The Hirsch Effekt bezeichnen ihre Musik selbst als „Krawallkunst“. Und schon nach dem ersten Durchlauf der neuen EP „SOLITAER“ kann ich das voll und ganz bestätigen. Eine Kategorisierung der Musik fällt super schwer, denn jeder Song dieses Trios hat sein eigenes Innenleben. Auf dieser EP umso mehr, denn sie entstand, na klar, während der Pandemie und so konnten (oder wollten) sich Nils Wittrock, Ilja John Lappin und Moritz Schmidt zwar nicht ständig treffen, aber doch irgendwie Musik machen.
Die Idee: Jedes Bandmitglied schreibt einen Song – ohne gegenseitiges Vorstellen oder Vorspielen bis zur Aufnahme. Und so ist „SOLITAER“ auch irgendwie ein Gegenstück zur bereits 2021 erschienenen Best-Of EP „GREGAER“, die in ihrer Entstehung und in Zusammenarbeit mit einem Orchester und zahlreichen Mitmusiker:innen deutlich aufwändiger war.
Der erste Song, „Palingenesis“, ist dann gleich mal ein richtiges Brett. Geschrieben und, mit Ausnahme der Drums, komplett eingespielt von Bassist Lappin, variiert er in Geschwindigkeit und vor allem beim Einsatz der Vocals. Besonders gut gefallen mir hier die Parts mit Klargesang. Dieser Song hat einfach alles, was das Genre Metal zu bieten hat. Normalerweise benötigt man für den Genuss all dieser Stilmittel mindestens 2-3 verschiedene Bands, aber The Hirsch Effekt verschmelzen Indie-Rock, Progressive Metal und Artcore eben in nur einem Song.
Doch lass und noch ein wenig Zeit / Führ mich zurück in den Moment, der uns vereint.
„Nares“ ist der zweite Titel und stammt aus der Feder von Gitarrist Nils Wittrock. Hier spielt die Pandemie eine zentrale Rolle, zumindest lyrisch. Ihr erinnert euch noch an Jana aus Kassel, die auf einer Querdenker-Demo ein „Gedicht“ vortragen wollte und von einem protestierenden Ordner zum Weinen gebracht wurde? Dieser Vortrag bildet Grundlage für diesen Abgesang auf eine Gesellschaft, in der Diskurs immer mehr mit Pöbelei und Aggression verwechselt wird. Musikalisch vor allem in der zweiten Hälfte eher Psychedelic- als Math-Rock, ist der Song aber nicht minder abwechslungsreich.
Wo bleibt die Verhältnismäßigkeit, wenn sie uns beim Einkauf zwingen zu ´nem Korb / ´NEM KORB!
Drummer Moritz Schmidt übernimmt bei seinem Song „AMORPHUS“ zum ersten Mal auch den Gesang, was sich überraschenderweise überhaupt nicht (negativ) bemerkbar macht. Sorry, aber bei welcher Band kann der Drummer schon ohne Qualitätsverlust die Vocals übernehmen? Musikalisch geht´s hier nochmal rund, zahlreiche Breaks und ein sehr variabler Einsatz der Stimme sorgen für einen tollen Abschluss.
Damit die B-Seite nicht halb leer bleibt, gibt es den bereits bekannten Song “Gregaer” in der orchesterfreien Version. Gefällt mir persönlich sogar besser, aber diese Bewertung bleibt euch überlassen.
Insgesamt eine unglaublich intensive und abwechslungsreiche EP, die die Stellung von The Hirsch Effekt in der deutschen und auch internationalen Szene weiter festigen wird. Da können die neuen Songs von The Mars Volta einpacken!
Veröffentlicht wird die EP von Long Branch Records (SPV) und zu erwerben ist sie wie immer auch bei unserem Partner JPC. Und zwar genau hier.