In unserem heutigen “MusInclusion” Interview haben wir mal eben die Branche gewechselt und uns mit dem Schauspieler Nicolas Dinkel ausgetauscht. Er erzählt uns im Folgenden, wie er Inklusion in seinem Berufszweig einschätzt und welche Erfahrungen er stellvertretend zum Thema Barrierefreiheit in Begleitung seiner Mutter, die im Rollstuhl sitzt, auf Veranstaltungen gemacht hat. Als ehemaliger Veranstalter, leidenschaftlicher Konzert- und Festivalbesucher, Mercher und seinerzeit Sänger einer Punkband, hat er das Thema aus jedem Blickwinkel betrachtet. Aber lest selbst, viel Spaß dabei!
Hallo Nicolas, schön, dass Du Dich dazu bereit erklärt hast, in unserer “MusInclusion”- Interviewreihe mitzumachen! Einige dürften Dich vielleicht schon kennen – Du bist Schauspieler und bist auch sonst vielseitig unterwegs. Stell Dich doch bitte einfach mal vor und erzähl uns etwas über Deine aktuellen Projekte!
Hallo, ja, mein Name ist Nicolas Dinkel, ich bin Schauspieler von Beruf. Zuletzt habe ich gerade 4 Wochen lang bei einem Wikinger-Live-Theater-Spektakel an der Ostsee namens VikingMania in einer der 7 Hauptrollen gespielt, nun bin ich wieder in Berlin. Einige dürften mich aus der aktuellen Kaufland Werbung oder aus dem aktuellen BVG Video zur Organspende kennen, oder eben durch die vielen Musikvideos befreundeter Künstler*innen (Radio Havanna, the T.C.H.I.K., Go Go Gazelle, Mandelkokainschnaps) usw., in denen ich regelmäßig auftauche oder von Bands mit denen ich auch zusammen auf Tour gehe. (Anm.: Die gesammelten Videos mit Nicolas Dinkel findet ihr hier !)
Ja genau, ursprünglich bin ich auf Dich über die wunderbaren Radio Havanna aufmerksam geworden. In welcher Verbindung stehst Du zu der Band? Bist Du grundsätzlich viel auf Konzerten und Festivals unterwegs, wenn es Deine Zeit zulässt (und nicht gerade eine Pandemie die Live-Musik Möglichkeiten lahmlegt)?
Also Radio Havanna sind sehr gute Freunde von mir, so kam es dass ich eine lange Zeit lang ihr fester Merchandiser war, der mit ihnen auf Tour ging und neben dem Merch-Verkauf auch viele Showelemente auf oder vor der Bühne mitmachte, egal ob Bengalos zünden, Pfeffi ans Publikum ausschenken, FCK NZS Flaggen wehen, oder im Superman-Bademantel bei der Zugabe stagediven und zum Merch getragen werden. Dadurch, dass ich mittlerweile beruflich allerdings als Schauspieler und als Familienvater mehr eingebunden bin, geht die Band mittlerweile wieder ohne mich auf Tour, wir sind aber nach wie vor sehr gut befreundet. Und ja, ich liebe es, wenn nicht gerade Corona einen Strich durch die Rechnung macht, auf Konzerten und Festivals zu sein. Ich liebe Musik einfach und habe damals selbst in einer Punkband gesungen, Konzerte & Festivals veranstaltet und bin nach Harald Juhnke wahrscheinlich der einzige deutsche Schauspieler, auf dem es ein Musik-Loblied gibt. Die liebe Ilay, die auch bei the Toten Crackhuren im Kofferraum singt, hat zusammen mit den Bands Arsen & Ente X den Song “Nicolas Dinkel Schauspieler” herausgebracht.
Großartiger Song, großartiges Video…Auf Facebook habe ich kürzlich einen Kommentar von Dir zu einem inklusiven Thema gelesen, in dem es um Deine Mutter ging, die im Rollstuhl sitzt. Willst Du uns ein bisschen etwas über Deine Mutter erzählen? Welche Erfahrungen hast Du als Sohn stellvertretend mit dem Thema Barrierefreiheit für gehbehinderte Personen gemacht (z.B. in öffentlichen Gebäuden, Verkehrsmitteln, im Alltag etc.)?
