Nachdem wir im Vinylkeks bereits zwei Alben (“there is no time to run away from here” und “Volume One – in pieces“) der deutschen Band Taumel besprochen haben, ergab sich für unseren Redakteur Lagartija Nick die Gelegenheit mit der Band ein Interview zu führen. Lagartija Nick, selbst mittlerweile zum Fan der Band geworden, ist natürlich gerne dieser Aufgabe nachgekommen. Schauen wir mal, ob er von dieser eher ruhigen Band ein paar interessante Informationen entlocken konnte.
Hallo Jakob, hallo Sven, ich gebe gerne zu, dass es mich vom ersten “Taumel-Ton” an gepackt hat und mich diese Art der Musik einfach fasziniert und interessiert hat.
taumel: Das freut uns sehr und wir sind dankbar für jedes Interesse!
Wie kommt man zu solcher Art der Musik? Ich meine, Taumel spielen nun wirklich keinen radiotauglichen Mainstream…Welche Vorbilder gibt es für euch?
Taumel: ja, die Vorbilder, die Prägungen sind das Entscheidende. Um sich allerdings von Vielfalt prägen zu lassen, muss man interessiert, aber vor allem offen sein, Musik gegenüber. Ich denke bei uns beiden ist das einfach natürlich von Anfang an vorhanden gewesen.
Es erschreckt uns, wie gleichgeschaltet die Musik durch ihre Industrialisierung geworden ist und, noch entscheidender, wie unbewusst (!) festgefahren und unbeweglich die Erwartungen der Hörer geworden sind und wie wenig Verständnis die hörende Masse für Abweichendes aufzubringen überhaupt noch imstande ist. Unsere Vorbilder und Prägungen reichen von Volksmusik, Improvisationsmusik, Jazz, Blues, Rock’n‘Roll, klassischer Musik, Neuer Musik (zeitgenössische Komposition), elektronischer Musik, Hip- und Trip-Hop bis hin zu Mainstream-Pop. Aber nicht in dem Sinne, dass wir das alles mal aufgeschnappt hätten und nun bewusst einzubringen versuchen, sondern wir haben diese unterschiedliche Musik auch immer gehört, gespielt und verinnerlicht und daher ist der Einfluss eher eine ganz natürliche, unbeabsichtigte Sache – kein Programm.
Ich gebe euch Recht, ich sehe das wie ihr. Die Masse ist in ihren Leitplanken oder Genres sehr festgefahren und man findet nur wenige Menschen, die sich auf Neues oder Anderes einstellen wollen. Deswegen ist es umso erstaunlicher, dass sich ein Duo mit dieser Offenheit findet. Wie habt ihr euch kennengelernt und wie gemerkt, dass ihr musikalisch auf einer Wellenlänge seid? Wie findet man als Band, oder Projekt zusammen? Oder ist die Auswahl der Musiker in diesem Genre groß?
Taumel: Welches Genre…? – ich glaube genau dieses Nicht-In-Genres-Denken, die Musik ganz selbstverständlich als etwas Ungefesseltes, sich in alle Richtungen Bewegbares, zu sehen, ist die große Gemeinsamkeit. Auch, dass wir Musik sehr körperlich verstehen und empfinden und uns körperliche Musik beide sehr anspricht – wir also von Musik also auch immer eine gewisse Körperlichkeit erwarten macht den gemeinsamen Nenner aus. Kennengelernt haben wir uns, weil bei einer Hörspielmusik-Aufnahme für 15 Musiker die Jakob 2009 komponiert hatte, der Schlagzeuger Matthias Engler (Ensemble Adapter) ausfiel, und er einen Ersatz vorschlug: das war Sven! Ja, so schließt sich gewissermaßen auch mit der Kollaboration mit dem Ensemble Adapter auf “In Pieces” (“Volume one —“) jetzt ein Kreis…
Also wie so oft im Leben, reiner Zufall. Das führt mich zu meiner nächsten Frage: Warum der deutsche Begriff ‘Taumel’ als Bandname? Hat es eine Bewandtnis damit? Oder eine tiefere Bedeutung?
