Alone in the night as the daylight brings a cool empty silence.
The warmth of your hand and a cold grey sky, it fades to the distance.
from Ultravox – “Vienna”
Was sich da aus der Rille schält klingt schon nach wenigen Takten nach desolat aus Wien. Kein Wunder, es ist CYRUSS, die Band, aus der desolat hervorging. Doch dazu später. Das feine Label Bloodshed666 Records aus Wien hat neben CYRUSS/ desolat, die fantastischen Phal:Angst im Programm.
CYRUSS stammen aus Wien und existierten von 2004 bis 2009. Man reformierte sich 2017 für ein Konzert als Vorgruppe für die phantastischen BONGZILLA aus Amerika. Was als einmaliges Ereignis gedacht war, führte zur Nachfolgeband desolat im gleichen Jahr. Interessanterweise geben CYRUSS seit dem immer mal wieder Gelegenheitskonzerte.
“Hate Dies Last” ist die dritte Veröffentlichung der Band auf Bloodshed666 Records. Nach dem Debüt “Hate / Human” aus 2005 erschien “Hate Songs” im Jahre 2017. Aus der Situation der Pandemie, entschied man sich im Winter 2020/21, mit CYRUSS ins Studio zu gehen und ein weiteres, drittes Album folgen zu lassen. Man fand fünf alte Songs, die allerdings nie veröffentlicht wurden. Die Songs bekamen ein Facelifting und wurden neu arrangiert. Zudem setzte sich die Band hin und schrieb noch eine neuen Song, so dass ein feines Sechs-Track-Album entstand. Mit “Hate Dies Last” erscheint 14 Jahre nach der Auflösung und 17 Jahre nach dem letzten Album, ein neues (Mini-) Album.
CYRUSS sind ein Trio bestehend aus Alfred Wihalm (git/ von), Markus Freudenthaler (drums), Budrowsky (bass) und zusätzlich Klaus Hoffmann (co-songwriting). Mit Rainer Spänle (Recording & Mixing in den Cosmix Studios) und Dan Swanö (Mastering im Unisound) ist die bewährte Mannschaft am Werk gewesen, die auch für das letzte desolat Album “Elegance Is An Attitude... To Shit On.” verantwortlich waren.
“Despair” eröffnet das Album und ohne langes Vorspiel drücken CYRUSS den Song langsam in die Gehörgänge. Die Gitarre sägt ihre Riffs, der Bass verdichtet wie ein Kompressor die Tonwellen, während ein verzweifelter Sänger Zeile wie “Machines Roll Over The Nasses Of Bodies”. Das klingt nach Endzeit, erinnert an “Terminator” – und erzeugt ein beklemmendes Gefühl im Magen.
CYRUSS nimmt sich nicht zurück und setzt mit mit “No Survival Can Be Toleranter” wieder das Bolzenschussgerät an die Schläfen des Hörers. Völlig im Moment erstarrt, erwartet man jede Sekunde das Ende, während wilde Gitarrenläufe die Ohrmuscheln foltern und die Drums poli-rhytmisch wie Sperrspitzen den Hörer umkreisen und nur auf die Chance lauern zum Angriff überzugehen.
Ein Höhepunkt am Ende der A-Seite ist das über achtminütige “Rotten Silver”, das mit martialischen Klängen einen Frontalangriff auf das Limbische System fährt und macht dabei keine Gefangenen. Ein schleppender Beat quält sich durch den Song wie eine Chain Gang auf dem Weg in den Steinbruch. Der verstörende Gesang nimmt jede Luft zum Atmen, jedes kleine Lichtstrahl wird verdunkelt und jede Hoffnung schwindet. Der hoch viskose Rhythmus ist kaum zu ertragen und trotzdem folgen noch Zeilen wie “the ultimative destructive war is declared to your pointless existence only a realm of devastation shall reign” , die den Hörer vollends in die Verzweiflung stürzen.
“From Vienna With Hate” lässt zum Songbeginn die Drums kurz fröhlich rumpeln, nur um Sekunden später auf dem eingeschlagenen Weg in die Hölle weiter zu fahren. Riffs flankieren den Song, der laut der Band textlich von Billy Braggs “The World turned Upside Down” inspiriert ist.
Kehliges Shouting erzählt die Analogie zu Billy Braggs Song, der die Geschichte der Diggers schildert, einer radikalen Gruppe unter der Führung des Visionärs Gerard Winstanley, die inmitten der Wirren der englischen Revolution auf dem St. George’s Hill bei Weybridge in Surrey eine Art Agrarkommune gründete. Ihr Experiment war nur von kurzer Dauer und wurde durch den gewaltsamen Widerstand der örtlichen Landbesitzer zerstört.