Also meine Mutter sitzt seit mittlerweile fast 14 Jahren im Rollstuhl, ausschlaggebend waren, neben einiger Knie-Operationen in ihrer Jugend inkl. Ärztepfusch, vor allem eine Borreliose-Erkrankung, die dazu führte, dass sie kaum (und wenn dann nur wenige Schritte unter Schmerzen) laufen kann. Dadurch ist sie im normalen Alltag auf einen Elektro-Rollstuhl und einen Aktivrollstuhl angewiesen. Welche Erfahrungen ich gemacht habe? Meine Mutter hat mich beispielsweise in Berlin besucht und wir wollten zum Fußball in die Alte Försterei zu Union Berlin. Meine Mutter ist durch meinen Einfluss zum Union Berlin Fan geworden, besucht gerne einmal Auswärtsspiele in ihrer Nähe und wollte nun auch endlich einmal in das “Heilige Wohnzimmer”. Leider kamen wir, obwohl wir schon über 90 Minuten mehr Wegzeit eingeplant hatten, erst 20 Minuten nach Anpfiff in der Alten Försterei an, weil sehr lange Zeit vom S-Bahnhof Schöneweide aus nur nicht-barrierefreie Trams in Richtung des Stadions fuhren. Da merke ich natürlich, wie wenig der Alltag, in dem wir uns bewegen, barrierefrei gestaltet ist. Auch kann meine Mutter, die in ihrem schweren E-Rollstuhl zu viel wiegt, in die meisten Busse ihrer Heimatstadt nicht hinein, da die nur eine Traglast von beispielsweise 200kg haben. Gemeinsame Aktivitäten müssen also anders, und vor allem vorausschauender, geplant werden. Und leider ist auch nicht alles möglich, selbst in Berlin nicht – eine Stadt die zwar schon so viel barrierefreier ist als, beispielsweise Paderborn, aber nach wie vor Ausbaupotenzial hat.
Ja, Spontaneität wird so eigentlich unmöglich. Denkst Du, dass Du, weil Du durch Deine Mutter für das Thema sensibilisiert wurdest, auf Dinge wie Barrierefreiheit bei Veranstaltungen achtest? Wenn ja, was fällt Dir dabei auf? (Auch positive Antworten sind möglich 😉
Das stört mich rückblickend selbst wieder, dass man das Thema “Inklusion” nur wahrnimmt, sobald es einen selbst, oder sein direktes Umfeld betrifft. Erst durch eigene Erfahrungen als Begleitung einer auf den Rollstuhl angewiesener Person wird einem bewusst, wie sehr Menschen behindert werden. Alleine die letzte Veranstaltung, die ich gespielt habe: VikingMania, eine großartige Veranstaltung, die Spaß macht zu spielen – aber dadurch, dass sie am Strand, auf Sand, stattfindet, ist sie bisher nicht barrierefrei. Von den Horror-Dungeons zur Nacht mal ganz abgesehen wäre es allerdings generell auch für die Tagwelt und das Markt- und Dorfgeschehen nicht möglich gewesen, dass meine Mutter mich dort besucht und schaut, was ihr Sohn dort spielt. Allerdings freut es mich, dass die Veranstalter*innen sich der Tatsache zumindest schon einmal bewusst sind und es langfristig planen, mit Holzpaletten o.ä., einen barrierefreien Zugang zu ermöglichen. Ich habe mich allerdings extrem gefreut, dass ich an 2 Tagen in der Tagwelt auch Personen gesehen habe, die in einem riesigen Strand-Rollstuhl an der Veranstaltung teilnehmen konnten. Aber dies ist natürlich auch erstens etwas, auf das nicht jede*r Zugriff hat und zweitens ist man mit dem Gerät darauf angewiesen, dass einige Begleitpersonen das Gerät mitschieben und -ziehen, alleine ist es leider nicht bedienbar.
Auf größeren Festivals bemerke ich mittlerweile schon, dass vieles dafür getan wird, dass die Veranstaltung allen zugänglich gemacht wird. Durch eine damalige Freundin mit Behindertenausweis, mit der ich viele (auch größere) Festivals besucht habe, habe ich so einige Bekanntschaften mit Festivalbesucher*innen mit Handicap gemacht, mich ausgetauscht und mit Ihnen gemeinsam Festivals genießen können.
Also würdest Du sagen, dass sich in der Szene in den letzten Jahren bezüglich Inklusion und Barrierefreiheit schon etwas getan hat? Denkst Du es Ist es ein Thema, das ebenso viel Aufmerksamkeit erreichen kann, muss und sollte wie das derzeit (zurecht!) viel diskutierte Thema “Sexismus” und wie könnte man das erreichen?
Ich glaube, dass die “Big Player” der Festivalszene mit barrierefreien Toiletten, Rolli-Tribünen, extra Camping & Co, schon einiges richtig machen. Allerdings, gerade wenn Festivals erstmalig stattfinden oder wir von kleineren Festivals oder Konzerten sprechen, ist das nicht der Fall und das ist traurig. Da haben viele Veranstalter*innen leider noch nicht den Blick drauf. Klar, verursacht das auch Kosten Barrierefreiheit zu ermöglichen, aber ich als ehemaliger Veranstalter finde, dass es ein Unding ist, Menschen unverschuldet (ich mein wir reden jetzt nicht von jemanden, der/die zu betrunken ist, gepöbelt hat oder dummes Zeugs von sich gibt) von vornherein den Zugang zu deiner Veranstaltung zu verwehren. Solche Formate wie “MusInclusion” muss es mehr geben, mehr in der Szene angenommen werden, wertgeschätzt werden, noch mehr der Finger in die Wunde gelegt werden. Und ja, es bedarf da definitiv noch mehr Aufmerksamkeit, damit sich was zum Positiven verändert.
Ich glaube fest daran, dass wir alle diesbezüglich etwas verändern können, wenn dieses Bewusstsein in den Köpfen ankommt… Kennst Du inklusive Bands, bzw. Bands, in denen Menschen mit sichtbaren Behinderungen spielen/singen? Wenn nein, woran könnte das liegen?
