In unserer Reihe Vinylkeks4Nepal lassen wir die Bands und Unterstützer:innen der beiden Benefiz Vinyl Sampler “Help4Nepal Vol.1“ und “Help4Nepal Vol.2 – United We Stand” zu Wort kommen. (Können hier käuflich erworben werden) Die Sampler waren zunächst als Nebenprojekt des The Madness Pogo Festivals entstanden. Zwischenzeitlich wurde daraus ein eigenständiges Projekt: Das Child8Project. In Kooperation mit STELP e.V. Stuttgart wird mit dem Erlös der Sampler Geld für den Bau einer Schule und eines Wassersystem in Kathmandu / Nepal gesammelt. Detailliertere Informationen zu dem Projekt findet ihr außerdem hier im Interview mit Sascha, einem der Hauptinitiatoren.
Im heutigen Interview haben uns Danny und Andrea von der Kultpunkband Pestpocken aus Gießen, die nun seit knapp 25 Jahren die Bühnen der Welt abreißen ( wenn gerade keine Pandemie die komplette Konzertwelt lahmlegt) ein paar Fragen beantwortet. Sie erzählen uns im Folgenden unter anderem, wie sie mit der aktuellen Situation klarkommen, wie sie ihr 25-jähriges Bandbestehen nächstes Jahr feiern werden und was sie zum Thema “Ableismus” zu sagen haben. Viel Spaß beim Lesen!
Wie geht es Euch in der aktuellen Situation? Ihr hättet im November ja auf Aggropunk Tour mit Kotzreiz sein sollen, die aufgrund der Pandemielage leider, wie so viele andere Touren, verschoben werden musste. Wie groß ist die Enttäuschung? Habt ihr euer neuestes Album “Another World Is Possible” euren Fans überhaupt schon mal live um die Ohren hauen können? Was sind eure Prognosen für die nächste Zeit?
Andrea: Ich denke mal uns geht es wie vielen: Sehr durchwachsen, mal atmen wir auf, mal sind wir wieder in Schockstarre. Im Sommer diesen Jahres haben wir mal wieder ein paar Shows gespielt, wo wir auch Songs vom neuen Album präsentieren konnten. Zu der Zeit hatte ich auch noch die Hoffnung, dass die Tour, die ja bereits einmal verschoben wurde, im November 2021 stattfinden kann. Die Pandemie hat uns eines Besseren belehrt. Ich persönlich war im letzten Jahr viel enttäuschter, was vermutlich daran lag, dass es der Beginn der Pandemie war und dieser absolut neuartige Zustand mich völlig aus der Bahn geworfen hat, wie vermutlich viele. Etwas Gewöhnung hat wohl eingesetzt.

Ja, das klingt traurig, aber schlüssig…Was hat sich für Euch als Band in den letzten zwei Jahren verändert und würdet ihr sagen, dass es auch positive Aspekte der Pandemie gab/gibt? Was hat die Pandemie mit der Szene gemacht?
Danny: Während andere Bands Alben geschrieben haben, haben wir unsere Zeit anderen Angelegenheiten gewidmet und kaum Zeit in die Band investiert. Es fühlt sich im Nachhinein an, als hätten wir 2 Jahre verloren. Positive Aspekte kann ich keine aus der Pandemie ziehen und inwiefern sie die Szene verändert hat lässt sich vermutlich erst im Frühjahr/Sommer sagen. Seitdem es wieder erlaubt ist Shows zu spielen haben wir deutlich mehr Probleme Booker:innen zu finden, die was machen wollen. Ich hoffe das ändert sich wieder, wenn die Lage etwas besser einzuschätzen ist. Im Moment sieht es eher danach aus, dass die wenigen Konzerte, die wir im Herbst spielen konnten ein Strohfeuer waren und in den nächsten Monaten wenig bis gar nichts gehen wird.
Andrea: Dass wir kaum Zeit in die Band investiert haben, lag neben der Pandemie auch an dem Umstand, dass ich im März letzten Jahres nach Berlin gezogen bin und mir zu allem Überfluss auch noch das Bein gebrochen habe. Neben der allgemeinen Schockstarre war mein Wegzug für die Band total neu – noch nie haben wir so weit auseinander gewohnt. Und es ist auch so, dass wir dann doch ein paar wenige Shows im letzten Jahr gespielt haben, als es im Sommer möglich wurde. Positiv ist, dass sich nun alle die Hände waschen nach dem Pinkeln (Augenzwinkern!). Ich persönlich bin vielleicht eine sogenannte „Corona-Profiteurin“: Ich forsche zum Online Dating und da habe ich sehr spannende Interviews gemacht, die ich neben der wissenschaftlichen Publikation einem breiten öffentlichen Publikum präsentieren konnte.
Das hört sich spannend an! Laut Historie wäre ja eigentlich ein Festival zum 25-jährigen Bandbestehen an der Reihe…wird das nachgeholt werden und wenn ja, auf welche Bands dürfen wir uns freuen?
Danny: Das Bandjubiläum ist 2022 fällig und wird daher hoffentlich nicht verschoben werden müssen. Die Planungen stecken noch in den Kinderschuhen und wir hoffen bald das Line-up bekannt geben zu können. Aber auch wenn das Line-up noch nicht komplett ist, können wir jetzt schon sagen, dass es wieder die eine oder andere Überraschung geben wird. Außerdem legen wir bei dieser Veranstaltung Wert darauf, sie wie eine Geburtstagsparty aufzuziehen und unsere Gäste sind dementsprechend befreundete Bands. Aufgrund der auf September verschobenen Tour mit Kotzreiz werden wir das Festival allerdings im Oktober veranstalten.