“Sweet Revenge” ist alles andere als süß. Schon zu Beginn drücken die Drums und Bass spürbar eine Welle nach der anderen in die Magengrube und nageln den Hörer an die Wand. Dazu kommt eine Riff-Breitseite nach der anderen, die ihre Melodie wie ein Mantra durch die Gehirnwindungen pflügen. Inhaltlich geht es um Rache – revenge is the cure. Der Song endet mit dem Statement: this is an anthem for sweet revenge und hinterlässt den Hörer nach sechseinhalb Minuten in einer ambivalenten Stimmung.
Wer glaubt, dass es nicht schlimmer kommen kann, sollte hier aufhören. Alle anderen werden in den Sog von “The Product” gezogen, der fast acht Minuten so schleppend vorgetragen wird, dass man ständig entfliehen möchte. Es ist aber genau dieser zähe Sound, der die Spannung des Songs ausmacht. Dazu kommen Tempiwechsel, in denen sich die Gitarre zurücknimmt und Drums und Bass lediglich den Rhythmus halten. Gerade an diese ruhige Passage gewöhnt, zerstören CYRUSS diese Idylle wieder und ziehen den Hörer unausweichlich in ihre düster, apokalyptische Klanglandschaft.
Die große Stärke von CYRUSS ist wie bei desolat die unglaublichen Wucht, die den Hörer in ihr Welt mitnimmt, in der es augenscheinlich nicht Gutes zu erwarten gibt. Um diese bedrückende Atmosphäre zu erzeugen, werden die Instrumente sehr bewusst eingesetzt. Der Bass erzeugt die düsteren, schweren und dunklen Klanglandschaft. Daneben nutzen CYRUSS den Bass im Schulterschluss mit den Drums, durch repitative Riffs als unterschwellige Energie, welche die Songs erbarmungslos in diesem Zeitlupen-Tempo treiben.
Die Gitarren-Riffs wirken oft übersteuert und erzeugen diese langsame, hypnotische Atmosphäre der Songs. CYRUSS nutzen bei ihren Gitarren eher die tieferen Klangfarben, was den Songs zusätzliche Düsternis verleiht. Mit Effekten wie Delays und Verzerrung wird die Stimmung der Songs von “Hate Dies Last” sehr greifbar, und versetzt den Hörer fast in einen Zustand der Trance.
Die Tempowechsel sind genau berechnet in der Liturgie der Qualen. Hier wird jeder Nadelstich exakt gesetzt. Man spürt fast körperlich wie sich diese toxische Sacher-Torte durch die Straßen des Wiens der ersten 2000-Jahre walzt. Auf “Hate Dies Last” vertonen CYRUSS nahezu perfekt die Zeit des Wandels und der Entwicklung des Wiens dieser Jahre.
Es ist längst ich mehr das touristische Wien, welches Falco in “Vienna Calling” besingt oder die Stadt aus dem metaphorischen Song “Vienna” von Ultravox aus den frühen 1980er. Einflüsse wie die EU-Erweiterung, die für einen Anstieg der Migration führte, die sozialen Brennpunkten, die mit dem rasanten wirtschaftlichen Wachstum einhergehen bis hin zu einer hohen Kriminalitätsrate mit Zunahmen bei Gewalt und Drogen. In diesem Kontext ist “Hate Dies Last” auch ein politisches Album zur Lage der Nation Österreich.
CYRUSS beschreiten mit “Hate Dies Last” den musikalischen Weg, den desolat konsequent weitergegangen sind. Während auf dem Album eher Finsternis und Härte regieren, finden sich auf “Elegance Is An Attitude To Shit On”, dem letzten Album von desolat, durchaus melodische und experimentelle Passagen. Somit bildet “Hate Dies Last” einen perfekten Rückblick auf die Entwicklung von desolat und Einsortierung in die musikalische Evolution.
“Hate Dies Last” ist für Liebhaber des Genres, hartgesottene, furchtlose Hörer, die das Experiment nicht fürchten und Fans von CYRUSS und desolat, die hier vielleicht ein Lücke in der Plattensammlung schließen können.
“Hate Dies Last” bestellt ihr am besten beim Label Bloodshed666 Records. Das Album soll laut Label Homepage am 7. Juni erscheinen und kommt als dreifarbiges Vinyl (rot, grün, schwarz) in einer 250er Auflage. Also save the date!