Bühl, nicht weit von Baden-Baden entfernt, wird von Historikern und Zeitzeugen als Geburtsort der Band Paddelnohnekanu genannt. Hier, wo das Rathaus, der knapp unter 30.000 Einwohner-Stadt pünktlich um 17 Uhr laut Webseite schließt, war es anno domini 2002 soweit, dass Paddelnohnekanu das Licht der Welt erblickten oder das Ohr der Welt beschallten.
Aus dieser wundervoll friedlichen Landschaft der weinbetäubten baden-württembergischen Kleinstadt, ging ein Aufschrei um die Welt, naja wenigstens durch Deutschland, durch Baden-Württemberg? – also gut durch die Gemeinde und Paddelnohnekanu starteten voll durch. Über die gesamte Zeit der Bandgeschichte von Paddelohnekanu, versuchte die Band ihre Nische im Deutschpunk zu finden.
Diese Nische haben Paddelnohnekanu ohne Zweifel gefunden. “Im Grunde haben wir (fast) zeitgleich mit Pascow, Turbostaat und Düsenjäger angefangen”, merkt Felix an. Doch während diese tollen Bands tourten, tolle Labels fanden oder einfach alles selbst übernommen haben, blieb unser “DIY” halt klein: Songs schreiben, Songs selbst aufnehmen, dann auf unterschiedlichen Medien veröffentlichen, sich um Reviews kümmern… mit so einer kleinen Attitüde bleibt man dann wohl “Stetig erfolglos”, wie es der ironische Titel der Kompilation dann auch beschreibt.
“Wer hätte gedacht, dass mal 20 Jahre durchlaufen mit ein und der selben band.
es gibt Geschichten zu erzählen. Nichts wirklich Wichtiges für euch. aber uns. “Freundschaft, Feindschaft, Liebe, Hass und Streit” könnte man meinen. War nicht so, ist nur ein guter Titel. In allen Dingen (auch den zwischenmenschlichen) stetig erfolglos. Nein, auch das ein Scherz. 20 Jahre machen mich (Felix) relativ sprachlos.
Ist schon alles gesagt? Jeder Akkord zwei mal gespielt? Songs zum 800 mal live vorgetragen?
Nein. auch das nicht.” – So lautet der Bandtext auf der Bandcamp-Seite.
Es gab auch die harten Zeiten für Paddelnohnekanu; gleich zweimal gab es nach Releases einen Split: 2006 und 2013. Ob Tränen flossen oder um Mitternacht Vanille-Eis oder Cheesecake die Trauer minderten, ist nicht überliefert, wohl aber, das die Band immer wieder aufstand und einen Weg zum weitermachen fand.
Ab 2013 lief dann alles ohne Bruch weiter und so durften unsere Badener “Wassersportlerohneantrieb” sich einiger Highlights erfreuen. Vier Tage unterwegs in 2013 mit Ben Racken und drei Tage on the road mit Notgemeinschaft Peter Pan gehören ohne Frage und eigener Aussage dazu. Aber auch das Zwischenmenschliche, das Kennenlernen von anderen Bands und Publikum sind Momente, an die sich die Jungs gerne mit ein wenig Wasser in den Augen zurückerinnern.
So haben Paddelnohnekanu ihren Kompass immer auf Norden, da wo Spaß steht, ausgerichtet und nicht eine Karriere verfolgt. Umso erstaunlicher, dass es die possierlichen Musiker geschafft haben, sich über 20 Jahre nicht zu langweilen bzw. immer neue Dinge erforscht haben. Im Dschungel der Noten und Melodien suchten Paddelnohnekanu ständig nach neuen Wegen beim Sound oder den Texten. Beides mag man der Band nach Durchhören des Tapes bescheinigen. Das ist deutlich mehr als die übliche Teilnahme an den Bundesjugendspielen und die damit überflüssigste Urkunde der Welt.
Man hört deutliche Veränderungen und den Mut zur Weiterentwicklung – statt die alten Akkorde wieder und wieder zu spielen oder immer gleiche Texte runter zu leiern. Nicht zuletzt die Reduzierung auf ein Trio, hat noch mal für ein kreatives Umdenken und Neuerfinden von Paddelnohnekanu gesorgt. Ein positiver Kreativschub, der sich deutlich in der Kompilation widerspiegelt.
Was gibt es sonst noch interessantes über Paddelnohnekanu? Die Band hat einen eignen YouTube-Kanal. Der Einstieg bzw. das Vorwort ist so herrlich schräg!!!! Unbedingt klicken. Hier gibt es alle Videos der Band und befreundeter Bands (z.B. Turbostaat, Düsenjäger, Die Böse Hand, …) zu sehen – und das sind eine Menge. Und auch eine Menge guter Videos. Vielleicht liegt es daran, dass eines der Bandmitglieder für Film und Fernsehen arbeitet.
