Sodele, jetzetle: Da sind sie wieder, die Herren Gaffa aus Stuttgart (…auuus Stuttgart!). Ganze fünf Jahre hat sich das umtriebige Quintett Zeit gelassen, das neue Album „Am Arsch!?“ gedeihen zu lassen (Zum Review des Vorgänger – Albums „Mach’s Gut“ gelangt ihr hier). Und das hat sich sowas von gelohnt, dear beautiful people out there in the Deutschpunk-Becken – aber dazu später mehr.
Druckfrisch hab ich schonmal ein Vorab-Exemplar auf CD in die Hand gedrückt bekommen (was mir unmittelbar eine gewisses Gefühl von Exklusivität verschafft hat (bis zu dem Punkt, als mein Plattenschau – Kollege Flo mir gelangweilt gesteckt hatte, dass er doch auch schon eins hat). Nun denn, nichts anderes habe ich eigentlich von den schwäbischen Punkrockurgesteinen (hihi) erwartet, denn auch wenn es mit den Alben immer eher etwas länger dauert, so kann ihnen definitiv nicht vorgeworfen werden, sie seien unterrepräsentiert oder gar faul – ich würde meinen Allerwertesten drauf verwetten, dass jede*r, der in, um und um Stuttgart herum wohnt, Gaffa (und sei es in Gestalt eines Plakates oder Aufklebers) gesehen zu haben. Und außerdem geb‘ ich mir sowieso extra viel Mühe, weil es sich bei dieser Band einfach um sehr feine Menschen handelt (und „(…)feinen Menschen muss man geben, was sie wünschen, es ist eben eine Pflicht…“ Ohrwurm, bitteschön, gern geschehen ;-). Und ich selbst verbinde sehr viele schöne Momente mit Gaffa, wie zum Beispiel das erste Konzert mit meiner ehemaligen Band Klaus K!nks in Marbach und die schicksalhafte Begegnung mit der sympathischsten Konzertfotografin Stuttgarts, Mareike Mähler, die auch die Haus- und Hoffotografin der Band ist <3
Mein Verhältnis zu Deutschpunk an sich hat jedoch in den letzten Jahren eher sagen wir mal so, den Beziehungsstatus „Lass uns mal eine Pause einlegen“ erreicht – und wir wissen alle, was das normalerweise bedeutet…
Aber: Ausnahmen bestätigen die Regel. Und, Gaffa gehören, neben weiteren Stuttgarter Schmankerls wie Wärters SchlEchte, D.V.A. oder Überdosis, definitiv zur Ausnahme. Denn Eines eint all diese Bands (neben der lokalen Verortung): Sie klingen nicht, wie diese typischen alten, weißen Männer-Bands, sondern irgendwie, nein, nicht schwäbischer, sondern, öh, fresher, wird das glaub‘ im Jugendslang genannt. (Selbst wenn einige der Bandbeteiligten inzwischen doch etwas an äh, hüstel, Reife zugelegt haben und eventuell nicht mehr ganz so fresh- naja, lassen wir das…).
A Propos Reife: Ja genau, reifer klingen sie trotzdem, die Gaffas mit dem neuen Album, und zwar in jeder Hinsicht. Aber Schluss mit Larifari, her mit den Fakten, Fakten, Fakten:
Neben Vinyl wird es „Am Arsch!?“, wie gewohnt DIY aufgenommen und eingespielt, ebenfalls als MC und auf CD geben. Während der Vorgänger noch über Pogodepp Records released wurde, hat sich bei dieser Veröffentlichung das Neu-Zittauer Label Abbruch Records der neuen Scheibe angenommen.
Das Cover macht, neben dem unmissverständlichen Titel, direkt klar, in welche Richtung es inhaltlich auf dem Album geht. Mit dem Mittelfinger gegen den Rest der Welt (also zumindest gegen den Arschloch-Teil der Welt). Das Artwork hat Marek Heinel übernommen, geil ist das geworden, irgendwie schlicht mit wenig TamTam und dabei trotzdem detailreich. Texte, sowie Live Bandfotos (selbstverständlich von o.g. Mareike Mähler und Annekathrin Linge liegen bei, sehr schön!
Auf Seite A trommelt uns Schlagzeuger Jockl im Eiltempo dann in den ersten Song „Gehetzt“- und nicht nur textlich geht es um die Jagd durch den Alltag, auch instrumental wird dieser Rush perfekt umgesetzt durch treibende Drums, preschende Gitarren und MC Stimpys hastigen Gesang – vor Allem der Bass gefällt mir hier richtig gut und das Lied endet mit einem Sample aus dem Film Jabberwocky.
