Puh. Ich gebe es es ganz offen zu: Die Tage fällt es mir schwer überhaupt irgendwas zu schreiben oder Interviews zu führen. Ich sitze oft am Bildschirm und fange an, bleibe auf der „Delete“ Taste hängen und klappe den Laptop wieder zu. Ich finde es absurd, in diesen Zeiten ein unterhaltsames Review zu schreiben (ich weiß, es heißt DER Review…) Ich habe kürzlich etwas über „Gleichzeitigkeit“ gelesen. Dass es sich unwirklich und falsch anfühlt, Spaß zu haben – oder eben lustige Texte zu schreiben – während Menschen aus dem Kriegsgebiet um die Ecke auf der Flucht sind und gerade so viel Leid und Zerstörung erleben.
Genauso fühle ich mich gerade. Ich habe mich aber trotzdem dazu entschieden, mich immer wieder auf diese kleinen musikalischen Inselchen zu begeben und so, zumindest für kurze Zeit, durchzuatmen und Kraft zu tanken. Denn leider muss ich, wie wir alle vermutlich, auf irgendeine Art jeden Tag weiter „funktionieren“ (Punk hin oder her). Musik ist da definitiv eine gute Begleitung, weil sie zudem noch verbindet. Und deswegen nehme ich euch heute auf einen Trip nach Australien mit, wo anscheinend eine Menge geiler Street Punk Bands herkommen. Denn auch das letzte Tape, das mir aus der Hitschmiede Running Out Of Tape Records ins Haus geflogen kam, war Made in Brisbane. Das dazugehörige Review von The Scams „New World Slaughter“ könnt ihr hier nachlesen.
Der Titel des ersten Albums auf dem Tape, „Brissy Boys“, lässt darauf schließen, dass die Jungs sich auch kennen (was ich aus zuverlässiger Quelle dann auch bestätigt bekommen habe). Die Aufmachung der Kassette lässt schonmal keine Missverständnisse offen: Es geht um Punk & Saufen, eskortiert vom unerlässlichen Mittelfinger. Auf der Innenseite gibt’s die Songliste auf dem Hintergrund des Covers der „Let’s Have A Beer“ Platte, die auf Seite B neben dem Bonustrack „Aussie Spirit“ zu finden ist. So viel zur Optik, aber was mich natürlich viel brennender interessiert, ist der Sound der Kassette, also, Klappe auf, Bleistift parat und rein damit:
Das 2015er Album „Brissy Boys“ scheppert direkt mit „We love drinkin‘ Cider“ (…ich übrignes auch) mit unverkennbar rohem, schnörkellosen Streetpunk in meine zarten Öhrchen, i love <3 Also ich persönlich finde ja immer dieses „Ein-echter -Punksong-der -länger -als-2min-ist-ist-kein-richtiger-Punksong-Argument“ eher lahm, aber wenn die Band halt musikalisch direkt so brachial und knackig um die Ecke kommt, ist im Schnitt nach 1:30 schon alles gesagt und das ist auch gut so. Weil es sich so anfühlt, als wären die Songs auf den Mittelpunkt der Spannungskurve reduziert, was zur Folge hat, wie ich im Laufe der Kassette merken werde, permanent auf High Level unterhalten zu werden. Das ist zeitweise fast ein bisschen anstrengend, aber im positivsten Sinne, weil ich gar nicht weiß, wohin mit meiner Energie (Muss ich eben tanzen). „Police Bastard“ wütet mir entgegen, gefolgt von „Friday Night Drinkin'“, der mit fettem Bass beginnt und viel Oi!Oi!Oi! nach sich zieht. Erinnert mich soundmäßig ein bisschen an die Ramones (auch die Art der angepisst, lässig vor den Latz geknallten, Lyrics). Mit „Cover Up“, „Innocent Boy“, „Hard Luck Story“ und „Sunday Christian“ folgen 4 Songs, die wie eine wilde