In der Tat fällt mir spontan in Deutschland nur Station 17 als Band ein oder Die Blockflöte des Todes, der manchmal auch darüber singt, dass er nur noch ein Bein hat. International noch die finnische Band Perrti Kurikan Nimipäivät (ja, ich musste den Namen nochmal googeln), die damals beim ESC Vorentscheid 2015 angetreten ist.
Ansonsten gibt es noch ein paar bekanntere sehbehinderte Menschen, die in der Musikszene Karriere gemacht haben: Ray Charles, Stevie Wonder, Andrea Bocelli, Corinna May, Joana Zimmer… Aber auch das sind deutlich zu wenige.
Ich glaube, dass Menschen mit sichtbaren Behinderungen zu oft das Gefühl gegeben wird, “das kannst du nicht”, “das sollst du nicht”, “das schickt sich nicht”… Was natürlich Bullshit ist. Aber bevor man Menschen nicht das Gefühl gibt, dass sie gleichwertig dazugehören, dass sie gesehen und wertgeschätzt werden, bringen sich diese automatisch weniger ein. Genauso wie ich es es derzeit feiere, dass es so viele Musikerinnen gibt, die endlich sichtbarer werden, so wünsche ich mir das auch für Menschen mit Behinderungen. Gerade in der Musik – die halt von Natur aus so viele verbindet.
Ja, da hast Du recht, da liegen so viele Chancen! Wusstest Du, dass es Clubs gibt, die Menschen im Rollstuhl zum Beispiel überhaupt keinen Einlass gewähren (z.B. aus “Brandschutzgründen”)? Denkst Du, dass viele Bands wissen, dass bei ihren Konzerten einem Teil ihrer Fans die Teilhabe verweigert, bzw. stark erschwert wird (die meisten berichten, unabhängig von der Art der Behinderung, dass sie selbständig kein Konzert besuchen können, oder, aufgrund des hohen Planungsaufwandes im Vorhinein oft resignieren und zu Hause bleiben)? Wie könnte man mehr Bewusstsein für diese Themen schaffen ?
Ich glaube, dass viele Bands das nicht wissen. Wenn du als Band ein Booking bekommst, erfährst du die Venue und den Ort und ggf. noch wo und wie weit weg von der Venue geschlafen wird. Ob dies nun eine Venue ist, die barrierefrei ist, erfahren die Bands nicht. Dass dadurch gar nicht alle Fans Zugang bekommen können, wird manchmal erst später bewusst und auch nur, weil Betroffene sie darauf aufmerksam machen. Wie ich schon mal sagte, wurde ja auch erst mein Blick für die Problematik geschärfter, als es jemanden in meinen Umfeld direkt betraf, aber das ist falsch. Es bedarf den lauten Aufschrei von Betroffenen, wie auch von vielen, die sich solidarisieren, damit da etwas getan wird und sich etwas ändert.
Ja, das sehe ich genauso. Welche Erfahrungen hast Du in Deinem Beruf als Schauspieler mit Barrierefreiheit und Inklusion gemacht? Stimmt es, dass oft Rollen, in denen Menschen mit Behinderung dargestellt werden, an nicht behinderte Schauspieler:innen vergeben werden? Wenn ja, was denkst Du, warum das so ist? Wie inklusiv ist die Schauspielerei?
Ich finde die Schauspielerei ist wahrscheinlich oftmals noch weniger inklusiv, als die Musikszene. Auch hier gibt es ganz viel Bedarf. Sowohl Menschen mit Behinderungen den Zugang zur Kultur zu erleichtern, als auch sie Teil der Kultur werden zu lassen. Es gibt zu wenige mir bekannte Schauspieler*innen im Rollstuhl oder mit Behinderungen. Zu oft werden Menschen mit Behinderungen von Menschen ohne Behinderungen dargestellt, die teilweise für die Darstellung auch noch sehr gefeiert oder prämiert werden. Wie die Band K.I.Z mal so überspitzt in einer Zeile ausdrückt: “Doch echte Behinderte kriegen keinen Oscar”. Über diese Zeile, so bitterböse sie auch verpackt ist, sollte man nochmal nachdenken. Wir feiern SchauspielerInnen wie Eddie Redmayne (“Die Entdeckung der Unendlichkeit”), Robert Stadlober (“Crazy”), Victoria Schulz (“Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern”), Florian David Fitz (“Vincent will meer”) und weitere, die allesamt großartig spielen, aber Menschen mit Behinderungen darstellen, während Menschen mit tatsächlichen Behinderungen oftmals keine Rollen bekommen.
Das ist wirklich grotesk…Gibt es etwas in diesem Zusammenhang, was Du unbedingt noch loswerden möchtest?
Danke für eure Arbeit und fürs auf Missstände hinweisen, denn nur so kann sich was verändern und danke, dass ich als Ally zum Interview geladen wurde.
Wir danken Dir herzlich für das Interview und den Einblick in Deine Erfahrungen zu diesem Thema, Alles Gute für Dich!