Taumel: Zunächst einmal ist es einfach ein Wort, was uns in Bezug auf unsere Musik gefällt – reine Poesie und Assoziation. Aber es beschreibt natürlich trotzdem diesen Schwebezustand, weder das Eine noch das Andere zu sein. Taumeln ist der Übergang von Stehen und Laufen hin zum Fallen. Es ist der Gang des Betrunkenen, des Berauschten, es ist der Rausch an sich, es ist Freudentaumel und Ektase, aber auch der Moment des Verletzten, des Sterbenden kurz vor dem Tod. Es ist unbewusst, ein Geh-Fehler, unverhinderbar. Niemals perfekt, aber immer weiter wollend.
Verstehe, dann doch eine bedeutungsvolle, reflektierte Erklärung für den Namen. Ich hatte mir natürlich auch schon so meine Gedanken gemacht und fand die Definition: taumeln = eine scheinbar unregelmäßige oder unkontrollierbare Bewegung eines physikalischen Körpers ganz toll – sind wir gar nicht so weit auseinander. Warum habt ihr euch beim letzten Album mit Ensemble Adapter verstärkt?
Taumel: wir haben uns eigentlich nicht verstärkt, sondern wir hatten ein gemeinsames Konzert in Berlin mit dem Ensemble Adapter und daraus ist dann das Album entstanden. Das Ensemble Adapter war also von Anfang der Albumidee an mit im Boot.
Okay, verstanden. Wie kann man sich die Realisierung vorstellen? Wie ist normalerweise der Weg bei Taumel von der Idee bis zum fertigen Song? Gibt es da Regeln, Rollen oder läuft das alles frei ab? Wie läuft es speziell bei euch ab, wenn ihr als Duo arbeitet? Oder mit zusätzlichen Musikern?
Taumel: Zunächst: es gibt kein Rezept. Gewohnheit und Routine ist für uns der kreative Tod. Wir werden wahrscheinlich diese Frage deswegen nicht allgemein beantworten können, da wir bei jedem Album von Null starten. Wir haben bisher 3 Alben zu zweit fertiggestellt (das 3. Album wird erst erscheinen), bei jedem war es anders.
Da wir beide nicht am selben Ort leben, passiert da schon auch viel im digitalen Austausch, also auch im Dialog. Wenn wir uns treffen gehen wir dann entweder sehr gezielt vor oder das Gegenteil: wir nutzen die gemeinsame Zeit zum Jammen, proben, Improvisieren und Drauflosspielen, um aufzunehmen und Material zu generieren…
Bei “In Pieces” teilte sich die Entstehungsarbeit eigentlich in die Gegensätze der Improvisativen, wenn auch geleiteten Sessions mit dem “Ensemble Adapter” in Berlin einerseits, und die dann dazu kommende Studioarbeit bei uns, die Montage und der gesamte Produktionsprozess andererseits. Es ist viel Taumel-Material eingeflossen, dass schon vorhanden war und über Jahre entstanden ist…bei der Arbeit im Studio ging es dann eigentlich hauptsächlich um die Verknüpfung dieser beiden Ebenen.
Das klingt für einen Laien wie mich nach einer sehr komplexen Arbeitsweise, die auch bedingt viel Raum und Zeit für die jeweils andere Seite mitzubringen. Es wäre interessant zu wissen, ob Taumel anders arbeiten würden, wenn man in einer Gemeinschaft oder einfach näher beieinander leben würde. Da stellt sich mir dann auch die Frage, wer ist der Adressat eurer Bemühungen? Wie schätzt ihr eure Zuhörer ein? Welche Art der Hörer:innen habt ihr? Seid ihr Teil einer Szene oder seht ihr euch mit Alleinstellungsmerkmalen?
