Gestern, am 10. Juni, erschien das Debüt “Modern Urban Angst” der Hamburger Band HÆCTOR. Ich hab schon mal reinhören dürfen (Review folgt) und mich im Vorfeld mit der Band unterhalten, denn die Musik wirft Fragen auf, weil sie einen Nerv trifft, weil in ihr und in den Texten eigene innere Unsicherheiten und Fragezeichen auf äußere globale Krisen treffen und es schwer wird, sich selbst in dem Chaos zu verorten. Musik hilft.
Zuallererst herzlichen Glückwunsch zur fertigen Platte. In ein paar Tagen ist ja Release-Day! Wie fühlt sich das Debüt an? Überwiegt die Nervosität, oder seid ihr erleichtert, dass sie nun fertig ist und der Schaffensprozess abgeschlossen ist?
Ein bisschen Nervosität ist sicherlich im Spiel – das geht wohl jedem Künstler so, der sich mit seiner Kreation an die Öffentlichkeit wagt. Einige der Songs wurden ja schon veröffentlicht, andere nicht. Vor allem der letzte “Your Darkness” ist ein krasses Experiment, und wir sind gespannt, wie die Hörer:innen das annehmen werden. Erleichterung ist ehrlich gesagt nicht mit im Gefühlsmix, denn das würde ja bedeuten, dass der Schaffensprozess vorher eine anstrengende Tortur war. Aber an sich ist er ja eine der schönen Seiten des Musikerdaseins – und insofern war die Produktion etwas, was wir gerne so bald wie möglich wieder machen würden. Neben Live-Gigs schlägt dafür unser kollektives Herz.
Ich finde Indie-Pop/ Rock, wie ihr ihn macht ist ja auch immer eine Art Deep-Talk. Bei einer vierköpfigen Band stellt sich mir natürlich die Frage, wie die Texte zustande gekommen sind? Arbeitet ihr zu viert daran? Sind es persönliche Einzelempfindungen, die dort vorkommen, oder habt ihr in der Zeit eures Bestehens schon so etwas wie ein kollektives Empfinden und Verarbeiten geschaffen?
Die Texte stammen ausschließlich aus der Feder von Martin, unserem Sänger. Interessanterweise ist aber tatsächlich im Laufe der langen Zusammenarbeit als Band und vieler Gespräche über das Leben und den Alltag und die Welt so etwas wie ein kollektives Bewusstsein für die damit verbundenen Probleme entstanden. Und so mag die Inspiration für die Texte zwar einem individuellen Erlebnis von Martin entsprungen sein, aber die Aussagen und Erkenntnisse triggern und berühren uns alle.
Lena, vor kurzem hat meine Tochter voller Erschrecken festgestellt, dass sie zum ersten mal eine Frau auf der Bühne sieht, eine Frau am Bass. Siehst du dich selber auch als eine der wenigen Frauen in einer “Männerwelt”? Und wie wirkt sich das aus?
Lena: Früher habe ich das absolut so wahrgenommen. Ich war immer die einzige Frau, die Bass gespielt hat und vor allem war ich immer die einzige Frau, die richtig Spaß dabei hat, sich auch mit technischen Sachen, Sounddesign, Effektgeräten, Synthesizern usw. zu beschäftigen. Das wurde und wird von anderen Leuten dann gerne mal als nerdig bezeichnet und ich kannte nie Frauen, die gleiches Interesse hatten wie ich. Das hätte ich mir besonders als Teenager anders gewünscht.
Bei Konzerten und Gesprächen mit anderen Musikern habe ich das Gefühl, dass ich durch mein Geschlecht andere Interaktionen habe, als meine männlichen Kollegen. Ich empfinde es so, dass man meinen männlichen Kollegen einfach zutraut, dass sie wissen was sie tun – ich muss das manchmal erst beweisen. Da entstehen manchmal wirklich skurrile Situationen: Ein männlicher Bassisten-Kollege hat mir mal ganz kleinschrittig erklärt, wie der Bass-Verstärker funktioniert. Eine weibliche Konzertbesucherin hat mir nach dem Konzert erzählt, sie dachte für die ersten zwei Songs ich sei ein Mann, weil ich so souverän gespielt habe. Es kommt immer wieder vor, dass Techniker vor Ort davon ausgehen, dass ich die Lead-Sängerin bin. Männer versuchen mich nach Konzerten immer mal auf schräge Art zu „ermutigen“, z.B. ich solle mich ruhig trauen lauter zu spielen oder ich solle mich nicht hinter so viel Technik verstecken. Für solche Interaktionen muss ich immer gewappnet sein.
Irgendwann habe ich die Zeitschrift „She Shreds“ entdeckt, da habe ich zum ersten Mal gedacht „das ist meine Gang!“. Durch Instagram, TikTok und YouTube sehe ich mich heute nicht mehr als eine der wenigen, sondern als eine von vielen, die immer sichtbarer und lauter werden. Ich hoffe, dass sich immer mehr Mädchen und Frauen ermutigt fühlen, selbst zum Instrument zu greifen und einfach das auszuprobieren, wozu sie Lust haben, damit so stereotype Vorstellungen langsam aus den Köpfen verschwinden.
Macht es für dich persönlich in eurer Band überhaupt einen Unterschied, ob deine Kollegen männlich oder weibliche sind? Die Frage geht ich natürlich auch an Martin, Christoph und Christopher. Gleichberechtigung und die Frage der Repräsentation in der Musikbranche ist ja für alle Geschlechter relevant und nur gemeinsam zu beantworten.
Lena: Es macht für mich keinen Unterschied. Mir ist wichtig, dass alle in einer Band musikalisch auf einer Wellenlänge sind bzw. sich gut ergänzen und gegenseitig beeinflussen. Außerdem muss es eine offene Atmosphäre geben, in der man verletzlich sein und sich entfalten kann. Dafür kommt es viel mehr auf die Persönlichkeit an, als auf das Geschlecht.
Chris: Nein, das macht keinen Unterschied – und sollte es auch nicht.
Vielen dank für das kurze Interview und eure Zeit und viel erfolg mit der Platte und bei den anstehenden Konzerten.