Eine neue Vinyl von Lauter Bäumen: „Wer sind wir jetzt?“. Ich brauchte ein wenig, eh ich mit dem Album warm wurde. Hören, nochmal hören. Und nochmal hören. Und das anfängliche „oohhhäähh“ verflüchtigte sich in den Tönen und Worten. Vielleicht wollte ich aber auch gar nicht warm werden mit diesen Texten, weil sie durch kryptische und dennoch direkte und universelle Sprache einen wunden Punkt treffen. Und das versucht Mensch ja gerne zu vermeiden. Und um wunde Punkte geht es. Es lohnt sich genau hinzuhören, dem Text zu lauschen und das Booklet in die Hand zu nehmen. Auch weil es ein wirklich schönes Stück Papier ist. Musik ausmachen und „nur“ lesen, geht auch. Ist aber nur die halbe Wahrheit.
Lauter Bäumen sind eine Kölner Band, die 2014 ihr Debütalbum „Ganz weit in Weiß“ rausgebracht haben. Musikalisch irgendwo zwischen Indie Pop-/Rock, Alternativ Pop-/Rock und deutschsprachigem Punk zu verbuchen, irgendwie 90er like, Schubladen sprengend. Wer braucht die schon?
Die im Dezember bei Tumbleweed Records erschienene Platte – „Wer sind wir jetzt?“ bringt Neu und Alt zusammen. Sie beinhaltet neue Songs aus dem Homerecording und neu gemasterte Songs des bereits 2017 erschienenen Albums „Mieser in den Miesen“.
Zurück zur Musik. Der erste Song „Holzbein 2020“, ein Remix aus dem „Mieser in den Miesen“-Album, vertont eine depressive Stimmung mit leichtfüßiger poppiger Melodie. Ein Versagen, ein „ich kann nicht mehr“ und das ganze unsichtbar für die Mitmenschen, weil das Innerste im verletzlichen Kern nicht nach außen getragen wird, werden kann. Bei körperlichem Gebrechen ist es anders, muss weniger erklärt werden, weil sie greifbarer sind, sichtbarer und Empathie wahrscheinlicher ist. Ist ein Holzbein Seelenkladderadatsch vorzuziehen? Mensch weiß es nicht. Aber aufgeben keine Option. Weiter geht es mit einem Song, der zusammen durch Bum Khan Cha Youth, mit elektronischen Beats verfeinert, eine Begegnung darstellt. Entgrenzung weil, „We hate it when our Friends become successful“? Und wer zieht diese Grenze, wodurch entsteht sie? Diese Zusammenarbeit jedenfalls besticht durch Bereicherung, durch das Gegenteil des Besungenen.
Fragen stellen auf emphatisch unangenehme Art und Weise, das kann dieses Album. „Wer sind wir jetzt?“ stellt diese und wirft weitere auf. Wer ist eigentlich dieses Wir? Du, ich, die Band, die Kunst-und Kulturschaffenden, die Gesellschaft? Auseinanderwirken von Gesellschaft, die Pandemie als Brandbeschleuniger?! Das Gemeingut Kultur, versinkend in der Unsichtbarkeit. Kultur verkommend zum reinen, immer abrufbaren, immer erlebbaren Konsumgut durch den fortschreitenden und immer schrägere Züge annehmenden Kapitalismus? Stakkatoartig hämmert sich der Refrain „Die Stadt der Reichen hat zugemacht / Wer sind wir jetzt, wer sind wir jetzt?“ ins Hirn. Fragen bleiben unbeantwortet „Schuldfragen im Niemandsland“. Die einzige Antwort, wie schon im ersten Song, Aufgeben ist keine Option.
Die B-Seite mit neu gemasterten Tracks, die so aktuell sind wie 2017 und es vermutlich auch bleiben werden. „Mieser in den Miesen“ nicht rein finanziell, sondern in der persönlichen Untiefe des Seins, auf der Suche nach der im Song besungenen Struktur. Und Struktur schafft Lauter Bäumen, nicht nur in diesem Lied. Die fragenden Untiefen lauern auch in den letzten beiden Songs. Die Suche nach Leichtigkeit, auf dem nie enden wollenden Weg der Endadoleszenz (und das ist keine Frage des Alters) hin zu diesem Erwachsensein, was ja nun wirklich keiner braucht. Nicht in der eigenen Welt, nicht wenn Unterschiede irrelevant werden wie Schubladen.
Zu guter Letzt muss ich nochmal ein paar Worte zu diesem Booklet loswerden. Einfach weil es so liebe – und kunstvoll gestaltete acht Seiten sind, mit Artwork von Carlo Palazzari. Zeichnungen, die so zart und bedrohlich das Kleine wie das Große darstellen. Vielleicht rückt ein Kopfstand die Welt wieder ins Lot.
Also, das Album und ich, wir haben nach kurzen Anlaufschwierigkeiten zusammen gefunden und ich habe mich noch nicht satt gehört. Kaufen könnt ihr es nur direkt bei Tumbleweed Records, per Mail info@tumbleweedrecords.de. Es ist auf 100 Stück limitiert, also besser schnell sein.