Da, wo wir letzte Woche mit Vanessa über ihren Werdegang zur Bookerin und Tourmanagerin gesprochen haben, bekommt ihr heute das nächste Interview zum Thema: Sandra von Billig People Booking spricht mit uns über Frauen im Musikbusiness, plaudert aus dem Tour-Alltag und gibt nicht zuletzt ein paar Anregungen zum Ausmaß von Corona in der Veranstaltungsbranche. Viel Spaß beim Lesen!
Hallo Sandra, danke für deine Zeit uns einige Fragen zu deinen Tätigkeiten zu beantworten. Wir legen gleich los: Du arbeitest ja bei Billig People Booking. Wann hast du damit angefangen und wie kam es dazu?
Erst einmal vielen Dank für die nette Einladung und das Interesse am Interview, finde ich super von euch. Billig People Booking entstand eigentlich aus einem Zufall heraus. Ich habe seit den 1990ern selbst in Bands gespielt und bin quasi von meinen Bandkollegen dazu verdonnert worden, mich um das Organisatorische innerhalb der Band zu kümmern. Das beinhaltete natürlich auch, Konzerte zu buchen, damit wir ab und zu aus dem Proberaum rauskommen. Dadurch lernte ich sehr schnell Veranstalter, Clubs und andere Bands kennen und Freundschaften sind entstanden. Ich hab mich in der kleinen Punkrocksubkultur pudelwohl gefühlt.
2007 übernahm ich dann auch das Booking der Smelly Caps aus Hannover, mein damaliger Freund spielte dort mit. Damals hatte ich mit keiner Silbe daran gedacht, dass das eigentlich schon eine kleine Bookingagentur war, die ich so neben meinem eigentlichen Job betrieben habe. Und der richtige Aha-Effekt kam dann 2008.
Ein paar Freunde wollten gern ein kleines Open Air veranstalten und fragten mich, ob ich nicht Lust hätte, die Bands dafür zu buchen. Ich fand die Idee super. Als Punkrock und Rock’n’Roll-Fan bekam ich hiermit die Chance, meine Lieblingsbands einzuladen. Die Freude war riesig, obwohl ich gar keine Ahnung hatte, wie ich all diese Bands auf das Festival bekomme oder überhaupt, wie man so ein Festival organisiert.
Weitestgehend ohne Plan schrieb ich die Bands an, darunter natürlich auch diejenigen, die ich bei den Konzerten meiner eigenen Bands kennengelernt und liebgewonnen hatte.
Wir hatten in den ersten Jahren des Atomsmasher Festivals so tolle und bis dato recht unbekannte Bands am Start, z.Bsp. Pascow, Baboon Show und Off with their heads. Und natürlich habe ich meine persönlichen Favoriten und befreundete Bands, Guitar Gangsters, Nonstop Stereo, 2nd District, The Movement, Eddie & the Hot Rods, The Lurkers, usw. eingeladen. So manche Band hatten zu meiner Überraschung gar keine Bookingagentur, oder deren Agentur hatte sich gerade in Luft aufgelöst. Und so fragten mich einige meiner Lieblingsbands, ob ich nicht deren Booking übernehmen möchte.
Ich war völlig aus dem Häuschen und am Ausflippen, obwohl ich immer noch der Meinung war, dass ich gar keine Ahnung von der Materie habe.
Und heute, 12 Jahre nach meinem Aha-Effekt, schaue ich zurück und muss manchmal schmunzelnd den Kopf schütteln, wie sich dieses kleine Hobby weiter entwickelt hat und wie all diese Bands, die ich in den 1990ern so toll fand, den Weg zu mir und Billig People Booking gefunden haben. Hätte mir damals jemand erzählt, dass ich für die Turbo ACs arbeiten werden oder die Guitar Gangsters und The Movement…. The Dictators NYC und The Fleshtones, ich hätte demjenigen nen Vogel gezeigt.
Inzwischen arbeitet übrigens auch Steffen von Schoisaal Dresden für Billig People Booking, eine großartige Bereicherung und Belebung der Agentur.
Das klingt nach einem spannenden und erfolgreichen Weg. Du bist außerdem auch als Tour-Managerin tätig, mit welchen Bands warst du zuletzt unterwegs und wie gestaltet sich so ein Tour-Alltag?
