Das Album „The Garden“ erschien bereits im Oktober 2022. Es ist aber definitiv ein Album von solcher Klasse (Musik und Text) und Tiefe, dass es absolut ein nachträglichen Review verdient. Katharina Nuttall heißt die Künstlerin, die in Norwegen geboren wurde, mittlerweile in Stockholm residiert.
„The Garden“ ist bereits ihr viertes Album, das allerdings nach einer elfjährigen Pause entstand. An diesem Album ist alles ausgewählt schön und passend in ein großes Ganzes. Schon das Artwork ist eine Pracht und entstand in einer Kooperation mit dem bildenden Künstler Albin Biblom. Ein kleiner Wermutstropfen für mich ist, dass man keine Texte abgedruckt hat, sondern auf dem Innersleeve ein wunderschönes Foto von Katharina Nuttall abgedruckt und auf der Rückseite lediglich die Credits zu den einzelnen Songs gelistet hat.
„The Garden“ thematisiert emotionale Strömungen, Umbrüchen und Zuständen sowie der Auferstehung (Text aus dem Song „Deep Blue“: Rebirth). Die Texte wurden inspiriert von Charles Baudelaire (franz. Schriftsteller und Lyriker 1821 – 1867) und John Keats (brit. Dichter 1795 – 1821).
Bisher hat das Album zwei fantastische Singles abgeworfen. Zum einen „Lethe“, zum anderen „Inspired by John Keats“. Ich zeige euch im Anschluß, passend zu den Singles die Videos, die ich extrem kreative finde. Insbesondere „Inspired by John Keats“ ist fantastisch visuell umgesetzt – unbedingt anschauen!
Lethe ist einer fünf Flüsse in der Unterwelt der griechischen Mythologie. Im klassischen Griechisch bedeutet Lethe Vergessen, Vergessenheit oder Verborgenheit. Im Einklang mit der klassischen Mythologie war Lethe auch der Name eines griechischen Geistes: der Geist des Vergessens. Der Song zeigt als Opener sehr schnell, dass „The Garden“ kein typisches Scandinavian Pop Album ist, sondern sich einer Vielzahl an Genres bedient. In „Lethe“ läuft eine Electro-Melodie, über die sich in den 80er Jahren diverse Electro Pop-Heroen gefreut hätten. Dazu kommen Streicher und ein unwiderstehlicher Beat, die den Song wirklich die nötige Spannung geben.
„Inspired by John Keats“ ist wieder ein Opener, diesmal der B-Seite. Der Track erinnert von seiner Machart sehr an Filmmusik – Katharina Nuttall ist neben Musikerin, Produzentin eben auch Filmmusikkomponistin – und hat einen tollen Spannungsbogen, der zum einen durch diese monotonen Wiederholungen, aber auch durch die eindringlichen Spoken Words von Katharina Nuttall erzeugt wird. Dabei erzeugen Pauke und Klarinette eine dunkle, wabernde Atmosphäre, in welche Katharina Nuttall die erste Strophe des Gedichts „In drear nighted December“ von John Keats intoniert.
In drear nighted December,
Too happy, happy tree,
Thy branches ne’er remember
Their green felicity.
Sie wiederholt diese Worte wie ein Mantra zur ebenfalls sehr monotonen Musik. Die epische Tiefe kommt spätestens mit dem Einsatz von Engelschören im Hintergrund. Der Beat ist fast militärisch und treibt den Song ungnädig voran. Ein wirklich tolles Stück von hoher Dramatik und Intensität.
Der Nachfolger „Deep Blue“ wird mit einer Drum Machine eröffnet und hat einen starken Alternative Rock Einschlag. Katharina Nuttal nutzt wieder die Spoken Words um die Lyrics konzentriert, und auf das Wesentliche reduziert, vorzutragen. Teilweise spricht sie eine Auflistung an Substantiven. „Deep Blue“ ist für mich der beste Song des Albums und erinnert mich sehr an Laurie Anderson. Ich würde „Deep Blue“ als Quintessenz aller Songs des Albums bezeichnen. Ein Spektrum zwischen analogen und elektronischen Elementen, zusammengehalten vom dunklen, süßen Timbre der Stimme.
Überhaupt strotz das Album „The Garden“ nur so vor Anspielungen. Man hört Anklänge und Einflüsse von David Bowie, PJ Harvey, Siouxsie and the Banshees, aber auch so Künstlern wie Kate Bush und Radiohead. Ein tolle Melange aus allem hat Katharina Nuttall da geschaffen ohne die Vorbilder zum kopieren.
„The Poison Tree“ auf der A-Seite hat nicht nur diesen genussvolle, behagliche, melodische Gesang, sondern auch ein schönes Fingerpicking auf der Gitarre, sowie schöne akzentvolle Geigen, die zusammen diese schaurig-schöne Atmosphäre des Songs ausmachen.
Es folgt mit „Velvet Moon“ ein weiterer Höhepunkt von „The Garden“, der ebenso schön wie verstörend ist. Hier denkt man schnell an die Atmosphäre der Lynch-Filme.
„The Trees of Green“ ist eine eher schwüle Ballade für den Abend in der Bar, während „Forever Stay“ überzuckert von süßen Synthiemelodien sich in sphärische Höhen erhebt. Trotz aller Mischungen der Stile und Genres schafft es Katharina Nuttall zu jeder Zeit die Spannung hoch zu halten und dem Hörer:in zu zuflüstern, komm mit und schau, was es hinter der nächsten Ecke gibt.
Und das sich Katharina Nuttall auch aus ihrer Comfortzone kommt, zeigt das folgende Video, in dem sie den New Order Song „Blue Montag“ sehr eigenwillig interpretiert. Ich kenne viele Coverversionen des Songs, aber Katharina Nuttall findet eine ganz eigene Nische die Schönheit dieses Songs in einem völlig neuem Licht zu zeigen.
Wer nun neugierig geworden ist auf eine interessante, kreative, mehrfach preisgekrönten Künstlerin, der:die sollte das Tor zum Katharina Nuttalls Garten weit aufstossen und hineintreten. Ihn:Sie erwartet eine dunkle, subtile Dunkelheit, welche die Wahl-Stockholmerin mit ihrem speziellen Stil, harmonische Melodien und mal rockigen, rauen Elementen aber immer unter einem samtenem Mantel erzeugt. Der Weg dahin führt hier entlang.
Für Schnell-Checker: Katharina Nutttall im Netz