Hab’ lange überlegt, ob ich ihn bring’, den Kalauer. Hab mich nun zwecks echt lockerem Einstieg ins Review dafür entschieden. Achtung, hier kommt er. Leider ist mein Kyrillisch etwas eingerostet, weshalb ich die Texte auf Marrauders wiederveröffentlichtem dritten Album “Propeller” nicht lesen kann. Und? Wie war der? Nicht schlecht, oder? Weil ich und Kyrillisch und sowieso und überhaupt, haha. Na ja. Nun aber zurück zum Ernst und Tagesgeschehen. Tatsächlich hätte ich gerne verstanden, wie die Jungs der St. Petersburger Hardcore-Institution Marrauders uns die Punkerwelt aus ihrer Sicht schildern. Auf dem Beipackzettel des Labels ins Englische übersetzte Songtitel wie “Humanist”, My Country” oder “My God” legen durchaus nahe, dass auch politische, religiöse oder sonstwie szenerelevante Themen in die Mangel genommen werden.
Und doch frage ich mich, in welcher sprachlichen Intensität die Marrauders zu Werke gehen, denn durch Fälle wie den des Oppositionellen Nawalny wird uns aktuell wieder vor Augen geführt, dass Dagegen Sein in Russland schlicht und ergreifend gefährlich ist. Eine gefühlte Nummer kleiner, jedoch genau so heftig: erst heute Mittag bin ich beim Schmökern in einem alten Ox in einem Interview über den Mord an Timur Kacharava durch russische Neonazis in St. Petersburg gestolpert.
Zugegeben, das Interview hatte den Mord am Dortmunder Punk Thomas Schulz, ebenfalls durch einen Neonazi, zur Grundlage. Und doch habe ich dieses Bild, Klischee, vielleicht auch komisch geartete Vorurteil im Kopf, dass es in Russland potentiell riskanter ist, in einer Punkband zu spielen. Und eine Punkband, das sind die Marrauders ohne Zweifel. Ursprünglich auf der ’77er-Schiene unterwegs, änderten sie ihren Stil, nachdem Mastermind Ilya über eine nette Umschreibung von Hardcore gestoßen war. Dort stand geschrieben, dass Hardcore Black Sabbath-Riffs in Schallgeschwindigkeit spielen würde. Klang spannend und die Marrauders wollten’s tun. Und wie.
https://youtu.be/r6wl-0UPD14
Sie prügeln sich auf “Propeller” in einem halsbrecherischen Tempo durch 25 Songs. Klingen sie auf der A-Seite noch etwas eintönig nach Better Than A Thousand, kommt auf Seite B doch deutlich mehr Abwechslung ins Spiel. Wenn ich richtig mitgezählt habe – die Songs gehen nahtlos ineinander über – überrascht der Song “My God” mit einem Midtempo-Part, der sich so auch in einem Metallica-Song der Marke “One” wiederfinden könnte. Richtig weitergezählt klingt der Song “Star” dann gar wie die H-Blockx. Schön groovy.
Für Hardcore-Puristen womöglich befremdlich, heben diese Stilmittel die Marrauders auf “Propeller” vom sonst mitunter recht monotonen Genre-Brei ab und sorgen so für eine gewisse Spannung. Und immer mit dabei, diese, sich in bester Bad Brains-Manier beinahe selbst überholende Stimme von Ilya. Die Marrauders wissen zu gefallen. Soundtechnisch wäre zwar noch etwas Luft nach oben (die Gitarre klingt durch die etwas zu starke Verzerrung zu undefiniert, um die Staccato-Attacken auch wirklich betonen zu können; der Platte fehlt der Druck, um so richtig auf die Fresse zu hauen), aber Tempo und Spielwitz machen das wieder wett. Gerne dürfen die beteiligten Labels, allen voran 1000 Travels To Noise, die restlichen Platten der Marrauders ebenfalls neu auflegen, falls noch nicht geschehen. Und zwar auch gerne auf so schön buntem 180g-Vinyl wie “Propellers” hier.
Meinetwegen und der Authentizität wegen gerne wieder auf Kyrillisch, auch wenn dieses bei mir ja etwas eingerostet ist. Ha, da ist er wieder, der Kalauer. Wie könnte denn ein Review besser enden als mit einem solchen Kracher? Zum Beispiel, indem die Leserschaft sich für den Kauf der vorgestellten Platte entscheidet. Unter anderem hier.