Oh ja. Selbst auf Tour zu sein finde ich sehr sehr wichtig. Zum einen lernt man die Bands, mit denen man jahrelang zusammen arbeitet, sehr gut kennen, ihre Vorlieben und Eigenheiten, und sie erleben genauso mich und meine Marotten, haha. Das schweißt ganz gut zusammen, oder passt eben am Ende gar nicht, das findet man schnell heraus. Vor allem wenn wir dann 24 Stunden am Tag für Wochen zusammen sind, sei es im Tourbus, im Club oder beim abendlichen Schwatz an der Bar. Für mich ist es wichtig, dass die Bands und ich auf einer Wellenlänge schwimmen. Ich habe diese Agentur mit dem Herzen gegründet, nicht wegen des Geldes. Und bis heute habe ich mir dieses Prinzip beibehalten.
Auf der anderen Seite gibt es mir aber auch die Möglichkeit, die Veranstalter und auch den Club und das Drumherum kennenzulernen. Die Veranstalter reißen sich so sehr den Arsch auf, um diese kleinen Punkkonzerte und Festivals zu realisieren, meistens verdienen sie keinen Cent damit, oder schlimmer noch, legen Geld drauf. Wir sitzen stundenlang am PC oder Telefon und besprechen Gagen, Konditionen, private Probleme, man ist oft in Kontakt und das persönliche Kennenlernen ist oft so, als würde man einen alten Freund treffen. Es tummeln sich echt viele tolle Leute in dieser Veranstalterszene.
Der Touralltag selbst ist nicht ganz so „romantisch“, wie es sich so mancher vorstellen mag. Normalerweise steht man, je nach Abfahrtszeit, auf, frühstückt und schwingt sich in den Tourbus. Dann sitzt man für Stunden im Bus und sieht die Autobahnen an einem vorbeifliegen. Ob das in Deutschland ist oder in Italien, einen großen Unterschied macht es nicht. Zumeist ist wegen der straffen Tourpläne kaum Zeit, irgendwo anzuhalten und sich die Gegend anzuschauen.
Die meisten Bands schlummern bei den Fahrten ein. Es gibt aber auch die speziellen Momente, wenn z.B. die Pointed Sticks aus Canada eine Akustikgitarre dabei haben und mir während der Fahrten vollständige Repertoires von den Beatles darbieten.
Zuletzt war ich mit der australischen Garageband Grindhouse unterwegs, das war im Sommer 2019. Während der Tour, an einem netten Sommertag, hielten wir plötzlich an einem Sonnenblumenfeld in der Pampa in Frankreich an, weil die Jungs in Unterhose und Dracula Umhang durchs Feld steigen mussten, um neue Bandfotos zu machen. Ich frage mich bis heute, was der nette Traktorfahrer, der dort gleich geparkt hatte, abends seiner Frau erzählt haben mag, hahaha.
Zumeist gegen 18Uhr rum findet in den Clubs der Soundcheck statt. Sobald wir am Club eingeparkt haben, geht es ans Equipment ausladen, in den Club schleppen, auf der Bühne aufbauen, Merch aufbauen, Soundcheck machen. Üblicherweise gibt es danach lecker Essen und dann geht auch schon die Clubtüre auf und der Konzertabend beginnt.
Spät nachts fall ich zumeist totmüde ins Bett. Und am nächsten Morgen beginnt alles von vorn.
Hand aufs Herz: Corona trifft uns gerade im Veranstaltungsbereich bis ins Mark – wie sieht es für dich und Billig People Booking für 2020 aus? Wie geht es danach weiter?
Ich hatte diese Frage befürchtet. Und du hast recht, es trifft uns alle bis ins Mark. Von 100 auf 0 an einem Tag, zumindest finanziell gesehen. So ganz auf 0 ist die Veranstalterbranche nicht. Ich bin weiterhin jeden Tag mit Veranstaltern und Bands in Kontakt, um die durch die Coronaverordnungen abgesagten Touren auf nächstes Jahr zu verschieben. Das verrückteste daran ist, dass niemand weiß, ob die neuen Daten auch wirklich stattfinden können. Wir schieben schlichtweg ins Blaue hinein, mit viel Hoffnung im Gepäck und dem Hintergedanken, dass wir das eventuell noch mal verschieben müssen oder sogar ganz absagen.
Jammern möchte ich nicht, aber für mich persönlich ist es eine harte Zeit, nicht nur wegen dem Virus an sich. Die Ungewissheit, wie das mit der kleinen Konzertkultur in Zukunft weitergehen wird und kann und das wirtschaftliche Überleben der Clubs, Veranstalter, Backline- und Tourbusvermieter, Musiker, Roadies, Techniker, Tourfahrer und -manager usw., die persönlichen Schicksale und natürlich auch meine eigene berufliche Zukunft, das nagt an mir. Ich befinde mich so ein bisschen in einer Schockblase und mich packt des Öfteren die nackte Existenzangst. Was bleibt ist die Hoffnung, dass wir das gut und sehr bald überstehen, gesundheitlich, psychisch und auch finanziell.
