Wenn sich Love A und Pascow in einer dunklen Straßenecke zum Barenuckle-Fight treffen und sich bis zur Unkenntlichkeit vermöbeln kommt Maulgruppe dabei raus. So, oder so ähnlich zumindest. Aber nochmal von vorn:
Am 02.11.2021 haben Jens Rachut und seine Maulgruppe im Merlin in Stuttgart aufgespielt und ich war da. So wie auch ca. 60 andere Gäste, die sich trotz Wochentag und Corona-Pandemie getraut haben, noch nach 20 Uhr das Haus zu verlassen. Im Merlin galt an diesem Abend noch die 2G Regel, sprich, Konzert im Stehen, ohne Abstand und ohne Maske. Ca. 20:42 betreten die vier Herren die Bühne und Jens Rachut spricht eröffnende Worte. Eröffnend zum einen, weil er eben der erste ist, der spricht, und eröffnend zu anderen, weil er damit beginnt, zu erklären, was es kostet die Maulgruppe für eine Show zu buchen und warum man es deshalb lieber sein lassen sollte.
„Also 400€ für An-und Abfahrt muss man schon rechnen, dann wollen wir natürlich noch irgendwo Schlafen und lecker essen, sprich nochmal so 200€ und dann kommt halt noch die Gage drauf. Also für 1400€ Tacken könnt ihr uns haben.“, eröffnet er den Abend. Das Publikum lacht und fragt sich gleichzeitig, wie viel Ernst in der Aussage steckt. Wer Jens Rachut aber kennt, der weiß, dass ihm Sarkasmus und Ironie quasi angeboren wurden. Also alles halb so wild, denke ich. Die Band wird kurz vorgestellt: Berlin, Freiburg, Hamburg und nochmal irgendwas, dass ich vergessen habe, bei dem aber die meisten Besucher applaudiert haben – muss also irgendwo in der Nähe von Stuttgart gewesen sein. Besonders betont wird das Bodentreter-Brettchen des neuen Gitarristen. Der hat wirklich viele Bodentreter, der gute Mann. Aber braucht er auch, mehr dazu dann gleich. Jens meint, er hätte sowas auch gerne, aber das geht ja nicht wegen „Dings, wie heißt das doch gleich?“ – „Mikrofon“ schreit es aus dem Publikum, „genau, Mikrofon! Handtuch für dich nachher!“ gibt Rachut zurück. Handtuch ist Merchandise übrigens.
Und dann geht es auch schon los, der Mann mit der Bodentreterarmee tritt, als gäbe es kein Morgen und schon startet ein elektronisch-waviges Intro. Nach ca. 15 Sekunden setzt dann Rest der Band ein und zwar mit ordentlich Druck. Ich habe kurz Angst, dass der Drummer bei seinen Kicks entweder die Bassdrum ins Publikum katapultiert oder gleich mit dem Fuß drinsteckt. Jedenfalls hat der gute jede Menge Kraft, die er herzhaft ins Trommelpedal rein hämmert.
Der erste Song heißt „Prim die Zahl“ und es geht um Außenseiter in der Zahlen-und der Menschenwelt. Die Maulgruppe ist die Reinkarnation des 80er Post-Punk, aus dessen Nacken der böse Zwilling des Wave, wie ein riesiger Pickel, herauswächst und nach Aufmerksamkeit giert. Poesie im Punkgewand, das kann er ja eh gut, der Herr Rachut und zusammen mit Musikern und etwas Noise von YASS als die Maulgruppe klappt das noch besser. Es ist nicht voll im Merlin, aber für Stuttgarter Verhältnisse wird heftiger mit dem Kopf genickt und nach den Songs applaudiert, als bei manchen ausverkauften Punkrock-Shows. Und das zu recht. „Im Pferd geblieben“ ist mein Lieblingssong, schon auf Platte ein Hit, aber in Live bekommt der Song nochmal einen komplett anderen Drive. Wie der Song klingt, könnt ihr euch irgendwo anders anhören – hier dafür ein Video zu “Geschwür”:
Der Schlagzeuger schuftet sich hinter seinem minimalistischen Set einen ab und treibt die Band nach vorne. Dazu der großartige Einsatz der Synthie-Bodentreterarmee in Kombination mit der darüber oder abwechselnd dazu gespielten Gitarre und dem renitenten Gekreische von Jens Rachut sind eine hervorragende Mischung. Den Bass habe ich leider, vermutlich aufgrund meiner Position im Raum und den Sythies, nicht so wirklich rausgehört, sorry Bassmann! Aber auch der hat sicher seinen Teil zu diesem fetten Soundteppich beigetragen.
Ich weiß gar nicht was ich hier so groß rumlaber, das war ein hervorragendes kurzweiliges Konzert, das wegen mir hätte noch mal ne Stunde weitergehen können ohne langweilig zu werden. Auf Platte schon eine gute Band, aber in Live eine absolute Empfehlung! Musikalisch super und der Entertainment-Faktor von Jens ist auch prima. Wer auf Post-Punk, Waviges oder punkige NDW steht und die Maulgruppe noch nicht kennt, sollte das schleunigst ändern!
So, also nochmal kurz zusammengefasst:
Das war ein sehr gutes Konzert in sehr gemütlichem Rahmen.
Weil ich absolut untalentiert bin, was Fotos machen angeht, hat mir der Kalle Stille (kennt ihr eventuell aus dem Ox), der selbstverständlich auch da war, weil er auf ungefähr auf jedem Konzert in Stuttgart und Umland (manchmal sogar simultan) ist, freundlicherweise welche von seinen zur Verfügung gestellt! Danke Kalle! Achso, das Video hat auch der Kalle gemacht…