Taumel: Wir definieren uns nicht über eine Szene, wir machen Musik, die uns passiert und die wir anstreben, Musik für Musikliebhaber, Musikinteressierte (und häufig sind diese selbst Musiker). Leider ist es häufig eine Minderheit, die Musik nicht nur Genre-abhängig begreift und keine Erwartungen an Musik hegen, sondern offen für klangliche Erfahrungen ist.
Wir begreifen uns nicht als “Experimentelle Musiker”, einfach weil das Experiment für uns ein ganz selbstverständlicher Ausgangspunkt von Musikentstehung ist, wir sind nicht “Darkjazz oder Doom” weil uns diese Definierung wieder eingrenzen und festhalten würde, wir sind Songwriter, Komponisten und Improvisierende und versuchen das Beste von dem was wir sind, zu vereinen.
Unsere Hörer sind einfach Menschen, die unsere Musik mögen. Vielleicht nicht all unsere Musik, denn sie ist sehr unterschiedlich, aber genau deshalb arbeiten wir in musikalischen Serien, sodass ein Hörer, dem eine gewisse Schiene, die wir fahren, gefällt, darin Neues erwarten kann.
Das 2. Album unser Serie ‘TRAUM’ erscheint z.B. nächstes Frühjahr! Wir wollen mit den unterschiedlichen Serien eigentlich die Möglichkeit eröffnen, dass es verschiedene Fanbases und verschiedenen Hörerschaften gibt – jede von ihnen kann eine Serie unserer Musik verfolgen, ohne die anderen Serien mögen oder verstehen zu müssen! Im besten Fall aber wird irgendwann alles verschmelzen und somit verschiedene Hörerschaften vereint, bzw. Genre-abhängiges Hören aufgelöst werden.
Das klingt für mich absolut nachvollziehbar und ihr habt diese für euch spezifische Losgelöstheit von irgendeinem Genre sehr gut erläutert. Auch der Ansatz der unterschiedlichen Serien ist definitiv ein guter Weg. Habt ihr als Musiker noch Zeit für andere Projekte oder Sidekicks? Wie sieht euer Leben als Musiker aus?
Taumel: Seit wir mit Taumel öffentlich geworden sind, versuchen wir möglichst viele individuelle Musikprojekte bei Taumel zu versammeln und gemeinsam anzugehen, in Taumel zu vereinen. Dennoch arbeitet Sven weiterhin als Schlagzeuger und Percussionist und Mastering-Engineerer und Jakob als Komponist, Stimmperformer und Schauspieler.
Welche Aussage steckt für euch hinter Taumel, gibt es eine Message hinter der Musik?
Taumel: NEIN! Wir machen Musik! Musik ist zum Tanzen, zum Mitsingen, zum Aufdrehen, Loslassen, sich Hingeben… Musik ist zum Abheben, Abtauchen…eher wie eine Droge – sie soll Räume schaffen für eigene Tagträume und Assoziationen – diese wären durch Aussagen und Messages bereits versperrt und vermauert.
Wie wird Taumel im Ausland wahrgenommen? Ist es eher so ein „deutsches Ding“ oder wie sieht eure Landkarte aus?
Taumel: Ja, bisher in England, Amerika, Frankreich, Italien, Griechenland, der Schweiz, Russland, den Niederlanden, Tschechien… Aber: wir stehen am Anfang…
Das freut mich wirklich zu hören, dass es im Ausland Resonanz auf eure Musik gibt und dass ihr euch erst am Anfang seht. Ich bin sowieso der Meinung, dass diese Art der nicht so leicht konsumierbaren Musik in allen Bereichen zu kurz kommt. Daher ist internationale Aufmerksamkeit für euch bestimmt extrem wichtig, um das ‚Taumel-net‘ zu erweitern. Auch wenn meine Katze Chia auf dem Album-Foto zum Review von “In Pieces – Volume one” euch die Show stiehlt – sie bekam ein paar Likes dafür – fällt mir auf, dass ihr bei der Verpackung auf hochwertige und kreative Verpackung achtet. Ist euch der optische und haptische Effekt wichtig?