An dieser Stelle möchte ich noch einen Mittelfinger an die amtierende Bundesregierung schicken, die die von ihnen selbst so hoch gelobte Soforthilfe geschickt für die Öffentlichkeit zurecht gestrickt haben und sich mit ihrem gönnerhaften Narzissmus schmücken, obwohl die „kleinen“ Selbständigen in der Kulturbranche weder finanzielle Unterstützung für Dinge wie die teuren Krankenversicherungsbeiträge noch für Miete, Essen oder Strom, quasi Lebenshaltungskosten, bekommen dürfen. Die dicken Fische aber werden mit Milliarden an Euros beworfen. Der kleine Mann/die kleine selbständige Frau bekommt Null. Zero. Umsonst gibt es die Drohung, bei falscher Verwendung der Soforthilfe bis zu 5 Jahre ins Gefängnis zu gehen. Da entsteht trotz des Verständnisses aller Vorsichtsmaßnahmen im Sinne des Coronas und dem Schutz der Menschen vor Ansteckung eine tiefe Wut in mir und ich glaube, in der gesamten Branche. Was ist nur los, Deutschland?
Ich könnte hier noch Stunden weitermachen. Aber, lass mal die nächste Frage angehen.
Ein heikles Thema, ja, lass uns schnell weitermachen 🙂
Gibt es ein besonders ergreifendes, tolles oder sogar mieses Erlebnis als Bookerin und Tour-Managerin, das du mit Sicherheit nie vergessen wirst?
Ja klar, das gibt es. Das beste und tollste Erlebnis war natürlich, dass ich meinen Mann auf Tour kennengelernt habe. Was soll ich sagen… das kann nichts toppen, haha. Was mich auch sehr happy macht, sind anstehende Touren mit so einigen Bands, mit denen ich inzwischen befreundet bin, weil es einfach klick gemacht hat und man sich so gut versteht, dass die Tour noch monatelang weitergehen könnte. Es ist eine Art Rausch. Ich liebe diese Momente.
Schlechte Erlebnisse gab es natürlich auch. Quasi die Klassiker. Vor einigen Jahren bin ich mit einer jungen Ami Rock’n’Roll-Band auf eine 4-wöchige Europatour gefahren. Die Jungs waren in ihrem eigenen Modus, Girls aufreißen und gerne schon mittags halb nackt neben mir auf dem Beifahrersitz im Tourbus Whiskey trinken, um abends beim Konzert zu besoffen zum Spielen zu sein. Das allein reicht mir schon aus, um eine Tour als anstrengend zu empfinden. Dazu kam jedoch, dass der Tourbus mindestens 10 mal in 4 Wochen kaputt ging. Ich als Tourmanager und einziger Tourfahrer war dafür verantwortlich, die Band irgendwie zum nächsten Auftritt zu bekommen. Tagsüber in der Werkstatt, irgendwo im Nirgendwo in Frankreich oder Südspanien mit sehr wenigen Sprachkenntnissen des jeweiligen Landes, 5 schwer verkaterte und noch halb Besoffene auf dem Fußboden in der Autowerkstatt liegende Musiker, die verstörenden Blicke der Werkstattmitarbeiter und ich kurz vorm Ausflippen. Ich habe auf dieser Tour viele graue Haare bekommen und mich neu kennengelernt, das kann ich dir sagen.
Beklaut wird man auf Tour auch ab und zu. Einmal wurde mein komplettes Hab und Gut aus dem Tourbus herausgeklaut als wir an einer Tankstelle auf der Autobahn in der Nähe von Barcelona Halt machten. So schnell konnte ich gar nicht gucken. Und als wäre das nicht alles schon schlimm genug, entschloss sich die Band, dass sie mich nun nicht mehr brauchen und setzten mich buchstäblich beim nächsten Konzert auf die Straße, in den Bergen von Nordspanien. Dummerweise hatte ich durch den Diebstahl keinen Cent in der Tasche und auch keinen Ausweis oder irgendwelche Papiere. Alles ging am Ende gut aus, dank eines guten Freundes, der mir Geld borgte und dank der damaligen Mitfahrgelegenheit.de, die mich von Spanien nach Deutschland brachte. Aber das war ein echtes Schockerlebnis, und es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich davon erholt hatte.