Mischung aus Black Flag &The Casualties (oder anderen namhaften Kult Punk Bands) klingen. Oldschool as Oldschool can be…Ich steh total auf diesen derben Gesang, den die polternden Drums vor sich herjagen. „Hey Ho, Let’s go, let’s got to war…“ startet „Let’s Go To War“ und bekräftigt meine Annahme, dass es sich hier rum astreine Ramones Jünger handelt. (Sorry, aber ab jetzt bin ich nicht mehr objektiv…). „Brissy Boys“, Namensgeber des Albums und „Think Twice“ sind verhältnismäßig melodiös und getragen (aber nicht weniger catchy), bevor uns „Political Jokes“ und „Unfinished Business“ mit viel „Ohhh“-Chören und ausgezeichnetem Gitarrensolo wieder vom Hocker reißt. „L.S.D.“ (mit 2:51 Spielzeit mit Abstand der längste Song auf dem Album), „W.B.C.D.“ und „Fuck Wit“ dürften jetzt auch die letzten Zweifel beseitigt haben, dass diese Jungs es mit den ganz Großen in Sachen Street Punk aufnehmen können. Hiermit endet die erste Seite und ehrlich gesagt frage ich mich, was auf Seite B da noch kommen kann…
Ok. Ok. Ok. – Nach den ersten Takten flipp ich völlig aus – das ist eindeutig „53rd&3rd“. Also bisher habe ich keine Coverversion gehört, die an die Metallica Version auf der „We Are Happy Family – A Tribute To The Ramones“ ranreichen würde. In Sachen Attitüde können The Knock Backs hier definitiv mithalten! Und als wäre das nicht genug folgt direkt im Anschluss als Rausschmeißer des Albums eine grandiose Interpretation von „Streams Of a Whiskey“ von den Pogues. Also mit diesen Brissy Boys würde ich gerne mal Platten (oder Tapes) tauschen…
„Barrel Of Blood“ läutet das 2018 veröffentlichte Album mit einer Trump Rede ein: „(…)North Korea best not make any more threats to the United States. They will be met with fire and fury like the world has never seen (…)“ Und kurz verlasse ich ungewollt mein kleines Inselchen und finde mich mitten in der Realität wieder. Die Wut und die Aggression mit der mir die Band „We Don’t Need No Fucking Wars“ entgegenbrüllt holt mich so krass ab, dass es mir die Tränen in die Augen treibt. Ganz ehrlich und ich schäme mich überhaupt nicht dafür. Es gibt kein zurück mehr, diese Band kommt in meine die Top 10, wenn nicht in die Top 3 diesen Jahres.
„Tell ‚Em Where To Go“ glänzt wieder mit diesen mehrstimmigen Shouts, die auch auf der ersten Platte für den brachialen Sound des Gesangs gesorgt hat. Insgesamt habe ich auch das Gefühl, die Musik hat sich seit „Brissy Boys“ weiterentwickelt, die Songs sind insgesamt melodischer und der Klang der Songs noch voller, wie auch bei „Step Back“ und „Breakfast of Champions“, in dem die Rhythmusgitarre dominant durch den Song führt. „Let’s Have A Beer“ ist der perfekte Pogoeröffnungssong. „No Rest“ ist das letzte, für mich aber eines der stärksten auf dieser Platte, liebliche Gitarre im Kontrast mit vor Testosteron triefenden Stimmen – Groß, ganz groß.
Der letzte Song des Tapes, „Aussi Spirit“, wurde der australischen Feuerwehr gewidmet. Alle Einnahmen aus diesem Song gingen an die australische Buschfeuerhilfe 2019 und 2020.
Tja, was soll ich noch sagen. Kauft das Knaller Tape. Entweder direkt im Running Out Of Tape Records Shop oder im Bauchladen auf dem nächsten Liebliche Konzerte Konzert (3. und 4. Juni) im Planet X in Marbach.