Da sitz’ ich nun und schreibe mein vorerst letztes Review für den Vinyl-Keks. Ich bin müde von der Welt, aber glücklich darüber, dass mein Jahr von so viel toller Musik begleitet wurde. Was ich dieses Jahr besonders oft erlebt habe: Es lohnt sich IMMER, über den eigenen Tellerrand zu schauen und die eigene Komfortzone zu verlassen. Sei es, wenn es um musikalische Vorlieben geht oder auf menschlicher Ebene – raus aus der bequemen Bubble rein in die Interaktion. Bevor es jetzt aber zu persönlich wird, beschränke ich mich wieder auf den musikalischen Bereich.
Alte*r, wenn mir jemand letztes Jahr erzählt hätte, ich würde Ende diesen Jahres zum Horror Punk / Surf Fangirl mutieren, würde ich von meinem – nicht vorhandenen – Glauben abfallen. So sollte es aber geschehen:
Dank dem kleinen, aber feinen Tape Label Kloppstock Records, gelang es dem Universum, meinen musikalischen Horizont um eine Musikrichtung zu erweitern, die mir davor nur flüchtig bekannt war und von mir lediglich schulterzuckend zur Kenntnis genommen wurde.
Vor allem mit Surf konnte ich bisher nicht viel anfangen, Horror Punk klang für mich immer gleich. Aber: Patschnass aus dem Teller gekrabbelt und an der anderen Seite des Randes durfte ich einige Releases besprechen, die mich eines besseren belehren sollten:
Von Kereta Susana, über Freecharge, The Wet Ones! oder The Dreadtones – es war keine Kassette dabei, die bei mir nicht pure Entzückung auslöste. Und ich hab eine Theorie für mich entwickelt: Es gibt für mich immer den richtigen Moment für (fast) jedes Genre. (Auch für testosterongeladenen Rock’n’Roll’n’Punk à la Hot Action Waxing oder The Almighty Zeros).
Und der richtige Moment für ein Abschlussreview ist jetzt und das richtige Genre eben eine bunte Mischung Horror / Surf / Garage / Punk. Warum?
Weil bei dieser Art von Musik für mich, ebenso wie bei dem Gedanken an meinen vorübergehenden, redaktionellen Abschied , immer eine bittersüße Melancholie mitschwingt. Eine schauerliche Mischung aus Schmetterlinge im Bauch, Schwermut und Furcht, Beschwingtheit, Trübsinn und Nervenkitzel, Zartheit und Grausamkeit… Klingt emotional (ist es vielleicht auch), aber ey, heut hau ich nochmal alles ungefiltert raus, ich verlasse das Schiff mit wehenden, tränen- und natürlich blutgetränkte, Fahnen, so!
Und los geht’s mit der musikalischen Henkersmahlzeit: Monster A Go-Go beschreiben ihren Sound als Ghoul Rock, inhaltlich bewegen sie sich in seltsamen Träumen über Grabszenerien. Die aus USA / Virginia stammenden Horrorpunker hauen mit “I Drink Your Blood” 20 Demo Tracks aus den Jahren 2003-2005 + einen Live Song raus.
Was für ein geil dreckiger, verwaschener Sound da lieblich meine Ohrmuscheln erreicht und direkt in mein Blut (main topic, weisch…) geschwemmt wird. Unfassbar geile, düstere Stimme, Gitarrensound, der mich fast ein bisschen quält (aber im positiven Sinne. Ok. Das klingt komisch.). Duracell Drumbeats ( Jerry Onlys Oberarme ausgeliehen?), solider, dumpfer, snotty Bass. Irgendwo zwischen den frühen Misfits und ja, ich höre da sogar irgendwie Ramones raus (vielleicht weil ich es will, aber hey, “Pet Sematary”, ist ja auch Friedhof und so). Ich bin sofort in Love mit der Stimme und der Band – und dem Artwork, ganz vergessen. Ach, what??? Und jetzt erst sehe ich, dass es sich bei der Band um lediglich zwei Personen (Vincent October – Guitar, Bass, Vocals und Stiv Mortis – Drums) handelt. Reschbeggt. Auf 66 Stück limitiert, solltet ihr euch hier ranhalten, noch eins abzugreifen (Wer verschenkt nicht gern Blutiges zu Weihnachten).
Und last, but absolutely not least adorable: Ein auf 60 Stück limitiertes, brombeerfarbenes EP-Knallbonbon von The Eye Five, das den lieblichen Namen “Creature Crawl” trägt. Ebenfalls aus USA (Oregon), bezeichnet das Duo seine Musik als Spooky Surf oder Neo Surf Rock. Ja, unterschreibe ich: Schauderhafte Gitarrenmelodien, geniale Spannungskurven, abwechslungsreiches Schlagzeugspiel. Ich wünsche mir zu Weihnachten vom unheiligen Dracula bitte, zu jedem dieser 7 Schmankerln, billig produzierte B-Movies, die irgendwo in abgelegenen Motels mit versifften Duschvorhängen spielen und unbedingt folgende Elemente enthalten müssen: Tankstelle, Roadtrip, Reihenhaus, Sumpf, dunkle Straße in kleinem Städtchen mit dampfenden Gullis, Typ mit Hut und schwarzem Mantel, bunte Lollis und ein Maislabyrinth . So, jetzt seid ihr an der Reihe!
In diesem Sinne, kauft eure Last Minute Geschenke bei Kloppstock Records, unterstützt diese kleinen DIY Labels, die mit so viel Liebe für die Sache dabei sind! (An dieser Stelle bisl Namedropping und absoluter Herzenstipp für alle, die auf Street Punk stehen: Schaut unbedingt auch mal bei Running Out Of Tape Records vorbei!). Supportet kleine Bands, geht auf kleine Konzerte, kauft weiterhin Tonträger und lasst euch nicht von den großen Streaming Diensten das Blut (und Geld) aussaugen. (Einen aktuellen Beitrag meiner Kollegin Anne- Katrin darüber findet ihr übrigens hier).
Bloody Christmas (die Ironie sollte sich von selbst verstehen) , bis ganz bald und genießt die Feiertage!