Immer wieder unglaublich, was ich unter diesem Punkt für Geschichten zu hören bekomme. Machen wir weiter: Was denkst du wie sich die Position von Frauen im Musikbusiness in den letzten 10 Jahren verändert hat? Hast du bei deiner Arbeit eine Art “Turning Point” erlebt?
Generell betrachtet hat sich in den letzten 10 Jahren nichts verändert, was ich sehr schade finde. Das Musikbusiness ist männerdominant, sowohl im Booking, bei Veranstaltungen, bei den Bands selbst, sogar im Publikum… Für mich ist es immer ein besonders großes Hallo, wenn ich mit weiblichen Veranstaltern und Bookern zusammentreffe. Daran sieht man bereits, dass es etwas Besonderes ist, Frauen im Musikbusiness zu finden.
Ich habe allerdings persönlich in den letzten 12 Jahren sehr viele positive Sachen erlebt, was die Agentur und meine Arbeit angeht. Ich glaube, ich wäre heute gar nicht mehr im Bookingbereich tätig, wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass die Resonanz auf meine Arbeit gewesen wäre, ah, da ist wieder eine Frau, lass uns der mal helfen.
Es ist tatsächlich genau anders herum. Viele männliche Kollegen und Veranstalter und auch viele Bands unterstützen mich sehr und schätzen meine Arbeit, im Booking und als Tourbegleiter.
Es gibt natürlich trotzdem immer noch diverse Idioten, hier und da, die mir zeigen müssen, welch tolle Vögel sie sind. Und wenn sie denn in der Gegend rumschwirren, dann gibt es entweder einen Spruch von mir oder ich strafe sie mit Nichtbeachtung.
Wie nimmst du generell die Arbeit deiner männlichen Kollegen wahr und gibt es bestimmte Bereiche, in denen du dich benachteiligt fühlst? Was denkst du, sind die Gründe dafür?
Meine männlichen Kollegen, die ich persönlich kenne, und bei denen ich mir somit ein Urteil erlauben kann, sind allesamt korrekte Menschen. Sie ackern genauso hart wie ich, um die Touren zu buchen und das ganze Organisatorische von Arbeitserlaubnis und Visa besorgen bis hin zu Verträgen und Rechnungen schreiben zu bewältigen. Es ist ja tatsächlich ein Haufen Papierkram. Mal eben schnell ein Konzert buchen ist nur ein kleiner Prozentteil der Bookingarbeit.
Zumeist treffe ich so einige meiner Bookingkollegen auf Konzerten und bei den Sommerfestivals, und dann wird ausgiebigst über Booking und Job und Bands geschnattert. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich hier als Frau hinten angestellt werde oder dass wir in Konkurrenz stehen.
Im Tourbegleiter Business passiert es schon eher mal, dass Frauen auch gerne mal erstaunt angeschaut werden, wenn sie den Tourbus fahren und die Verstärker in den Club schleppen. Das musste ich leider auch schon erleben.
Die Gründe dafür liegen sicherlich einzig und allein in der immer noch veralteten Vorstellung, dass Frauen für die Kindererziehung und den Haushalt zuständig sind, während sich diese besagten Männer für das bessere Geschlecht halten. Zum Glück sehe ich diesbezüglich generell eine Veränderung, zumindest in meinem Umfeld. Aber da müssen wir alle noch viel mehr tun, keine Frage.
Auf welche in der Zukunft liegenden Ereignisse freust du dich besonders? Gibt es etwas, was du unbedingt erleben möchtest, vielleicht eine Band, oder ein Festival, bei dem du in irgendeiner Art und Weise mitwirken willst?
Da gibt es für mich zur Zeit nur eine Antwort: Das Ende der Corona Pandemie und die Öffnung der Clubs und der Kultur allgemein und damit auch die Rückkehr zu einem stinknormalen Konzert und Festival, wie wir es vor der Pandemie kannten und liebten, und das weltweit. Ich vermisse die Live Shows wirklich, nicht nur im Job, sondern auch als Konzertgänger.
Die Idee, ein Billig People Festival zu veranstalten, gibt es bereits. Vielleicht ist es dann auch an der Zeit, das ganze umzusetzen.
Hast du für die Leser*innen noch eine Botschaft, die du hier gern mit auf den Weg geben möchtest oder etwas, was du sonst noch gern beantwortet hättest?
Unterstützt eure kleinen Lieblingsclubs, Festivals, Bars, Theater und Kinos. Während Corona und auch danach. Sie brauchen euch jetzt ganz besonders. Dankesehr.
Vielen Dank für das Interview, liebe Sandra!