"Ich hab vor einem Monat in einem Bericht über Nepal zum ersten Mal was von der ehemaligen Kinder-Sklavin Bishnu Chaudhary gelesen, die mit sieben Jahren von ihrem Vater an eine reiche Familie als Arbeitskraft verkauft wurde, weil der keinen Pfennig Geld mehr hatte (...) Und sie steht stellvertretend für Tausende junge Frauen und Mädchen."
In unserer Reihe Vinylkeks4Nepal lassen wir die Bands und Unterstützer:innen der beiden Benefiz Vinyl Sampler “Help4Nepal Vol.1″ (gibt’s hier zu kaufen) und “Help4Nepal Vol.2 – United We Stand” (VÖ im Juli) zu Wort kommen. Die Sampler sind unter dem Child8Project, einem Nebenprojekt des The Madness Pogo Festivals, welches 2022 erstmalig stattfinden wird, entstanden. Das gemeinsame Ziel eint die Projekte und das Festival: In Kooperation mit STELP e.V. Stuttgart sammeln sie Geld für den Bau einer Schule und ein Wassersystem in Kathmandu / Nepal. Detailliertere Informationen zu dem Projekt und dem Festival findet ihr außerdem hier im Interview mit Sascha, einem der Hauptinitiatoren.
Heute erzählen uns Archi aka “MC” Motherfucker und Johnny Bottrop von Terrorgruppe, die bereits für den ersten Help4Nepal Sampler einen Song beigesteuert haben, warum sie nach ihrer in Kürze anstehenden “Tschüssikowski Tour” auf keinen Fall auf die Bühne zurückkehren werden, wie ihr Song “Männers” in die aktuelle “Sexismus im Punk” Debatte passt und welche Songs es auf unser Wunsch-Mixtape mit dem Titel “Affen und andere Selbstdarsteller” geschafft haben.
Viel Spaß mit dem äußerst unterhaltsamen Interview!
Hallo Archi und Johnny, schön, dass ihr uns ein paar Fragen beantwortet! Ihr seid mit Terrorgruppe bereits auf dem ersten Help4Nepal Benefiz Sampler mit “Keine Airbags für die CSU” vertreten. Der Song stammt von eurem 2017 erschienenen Live-Album “Superblechdose”. Warum dieser Song?
MC: Reaktionäre und konservative Parteien und Machtpersonen aus westlichen reichen Industriestaaten sind doch Teil des Problems oder sehe ich das falsch? Keine Airbags in ihren Autos würde zumindest einige von Ihnen, sagen wir mal vorsichtig, aufhalten. “Schöner Strand” wär aber auch ein guter Song zum Thema gewesen oder “Easy Jet” vom neuen Album.
JB: Ja, der “Easy Jet“ vom lila Album ist eigentlich unser aktuelles Lied zum Thema Nord-Süd-Gefälle (und zur „Gated Community” Festung Europa).
Aber vielleicht auch die Songs „Männers“ und „Alt-Delete“… Ich hab vor einem Monat in einem Bericht über Nepal zum ersten Mal was von der ehemaligen Kinder-Sklavin Bishnu Chaudhary gelesen, die mit sieben Jahren von ihrem Vater an eine reiche Familie als Arbeitskraft verkauft wurde, weil der keinen Pfennig Geld mehr hatte. Sklaverei im Jahr 2021 – unfassbar. Und sie steht stellvertretend für Tausende junge Frauen und Mädchen.
2004 gab es ja die Ankündigung von Euch, keine Konzerte mehr zu spielen, 2014 dann die Reunion auf der Bühne des SO36, und jetzt, mit “Tschüssikowski” (wieder) eine Abschiedstournee (Wir sehen uns in Stuttgart!). Besteht die laute Hoffnung auf ein Comeback-Comeback in 2031? Bitte-Bitte???
MC: Das willst du nicht, Nathalie. Glaub mir einfach und vertraue mir blind, wenn ich dir sage, du willst das nicht. 2031 ist MC Motherfucker nämlich 66 Jahre alt. Energielose, ausgepowerte Punkbands braucht kein Mensch.
JB: Mit 66 Jahren auf der Punkbühne – das dürfen nur Charlie Harper und Iggy Pop, aber auch das ist irgendwie grenzwertig.
MC: Jetzt sind die Jungen dran, macht was draus.
JB: Gründet 10, 20, 100… eigene Terrorgruppen! Aber machts besser. Gefälligst.
