In der heutigen Ausgabe von MusInclusion erzählen uns Lina, Amelie und Jonas vom Holzrock Open Air etwas über das Selbstverständnis des Festivals und ihren Beitrag zu einer diskriminierungsärmeren Gesellschaft. Sie berichten darüber, wo und auf welche Weise sie schon Inklusion leben – aber auch wo sie selbst an die Grenzen kommen, wenn es um die barrierefreie Gestaltung des Festivals geht.
Hallo Lina, Amelie und Jonas! Schön, dass Ihr Zeit für uns habt! Erzählt uns doch zunächst einmal ein wenig über das Holzrock Open Air – seit wann gibt es das Festival, was sind Eure Grundsätze, wie geht es Euch in der aktuellen Situation?
Das Holzrock Open Air ist ein linksautonomes Musik- und Kulturfestival. Das Festival wird von unterschiedlichen Menschen ehrenamtlich nach dem DIY(do-it-yourself)-Prinzip organisiert. In monatlich stattfindenden Plenen kann sich jede:r einbringen, dabei streben wir in Grundsatzentscheidungen einen Konsens an. In seiner jetzigen Form gibt es das Holzrock seit 1991. Eigentlich reicht die Geschichte des Festivals aber sogar bis ins Jahr 1984 zurück, als im Sengelenwäldchen in Schopfheim das Woodrock erstmalig stattfand. Das Holzrock soll ein diskriminierungsfreier Ort der Vielfalt sein, in dem Grenzen anderer respektiert werden und sich jede:r unabhängig von Herkunft und Genderidentität frei entfalten kann. Wir wollen einen nachhaltigen Raum für respektvolles und bewusstes Verhalten gegenüber Mensch, Tier und Natur schaffen. Bei uns herrscht kein Konsumzwang. Es geht nicht um Profit, sondern darum, dass möglichst viele Menschen ein schönes Festival zusammen gestalten und erleben können. Das Holzrock entsteht miteinander und füreinander – weil es Spaß macht, die Welt selbst zu gestalten. Deshalb verstehen wir uns nicht als Dienstleistende. Unser Ziel ist es, Subkultur zu fördern und die regionale Kulturszene zu unterstützen sowie einen Raum für politische Ideen und Diskussionen zu schaffen.
Wegen der Corona-Pandemie musste das Festival leider ausfallen. Dafür haben wir über ein Crowdfunding Spenden für verschiedene politische und kulturelle Gruppen aus der Region generiert. Aufgrund des Nichtstattfindens haben wir uns als Holzrock-Team 2020 dazu entschlossen, eine Spendenaktion ins Leben zu rufen. Dies einerseits, um trotz des Ausfallens unseres Festivals verschiedene Organisationen weiterhin in ihrer wichtigen politischen und kulturellen Arbeit finanziell zu unterstützen, und andererseits, um allen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich ein kleines Stück Holzrock – in Form von Soli-Shirts oder Plakaten – nach Hause zu holen!
Für 2021 laufen die Planungen. Ob und in welcher Form das Holzrock stattfinden kann, ist aber aktuell nicht absehbar. Zusätzlich dazu beschäftigen wir uns mit unserer eigenen Sensibilisierung im Bezug auf verschiedene Diskriminierungsformen.
Inwiefern betrifft Euch als Festival das Thema Inklusion ?
Mit unserem Festival möchten wir einen Beitrag für eine diskriminierungsärmere Gesellschaft leisten. In unserem Orga-Team und im Plenum gibt es einige, die sich im Studium, durch ihre Arbeit oder in ihrer Familie intensiv mit dem Thema Behinderung beschäftigen. Als Holzrock fassen wir den Begriff Inklusion allerdings mittlerweile breiter und verstehen ihn nicht nur bezogen auf die Kategorie Behinderung. Sondern auch als grundsätzliche Aufforderung, alle bisher ausgeschlossenen Gruppen an unserem Festival teilhaben zu lassen und für einen Zugang zu sorgen.
Ausgenommen sind Nazis und menschenfeindliches Gedankengut – das schließen wir bewusst aus und das soll auch so bleiben.
Was versteht Ihr unter Barrierefreiheit?
Barrierefreiheit verstehen wir als Möglichkeit, Menschen unabhängig von kognitiven, körperlich-motorischen und sozialen Vorraussetzungen ihre Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen.
Ist das Holzrock Open Air barrierefrei und / oder inklusiv und wenn nein, woran liegt das?
Das Holzrock Open Air ist leider noch weit davon entfernt, inklusiv zu sein. Es gibt schon erste Schritte in die ‘richtige’ Richtung. Zum Beispiel haben wir wichtige Informationen über das Holzrock und unser Awareness-Konzept in Leichte Sprache übersetzt; Parkplätze für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind in der Nähe des Festivalgeländes; ein rollstuhlgerechtes Dixie-Klo; die Möglichkeit von kostenlosem Eintritt für Begleitpersonen und Assistenz. Auch Menschen mit Fluchterfahrung aus dem Landkreis können kostenlos am Festival teilnehmen. Wir achten auch darauf, dass unsere Preise so gestaltet sind, dass niemand aus finanziellen Gründen vom Festival ausgeschlossen wird.