Taumel: Erstmal beste Grüße an Chia! …Ja! Wir wollen ein hochwertiges Produkt schaffen und wir wollen, dass die Menschen wieder Alben kaufen, keine Digital Downloads, kein Streaming – wir wollen dass wieder Alben gehört werden, anstatt Playlists, die fremde Personen oder gar Algorithmen entwerfen! (Anm. d. Autors: Taumel ist mittlerweile bei Spotify angekommen und auch in diesen Playlisten gelistet.)
Diese Entmündigung sehen wir als eine gefährliche Entwicklung der Musikindustrie. Musik braucht ein gegenständliches Medium, so wie Geschichten Bücher brauchen, da die Musik selbst ja bereits ungegenständlich ist. Sonst ist irgendwann alles abstrakter Schall und Rauch: Bücher, Filme, Bilder, Fotos, Musik… Und da spielt die Qualität des haptischen Produktes eine umso wichtigere Rolle.
Wie arbeitet man gegen einen solchen Trend? Ist ‘Taumel’ eine Live-Band? Ist es schwer, diese Art der Musik live zu spielen? Habt ihr demnächst eine Tournee geplant?
Taumel: ja, Taumel ist definitiv eine Live-Band. Die Frage ist: Wann!? Sven und ich haben zunächst, vor dem Release unserer ersten Platte live gespielt. Die Musik von “In Pieces” insbesondere, ist durch live Spielen entstanden.
Unsere Musik ist sehr gut live spielbar und nicht abhängig von großen Reproduktionskonzepten für die Bühne. Den Song “Away” vom ersten Album kann man auf unserer Website (www.taumel.net unter “VIDEOS”) als live Version anhören und sehen…
Leider mussten wir aufgrund der gesamten Corona-Situation unsere für dieses Jahr geplanten live-Auftritte auf Irgendwann verschieben: im Moment ist es so, das wir diese Zeit nutzen, dass zu tun, was wir so oder so auch getan hätten.
Was sind musikalisch gesehen die nächsten Schritte oder Ideen von ‘taumel’? Gibt es konkrete Pläne?
Taumel: Im Frühling 2022 erscheint zunächst das 2. Album unserer Serie ‘TRAUM’ wieder bei “Tonzonen Record”! Ebenfalls 2022 wird “In Pieces-Volume TWO” unserer Serie “off the record” erscheinen. Parallel dazu arbeiten wir bereits an einer dritten und vierten Serie: die eine eher elektronischer Ambient, die andere bestehend aus Rock und Pop-Songs.
Dann wird 2022 mein persönliches ‘taumel‘-Jahr. Vielleicht denkt ihr dann noch mal an uns (vinylkeks). Wir sind am Ende und ich muss sagen, es hat sich für mich persönlich total gelohnt, denn ich habe viele interessante Dinge erfahren, hinter Kulissen schauen dürfen und vor allem eure Einstellung verstehen dürfen. Ich hoffe der Leserschaft ging es genauso und der ein oder andere liest noch mal die Rezensionen bei uns auf www.vinyl-keks.eu nach und hört vielleicht mal bei euch rein.
Vielen lieben Dank an Jakob und Sven von ‘taumel‘ – ihr habt das letzte Wort…
Taumel: Keine Frage, nur eine Aussage zu uns…? Na dann: Hört zu und seid offen, hört Musik nicht nur als Soundtrack zur gegenwärtigen Tagesstimmung, sondern mit angemessener Aufmerksamkeit und Hingabe! Und: Hört sie laut, in stiller Umgebung! Bis ihr taumel’t!!! Danke!! – taumel. –
TAUMEL-LINKS:
Website: https://www.taumel.net
Bandcamp: https://taumel.bandcamp.com/releases
Labels: https://www.tonzonen.de/taumel/ + https://www.dronerecords.de
Verlag/Publisher: https://www.la-chunga.com/en/artists#taumel
Vertrieb/Distributer: https://www.soulfood-music.de