Ihr habt auf eurer Facebookseite die Doku “Charité Intensiv: Station 43” geteilt. In der Doku wird das Team der Intensivstation der Berliner Charité im Winter 20/21 begleitet und ziemlich eindrücklich gezeigt, wie dort in Corona Zeiten um das Leben von infizierten Patienten gekämpft wird. Das Gesundheitssystem in Nepal kollabiert, infizierte Menschen können sich eine Behandlung in Krankenhäusern oftmals nicht leisten, Masken und Tests sind knapp. Zeitgleich floriert hierzulande die Coronaleugner:innen-Szene. Was macht das mit Euch?
MC: Die Doku ist wahrlich eindrucksvoll. Aber ich kann und will mich jetzt über diese Coronaleugner-, Verschwörungstheoretiker- und Impfgegnerclowns gar nicht so hart aufregen. Da sind mir meine Nerven zu schade und ich käme mir selbst dabei vor, als wenn ich mich in eine psychiatrische Einrichtung stellen würde und die Patienten dafür beschimpfe, dass sie nicht so ticken wie ich. Abgesehen von den echten Faschos unter denen tun mir viele sogar irgendwie leid. Weil ja offensichtlich ist, dass die Pandemie und ihre Folgen für ihren Intellekt zu komplex zu sein scheint und sie in solchen Extremsituationen nicht mehr fähig sind gerade aus zu denken. Viele zeigen auch derart krasse Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, dass ich mich um sie eher sorgen müsste. Sie dürfen mir und meinem Umfeld halt physisch nicht zu nahe kommen und ihren Mist hör ich mir auch nicht an bzw. nehme ihn nicht ernst.
JB: Und außerdem haben wir rationalen wissenschaftlichen Menschen ja keinen endgültigen Gegenbeweis gegen die Querquarkköpfe. Vielleicht helfen eine ordentlich Munddusche mit Lösungsmittel oder ein kräftiger Schluck WC-Desinfizierer ja wirklich gegen Corona. Sollen sie mal selber testen.
In eurem Song “Männers”, den es auch als großartige A Capella Version gibt, besingt ihr in gewohnter Terrorgruppen-Ironie typische Männerklischees. Damit passt der Song zeitlich gut in die aktuelle “Sexismus im Punk”-Debatte. Tatsächlich wird immer noch oft sexistisches Verhalten, so wie in eurem Song, mit “…sind halt Männer” (auch von Frauen!) gerechtfertigt. Wie seht ihr die aktuellen Entwicklungen zu diesem Thema?
MC: Ui, toll dass dir „Männers“ gefällt, das freut mich sehr. Nun, dass Terrorgruppe jetzt nicht unbedingt die typisch toxischen Rolemodels für cis Männer sind, haben wir hoffentlich immer schon deutlich gemacht. Ich bin ein Zeitzeuge des Punk von Anfang an – als er auch noch für Frauen in allen Bereichen eine ideale Form der Revolte gegen die Generation ihrer Eltern war. In unserer Augsburger (da komm ich her) Kiddi-Punk-Gang so um 1979 – 1985 waren bestimmt die Hälfte der Punks Frauen und das fühlte sich für alle Protagonisten richtig und vor allem selbstverständlich an.
Dann kam eine Zeit in der sich, gerade in der Provinz, immer mehr Frauen von Punk verabschiedeten. Das hatte mit der sich ausbreitenden Hardcore-Punk Szene und der Oi-Punkwelle zu tun. Für viele Frauen in meiner engeren Umgebung waren diese Entwicklungen einfach nicht mehr attraktiv genug. Ich bezeichne diese Entwicklung gern als den ersten großen, engen Flaschenhals in der Verpimmelung des Punk. HC-Punk hatte Mitte bis Ende der 80er was von einem testosterongeschwängerten Dackelzüchterverein, nur wirklich attraktiv für schlichtere, junge, wütende Mittelklasse-Hetenmännchen. In den USA, wo diese Entwicklung viel extremer war und fast vollkommen die Punkszene übernahm, entwickelte sich Ende der 80er aus der Not heraus die Riotgirrrl-Szene.
Beim großen Punk-Revival in den 90ern haben sich genau die Punkmännchen, die sich aus den 80ern so vereinsmeierisch hervorgetan haben und sich in die 90er rüber gerettet haben, konsequent gegen die neuen Punkfans (unter ihnen wieder viele Frauen) gesperrt, die wir, also die sogenannte „Einsteigerbands“, angelockt hatten. Martin Büsser (RIP) z.B. bezeichnete uns damals sogar in einem großen deutschen Musikmagazin – abfällig – als eine der “Konsens-Bands“, Terrorgruppe zusammen mit Tocotronic.
Wieder eine Chance verpasst, die Frauen unter unseren Fans hatten jedenfalls keine Böcke auf diese Grumpie-Pimmelpunks mit ihrer doofen absurd abgekapselten Szene. Sie kamen zwar auf die Konzerte der Terrorgruppe, blieben aber der Punkszene sonst weitgehend fern.
