Warum sollte ich noch über eine Band schreiben, die tot ist? tot sind tot. Das haben sie selbst so gesagt: „Diese Band ist tot.“ Seit Anfang April 2023 haben sie ernst gemacht und sind seitdem richtig tot. Nun heißt es: “Diese Band war tot.” Sie haben ihre Auflösung bekannt gegeben und das ist nur konsequent, denn zum Tod gehört immer die Auflösung. Zurück gehts in die molekulare Ebene der Bestandteile im Zersetzungsprozess. Alles was bleibt sind eines Tages die archäologischen Funde. In diesem Fall ein Album namens „Ferien“. Wobei der Song „Ferien“ ein Abgesang gegen oberflächliche Freizeitvergnügen und Sonnenbaden darstellt. Lieber tot als Ferien!
Die Covergestaltung von freelance Designerin Sarah Göbels zeigt den weiten, blauen Himmel. Das Blau ist allerdings durchsetzt von weißen Schlieren über einer tief unten liegenden Wolkendecke aus der Flugzeugfensterperspektive. Oder ist das doch eher die Aussicht vor Petrus Himmelspforte, während brav in der Reihe auf den Clubeinlass in Himmel oder Hölle gewartet wird? Jedenfalls ist dieser Ausblick jenseitig von Strand und Meer gelegen, in luftigen 8000 Höhenmetern oder so. Nicht die winzigste Ahnung vom Erdball lässt sich mehr finden, alles weg, weit weg. Die wahren Ferien hat halt, wer tot ist. Und darum gibt es als Grabbeigabe zum Album eine Ferien-Postkarte mit einem krakeligen, nachdenklich machenden Text, den du an wen auch immer verschicken magst, ganz absenderlos und verschmitzt.
Schlecht gelaunt und immer einen Fußbreit die Tür zur Depression auftretend, gehts aber erstmal im Diesseits weiter. Die norddeutschen tot machen hier keine langen Sätze oder endlose Texte, kurz und knapp präsentieren sie hier am liebsten ihre Song- und Albumtitel sowie den Bandnamen (bis auf zwei Ausnahmen) mit nur einem einzigen Wort: tot, Ferien, Eichen, Sum, Leistung, Sterne, Logik, etc…
Farblich sind sie mit Sarah Göbels Coverart und der LP ebenso minimalistisch gepolt. Sie sind darauf quasi ausschließlich mit den drei Grundfarben Cyan, Magenta und Yellow unterwegs. Das Vinyl kommt in transluzentem Magenta bzw. Pink daher. Alles viel zu quietschig für einen schnöden, öden Tod. Bei tot wird höchst lebendig infragestellend gezappelt, gezuckt und gezickt!
Manche Songs, wie beispielsweise “Eichen” oder “Sum”, bohren sich mittels Dauerwiederholung superkurzer Sätze unter kreischenden Klängen und schrägen Schreien tief ins Ohr. Es nervt teils hart, genauso hart wie die gesellschaftlichen Missstände, die zum Beispiel in „Leistung“ angeprangert werden. Der Sound erinnert mich dabei im ersten Track „Der Hund“ sofort an die alten Songs von Razzia.
Aber dies ändert sich schon wieder ab dem zweiten Song. Tief fressen sich die Lieder mit deutschen, kryptischen Texten weiter in mein Gehirn, wobei sie avantgardistisch Garage, Grunge, Post-Punk und NDW mischen. Während ich bei tot in der endlosen Dauerschleife der Wiederholung des immer gleichen Satzes festhänge, kommt mir die Assoziation mit „Kaltes, klares Wasser“ von Malaria! oder dem „Eisbär“ von Grauzone. Eingängig, aber nicht monoton. Im Abgang sind sie dann lang wie guter Wein. tot hinterlassen einen komplexen Nachhall von sarkastischen, bitteren und scharfen Noten, neben einer feinen Säure, zu der ganz am Schluss kredenzten Hymne „Fiesta“.
Beim Gesang wechseln sich die Bandmitglieder ab, die aus Björn Hinrichs (Gitarre), Natalie Hommel (Bass), Jannes Ihnen (Gitarre) und Hanno Janßen (Schlagzeug) bestehen. Aufgenommen wurde das Album bei Dickfehler Studios, gemastert in den Klangfeld Studios, erschienen ist es bereits am 11.11.2022 bei La Pochette Surprise Records & Spastic Fantastic Records. Alles in allem ein schrammeliger, interessanter Nachlass, den wir hier erben dürfen. Ruhet in Frieden oder lasset euch auf dem berüchtigten „Pet Sematary“ begraben und kommt bald wieder. Denn totgesagte leben länger, hoffe ich mal. Aber solange das noch nicht der Fall ist, bleibt dieses Review ein Nachruf in memoriam tot.
R.I.P.
Postskriptum: Dein Erbe (zuzüglich Gebühren) in himmelblauem Splattervinyl antreten kannst du, solange die gierige Verwandtschaft etwas übrig lässt, hier! Es gibt das Album aber auch noch in Magenta oder Yellow bei den beiden Labels.