Mit „V-Mann“ geht’s zügig weiter und hart angepisst werden hier miese Vorgehensweisen und Missstände kritisiert:
„Ich wär so gerne V-Mann, beim Verfassungsschutz, da sind alle auf dem rechten Auge blind, dass mein Kontaktmann und ich gute Freunde sind, das weiß in der Behörde jedes Kind“
Ok, das klingt schonmal nach Anspieltip! In „Idealist“ bekommen Lobbyisten ihr Fett weg (würde denen auch mal gut tun, also das mit dem Fett weg…) und hier fehlen auch die obligatorischen „Oooohs“ nicht. In „NTV“ steigert sich die „OOOOhigkeit“ nochmal und auch hier werden die Lyrics (Art der Berichterstattung in den Nachrichtenmedien) durch den kraftvollen Gesang und die Art, die Instrumente dreckig runterzurotzen, perfekt unterstrichen, der Song endet mit unterschiedlichen Auszügen aus Nachrichtensendungen und Reportagen. Bei „Alkoholintoxikation“ bin ich mir auch nach dem zweiten Durchlauf nicht eindeutig sicher, ob es sich um ein Sauflied handelt (bei Live Konzerten wird das definitiv ein Mitgröhl-Hit!), oder ob es eine kritische Sicht auf den exzessiven Alkoholonsum darstellt – aber vielleicht ist das auch so gewollt. Überhaupt zieht sich auf dem kompletten Werk diese zynische Ironie durch, mit der Gaffa diverse Misstände kritisieren und aufzeigen – so auch bei „Hängt sie höher!“, bei dem Stimpy gesangliche Unterstützung von Lizal von Die Dorks bekommt. Selbstverständlich sind damit die Wahlplakate der „Blauen“ gemeint – da wird auch schon musikalische Früherziehung betrieben, denn das Lied endet mit einem Kinderchor.
Schön kurzweilig die erste Seite, also umdrehn‘ und schon geht es hitverdächtig weiter – und zwar zusammen mit Wolfi (Die Siffer) und NugGelE (Wärters SchlEchte). Eingängige Melodie, ein wahrer „Feelgood-Song“ zwischen all der schweren Kost. Vor Allem dürfen hier, neben dem schmeichelhaften Männerchor die Gitarren von Felix & Mefisto brillieren, nen Mitklatschteil gibt’s au, was will mr mehr. „In einer Welt…“ fängt „Einfach nur weg“ an, ich denk kurz an Die Toten Hosen , es geht insgesamt etwas gemütlicher zu bei diesem Lied, viel Platz für Drumspielereien, Ohhh aus dem Off und Rhythmusgitarren und, Glockenspiel (?) und Einspieler. „When I’m 84“ ist eine Coverversion von Die Geister und greift ein eher untypisches Thema im Punk auf: Das Altwerden (nicht dieses Älterwerden, von dem alle singen), nein, das echte Altwerden inkl. Erkrankungen, Rente, Pflege etc. und Möllemann Hate. „Du hast verloren“ ist eine Coverversion von L.A.R.S. dem Soloprojekt von Lars Besa (Normahl), bei dem er auch stimmlich unterstützt (sehr geil!). „Das Experiment“ holt mich voll ab, das Unverständnis, warum wir es einfach Tag für Tag verkacken, aufeinander zu achten, respektvoll mit unseren Mitmenschen umzugehen und mit Empathie für gewöhnlich eher sparsam sind – dabei wäre sie der Schlüssel für die Tür in eine bessere Welt.
„Am Arsch!?“ endet mit einem Live – Mitschnitt: „Etwas Anders“, dem Track zum gleichnamigen Album (2013), der definitiv äußerst professionell aufgenommen wurde und nicht wie die üblichen Rumpelversionen aus Proberäumen klingt.
Fazit: Für mich das bisher beste Album von Gaffa – von den Texten bis hin zum Zusammenspiel der Band, hat da in den letzten 5 Jahren eine enorme Entwicklung stattgefunden, wie ich finde. Ich bin schon sehr gespannt darauf, wie die Songs live klingen!
„Am Arsch!?“ erscheint am 29.09.2023 bei Abbruch Records, also hübsch ’ne Erinnerung ins Handy speichern. Am besten holt ihr euch den Tonträger eurer Wahl exklusiv auf dem Release Konzert der Band beim Punkfest (mit u.a. Die Siffer, Krachn!x, Abbruch, Mofakette, The Bottles etc.) in Leonberg (bei Stuttgart), wo sie am zweiten Tag auf der Bühne stehen werden. Oder eben über Abbruch Records.