Die Entwicklung der Riot-Girrrl Szene empfehle ich den heutigen FLINTA-Punk-Aktivistinnen auch als Vorbild. Wartet und zählt nicht auf die Pimmelpunks, bis sie ihre Strukturen für euch öffnen. Sie fühlen sich in ihrem Dackelzüchterverein viel zu wohl und haben sich daran gewöhnt und wollen nichts ändern. Macht eure eigenen Shows, Fanzines und Musik und bildet eure eigenen Strukturen. Macht worauf Ihr Lust habt. Wenn das alles spektakulär und unterhaltend ist, wird es auch wieder viele Leute anlocken und begeistern. Ich schwöre. Aber ihr braucht die Altpunk-Männers nicht mehr um eure eigene Szene aufzubauen.
Allerdings hat das alles kaum was mit dem Oberthema „Sexismus” zu tun und ich gehe mal davon aus, dass wir dieselbe geläufige Definition des Begriffs benutzen, oder?
Dieser ist nach wie vor ein gesamtgesellschaftlicher Missstand und sollte auch so benannt und bekämpft werden. Eine Zwischenfront zu Punk bringt da gar nichts und füttert nur die Fehleinschätzung, Punk wäre sowas wie ein Safespace im luftleeren Raum. Das ist er heute nicht und war es auch noch nie vorher. Das kann man aus einer derart anarchistischen Subkultur auch nicht machen. Den Männerüberschuss im Punk einerseits und den verbliebenen Sexismus in Punkergehirnen andererseits in einen Topf zu werfen und zusammen verhandeln zu wollen, ist meiner Ansicht nach kontraproduktiv und nicht besonders zielführend.
Aus meiner Interviewreihe “MusInclusion” habe ich eine Frage von Lisa&David von Sit’n’Skate mitgenommen, die ich in dieser Interviewreihe als “Kernfrage” gerne allen Bands stellen würde, da ich denke, dass diesem wichtigen Thema bisher viel zu wenig Platz in der Szene eingeräumt wurde: Ist Euch bewusst, dass es Venues in Deutschland gibt, in denen Menschen mit Behinderung (in diesem Fall Rollstuhlfahrer:innen) kein Einlass gewährt wird (Begründung z.B. Brandschutz), d.h., dass sie vielleicht auch Eure Konzerte nicht besuchen können? Habt ihr Euch als Band schon mal mit dem Thema “Ableismus” (=Diskriminierung von Menschen mit Behinderung) in der Musikszene auseinandergesetzt?
MC: Hmmm, ganz ehrlich, seit wir Konzerte geben, konnten immer alle Rollipunks bei uns rein, egal wo wir spielten. Es gab auch nie Beschwerden. In den kleinen, alternativen Venues haben sich ihre Freunde oder unsere Crew um die Rollies und Krückies gekümmert und sie, wenn’s denn sein musste, reingetragen und sie neben die Bühne gefahren. In den größeren Venues sind barrierefreie Zugänge und Rolli-Podeste im Zuschauerraum eh schon seit geraumer Zeit Vorschrift und von uns via Sicherheitsanweisung auch gewünscht. Es herrscht auch weitgehend Konsens in der Veranstalterszene, dass Begleiter- und Betreuerinnen umsonst reinkommen. Wo das nicht so ist, solltet ihr immer gleich sofort Ärger machen. Ich bin auch der Meinung, dass es justiziabel ist, wenn eine Venue Menschen mit Behinderungen und gültigem Ticket nicht reinlässt. Wäre jedenfalls ein Grund für mich so einem Veranstalter die Nase zu brechen, was aber auch wiederum justiziabel wäre.
Ich wünsche mir von jeder Band eine Mixtape Playlist mit einem bestimmten Titel. Von Euch hätte ich gerne ein Mixtape zum Thema “Affen und andere Selbstdarsteller”
MC: Okay Nathalie, du wolltest es so:
Haftbefehl – Lasst die Affen aus’m Zoo
KIZ – Ein Affe und ein Pferd
Foo Fighters – Monkey Wrench
Aerosmith – Monkey On My Back
Arctic Monkeys – I Bet You Look Good On The Dance Floor
Skid Row – Monkey Business
The Monkees – I’m A Believer
Toots And The Maytals – Monkey Man
Rolling Stones – Monkey Man
Stooges – Search And Destroy (“I’m a streetwalkin’ chetah with a hand full of napalm”)
Affenmesserkampf – Affenmesserattitüde
The Hammersmith – Gorillas-Shame Shame Shame
Vielen Dank für Eure Zeit und das unterhaltsame und spannende Interview – und lieben Dank für die großartige Monkey-Playlist <3
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