Dennoch gibt es noch viele Zugangsbarrieren zum Holzrock Festival. Einige sind schwierig zu beheben, wie zum Beispiel die Beschaffenheit des Geländes (Matschboden bei starkem Regen) einer kleinen Waldlichtung. Auch Vorträge oder unsere Konzerte in Gebärdensprache simultan dolmetschen zu lassen, ist für uns in absehbarer Zeit erst einmal nicht möglich. Damit schließen wir beispielweise auch gehörlose Menschen leider aus. Andere Bereiche wollen wir aber unbedingt noch freier von Barrieren gestalten. Da geht es um die Sensibilisierung der eigenen Haltung, die Diversität und Repräsentation innerhalb vom Orga-Team und beim Programm oder darum, die Orientierung beim Festival durch Piktogramme zu erleichtern.
Kennt Ihr inklusive Bands und wenn ja, haben diese schon mal beim Holzrock gespielt?
Vorletztes Jahr spielte eine coole inklusive Punk-Band aus Basel bei unseren Freund:innen im Cafe Irrlicht: Missling (hier geht’s zum Review der Platte). Ansonsten fällt uns abgesehen von dem Rapper Graf Fidi (Interview folgt hier bei MusInclusion!) und Schulband-ähnlichen Musikgruppen wie Handiclapped aus Berlin gerade nichts mehr ein – was auch schon sehr viel aussagt. Wo ist die inklusive Punk-Szene? Beim Holzrock hat nach unserem Wissen noch keine offen inklusive Band gespielt. Wir fragen uns aber auch, ob solche Bands immer als ‘inklusiv’ markiert sein müssen.
Habt Ihr eine Erklärung dafür, warum das Thema Inklusion in der Musikszene noch immer eher zurückhaltend diskutiert oder sogar überhaupt thematisiert wird – obwohl es das einzige Thema bzgl. Diskriminierung ist, das jeden Einzelnen von uns direkt (be-)treffen kann?
Wir denken, dass das ein strukturelles Problem ist und dass die verschiedenen Musikgenres da noch in ganz unterschiedlichen Entwicklungen stecken. Zum Beispiel kann gesagt werden, dass die Punk-Szene sehr cis-männlich dominiert ist. Und hier spiegelt sich eigentlich nur ein gesamtgesellschaftliches Problem wider. Beispielsweise All-female- oder BiPOC-Bands oder Bands von Menschen mit Behinderungen sind leider noch zu wenig sichtbar, repräsentiert und haben kaum bis gar keine starke Lobby. Es gibt sie – aber oft wird nicht ernsthaft oder lange genug nach ihnen gesucht. Durch die Unterrepräsentanz gibt es automatisch weniger Vorbilder für nachfolgende Musik-Generationen.
Habt Ihr eine Idee, wie man Menschen mit Behinderungen in der Szene sichtbarer machen könnte (sowohl auf, als auch vor oder hinter der Bühne)?
Indem beispielweise Festival-Veranstaltende beim Booking auf mehr Diversität achten und aktiv dafür sorgen, dass verschiedene gesellschaftliche Gruppen repräsentiert sind und eine Plattform bekommen. Außerdem muss ein Bewusstsein für Barrieren geschaffen werden und versucht werden, diese abzubauen. Wichtig ist auch, dass die unterschiedlichen Gruppen nach ihren Bedürfnissen und Perspektiven gefragt werden, um sich an ihrer Expertise orientieren zu können. Das setzt sicher voraus, an den eigenen Vorurteilen zu arbeiten, sich selbst zu reflektieren und konstruktiv zu kritisieren.
Denkt Ihr, die derzeitige Situation wird das Thema Inklusion eher noch erschweren und wenn ja, warum?
Ja, die Corona-Pandemie wirft die bisherige Entwicklung hin zu einer inklusiven Gesellschaft leider in vielen Bereichen weit zurück. Da Menschen mit Behinderung (zwar nicht zwangsläufig, aber oft auch) zur sogenannten vulnerablen Gruppe gehören, ist zum Selbstschutz vor dem Virus von einem stärkeren Rückzug ins Private auszugehen. Wir sehen auch, dass zum Beispiel sonderpädagogische Einrichtungen und auch Menschen mit Behinderung selbst in den Maßnahmenplänen schlichtweg vergessen oder nicht mitgedacht werden.
Für das Holzrock ist das Thema so aktuell wie zuvor auch. Eine Möglichkeit für mehr Teilhabe an Konzerten, die aber nicht zu mehr Sichtbarkeit führen, sehen wir durch Onlineangebote wie Livestream-Konzerte oder digitale Workshops und Vorträge. Aber ob wir Teile unsere Programms dieses Jahr digitalisieren können, ist noch nicht klar. Wir hoffen immer noch, dass wir das Festival mit echten Begegnungen durchführen können.
Gibt es etwas in dem Zusammenhang, was Ihr gerne loswerden würdet?
Wir freuen uns über Kritik, Tipps und Anmerkungen damit wir uns weiterentwickeln können und so den Prozess hin zu einem möglichst diskriminierungsfreien Ort unterstützen. Wenn ihr uns supporten wollt, freuen wir uns immer über Menschen, die sich bei uns einbringen wollen, meldet euch einfach über Insta, Facebook oder per Mail.
Vielen Dank ihr Lieben für Eure Zeit und das tolle Interview!
Update: Dieses Jahr wird es ein Holzrock geben. Allerdings in angepasster Form und deutlich kleiner als in den normalen Jahren. Das heißt konkret, dass wir das Festival nur an einem Tag veranstalten, eine begrenzte Besucher:innen-kapazität haben und Karten daher auch im VVK gekauft werden müssen.
Dieser wird Anfang Juli starten!
Weitere Infos gibt es dann bald über unsere Social-Media Kanäle ( Facebook und Instagram) sowie auf unserer Homepage www.holzrock.de