Was mich noch beeindruckt hat, ist das Felix Frantic neben den gesamten Band- und Projekt-Arbeiten (er spielt oder spielte bei Den Schoten und den Die Abenteuer des Indiana Jones) noch Zeit für ein Fanzine – die Provinz-Postille hat.
Bei Kompilationen habe ich immer das Problem, dass für mich die Werkschau der Band im Vordergrund steht und nicht wie bei einem Album die einzelnen Songs. Interessant ist zu beobachten, wie sich Paddelnohnekanu über zwei Dekaden entwickelt haben. Sowohl musikalisch wie auch vor allem die Texte werden immer reifer.
Mal hört man eher schroffen Post-Punk, mal mit Attitüde zum Mitsingen, mal mit Wechselgesang, dann mal wieder ruhige Gewässer mit Gitarrenklängen, die sofort an die deutsche erste Liga denken lassen. Ich höre da mal Tocotronic oder auch mal Kettcar, Die Nerven und die frühen Die Sterne raus. Überhaupt brauchen sich Paddelnohnekanu musikalisch nicht zu verstecken. Eine der besten deutschen Bands, die ich in den letzten Monaten und Jahren gehört habe!
Themen holen sich Paddelnohnekanu aus ihrem Umfeld: dem Erwachsenwerden (“Tagebuch”), Zwischenmenschlichen (“Tag der Sonne”) oder aus der aktuellen Gemengelage (“Parmesanpolitik” – super mit eingespielten Snippets, u.a. Loriot). Gerade bei den Songs mit Bezug auf die aktuelle Politik und Gesellschaft wie “Hearts Fear Punk Rock” (gewollt oder ungewollt klingt das ein wenig nach Hartz Vier Punk Rock), beziehen Paddelohnekanu eine klare Stellung.
Nachdem ich mich durch die bisherigen Werke der Band gehört habe, stelle ich fest, das Paddelnohnekanu gelernt haben ihre Anliegen und Meinungen noch deutlicher und präziser auf den Punkt zu bringen. Hört man den Texten zu, geht es da durchaus mal hin und her zwischen den Perspektiven, den Erzählweisen und auch -arten, also durchaus hirnbeanspruchende Texte – darauf wollte ich ausdrücklich hinweisen, denn das Wort kann eine Waffe sein und unsere Badener Kapelle ist sich dieser Waffengattung durchaus bewusst.
Das Besondere an Paddelohnekanu ist bei allen Songs das Gefühl zu haben zu Hause am Lagerfeuer zu sein und sich nach Badener Art bei einem oder mehreren Traubensäften Geschichten von der Band erzählen zu lassen. Es klingt nie gestelzt oder abgekupfert, Paddelohnekanu ruhen in sich, der Musik und den Texten – eine wirklich reife Band. Und bläst man mal die weingeschwängerte Glocke über dem Feuer weg, kommen Ehrlichkeit, aber auch ein feiner Humor mit Einflüssen von Ironie und ein wenig Sarkasmus zum Vorschein.
Was planen unsere Badener Provinzler in den nächsten 20 Jahren? – Konkret ist wohl ein Jubiläumsrelease im Herbst. Und da sich nach eigener Aussage Beruf, Familie und Band problemlos unter einen Hut bringen lassen sind die Badener sind nicht nur Genießer, sondern auch Organisationstalente.
Wer sich wie ich im Strom von Paddelnohnekanu mitreißen lässt von einer 20 Jahre-Compilation der besseren Art und Weise, sollte auf der Bandcamp-Seite von PaddelnohneKanu, bei Carlos Palacios oder via Krachige Platten sofort zuschlagen. Das Tape kommt dann in einer zufälligen Farb-Kombination, mit hervorragendem Inlay und einem hochwertigen Foto-Magazin, dass die 20 jährige Bandgeschichte zusammenfasst.
Da es in den Jahren, die ein oder andere Umstellung im Line Up der Band gegeben hat, finde ich es nur fair abschließend alle noch mal zu nennen. Jeder soll ein Stück Fame bekommen. Schließlich haben alle ihren persönlichen Beitrag geleistet, der auf der Kompilation zum Hören kommt…
Die laut Bandcamp-Seite beteiligten Herzchen sind:
felix (voc / git)
pat (git -2005)
boris (bass -2006)
pillchen (drums -2006)
flo (git 2008-2012)
philipp (git (2012-2014)
tulle (bass seit 2007)
ole (drums seit 2007)
Anmerkung: manche Teile des Reviews basieren auf einem kurzen WhatsApp-Chat mit Interview-Charakter zwischen Felix Triebel und mir, den ich vor der Sendung aufgezeichnet habe.
Tipp für die Band; Paddel gibt es übrigens hier.