiederveröffentlichung von Künstlern aus den den Bereichen Rock ‘n’ Roll, Rhythm and Blues, Soul und verwandte Stile spezialisiert. 2008 gründeten Ralf “Bunny” Hoppenrath und Markus “Dr. Stag-O-Lee” Hoffmann das Berliner Label mit dem Ziel, Schallplatten und Sampler von Künstler*innen, speziell aus den dunklen und vergessenen Ecken der Musikgeschichte des letzten Jahrtausends, zu veröffentlichen. Dazu kommt ein unverwechselbarer rauher und authentischer Sound.
Eine monatlich in Melbourne stattfindende Party mit den Make Slow Grind Fever – Motto: Melbourne’s only slow dance party, where they play the slowest, spookiest, sweetest records they can find, and folks dance real slow in a haze of smoke and dim red light.“
Dieser bedächtige Sound, mal Grind, mal Groove ging so gut zusammen, dass Stag-O-Lee den Partymacher auf der anderen Halbkugel dazu begeistern konnte, die konsequenterweise den Namen der Club-Night: “Slow Grind Fever” tragen sollte.
Around midnight on the last Saturday of every month, an assemblage of juiceheads,
grifters, kittens, dandies and derelicts gather in a dimly-lit, smoke-filled room and dance
together real slow. These are some of the records we dance to… Thanks to all the flute
players and backing singers of yore for flavouring these old records up just like we like
them.
Richie1250, Melbourne, 2019
Es fällt schwer einzelne Interpreten aus dem Tracklisting hervorzuheben, da dieser Sampler als gesamtes Werk funktioniert. Das Label hat sich wunderschöne Tunes aus den Jahren 1952 bis 1962 herausgepickt. Neben noch nie gehörten Namen, findet man auch bekanntere Künstler*innen wie den jüngst verstorbenen Harry Belafonte (“Banana Boat”), Count Basie (“Fly me to the Moon”), Quincy Jones (“Soul Bossa Nova”), Connie Francis (“Schöner fremder Mann”) oder die Everly Brothers (“Crying in the Rain”).
Aus dem Bereich der eher unbekannten Künstler, ist Pete “Guitar” Lewis, der in “Ooh Midnight” einen wunderschönen Blues zu einer lasziven, schnurrenden Frauenstimme auf den Saiten anschlägt, unbedingt zu empfehlen.
Ein anderes Highlight sind die Rockbuster, die mit “Touch Chick” einen verhallten Vintage-Sound spielen, dem jeder Tarantino-Film zur Ehre gebühren würde. Man stelle sich zu dem Song die Tanzszene aus “Pulp Fiction” mit den zugedröhnten Mia (Uma Thurman) und Vincent (John Travolta) vor.
Der Sampler mit den vierzehn Soundperlen erschien bereits im März, ist aber noch erhältlich. Einmal dem Zauber dieses SloMo-Sounds verfallen, will man garnicht mehr aufhören und lässt sich genüßlich von den Musiker*innen in eine Art Trance fallen. Man kann “Slow Grind Fever” allen Musikliebhaber*innen ans Herz legen, die auch vor skurrilen Sounds nicht kapitulieren, allen Neugierigen, die nach neuem Hörstoff lechzen und allen Sammlern, die ihre Plattensammlung um ein paar bisher unentdeckte Jahre erweitern möchten. Speziell den Musik-Nerds seien die sehr liebevollen und ausführlichen Notes auf der Rückseite empfohlen. Hier gibt es Wissenswertes für den nächsten Small-Talk im Kreise der Pullunder tragenden Hornbrillenträger*innen.
Ausdrückliche Warnung – dieser Sound macht süchtig und ist formidabel für die blauen Nächte des bevorstehenden Sommers geeignet. Wer eine Sommerparty plant, sollte sich diesen Sampler vorher besorgen.