Na dann lassen wir uns mal überraschen! Haben sich bei Maniac Attack auch die aktuellen Schwierigkeiten der Vinyl Produktion (Verzögerungen von VÖs etc.) bemerkbar gemacht? Haltet ihr Vinyl (immer noch) für das derzeit beliebteste Medium?
Danny: Wir haben, seit Major-Labels den Vinyl-Markt wieder für sich entdeckt haben, keine Veröffentlichungen in Auftrag gegeben. Dass die Preise explodiert sind und es ultra-schwierig geworden ist kleine Auflagen pressen zu lassen, ist allerdings nicht an uns vorbei gegangen.
Als physischen Tonträger halte ich Vinyl auf jeden Fall für das beliebteste Medium. Aber vermutlich hören auch die meisten Plattensammler:innen aus Bequemlichkeit mehr MP3s, Spotify & Co. Ich selbst kaufe, meist aus Wertschätzung, gerne Platten. Wenn ich bewusst Musik höre, lege ich sie auch ultra-gerne auf, aber einen großen Teil Musik konsumiere ich nebenbei und da greife ich dann doch oft auf seelenlose Streaming-Dienste zurück.
Ich glaube, da bist Du in guter Gesellschaft… Ihr seid auf dem aktuellen Help4Nepal Benefiz Sampler mit eurem Song “Battle Of Cable Street” aus dem oben erwähnten 2020 releasten Album vertreten. Worum geht es in dem Song?
Danny: In dem Song geht es um eine geschichtliche Abhandlung eines Aufmarschs der “British Union of Fascists”, die 1936 eine Demonstration durch das Londoner East End anmeldete. Mit der Unterstützung von 10.000 Cops versuchten 3000 Faschisten vergeblich, ihren Marsch durch das von Arbeiter:innen geprägte, sowie durch den jüdischen Teil des Viertels, durchzuführen. Trotz Aufrufen seitens der Kommunistischen Partei und des “Board of Deputies of British Jews” dem Marsch fernzubleiben, waren es vor Allem Juden und Jüdinnen, Anarchist:innen und Kommunist:innen, die sich, mit Unterstützung von Gewerkschafter:innen, Doc Arbeitern und Bewohner:innen des East Ends, den Faschisten in den Weg stellten. Der Refrain des Songs „They Shall Not Pass“ war der Schlachtruf der Gegendemonstranten, die auch gegen weitere 4000 gewalttätige, berittene Cops standhielten und die Cops dazu brachten die Demonstration abzubrechen.
Dieser Tag ging als Meilenstein für den selbstorganisierten, antifaschistischen Widerstand in die Geschichte ein, zeigte deutlich auf, was mit gelebter Solidarität zu erreichen ist und ist sowas wie die Mutter aller blockierten Naziaufmärsche.
Stichwort Solidarität: Wie wichtig ist es für Euch zu wissen, was eure Teilnahme am Projekt bewirkt? Seid ihr der Meinung, dass man als Künstler:in oder Band grundsätzlich seine Privilegien und Reichweite für Themen wie diese nutzen sollte? Wenn ja, warum?
Andrea: Politisches Engagement ist uns wichtig, sowohl als Einzelpersonen als auch als Band. Aus diesem Grund sind wir, wenn wir gemeinsam hinter einer Sache stehen, gerne bereit unsere Möglichkeiten auszuschöpfen. Ich möchte keine*r Künstler*in oder Band vorschreiben, wofür sie ihren künstlerischen Ausdruck verwenden sollen. Pestpocken sind eine politische Band und wir verstehen es als unsere Aufgabe, verschiedene Formen politischen Engagements zu unterstützen. Sei es, in dem wir in Regionen spielen, in denen Menschen große Schwierigkeiten haben ihr linkes Kultur- und Politikprogramm gegen die braune Soße zu verteidigen. Sei es, indem wir uns an Benefiz-Samplern oder -Shows beteiligen. Sei es, indem wir Initiativen/Projekte etc. finanziell unterstützen. Sei es, indem wir klare Statements mit unseren Songs machen, die wiederum Menschen motivieren, klare Kante zu zeigen. Die Formen des Engagements sind also meiner Ansicht nach sehr vielfältig. Ich mag mir nicht anmaßen, eine Band zu verurteilen, weil sie dies oder jenes nicht macht, da ich nicht weiß, was sie sonst so machen und wo sie sich engagieren. Aber ja, als Band hat man eine Reichweite, einen gewissen Einfluss, den man nutzen kann. Ich denke, wir als linke Band würden sagen, den man nutzen sollte, denn es gibt viel zu tun und die Pandemie hat leider die Ungleichheitsverhältnisse verschärft.
Das ist eine gute Auffassung von Verantwortung, finde ich! Aus meiner Interviewreihe “MusInclusion” habe ich eine Frage von Lisa&David von sit’n’skate mitgenommen, die ich in dieser Interviewreihe als “Kernfrage” allen Bands stelle, da ich denke, dass diesem wichtigen Thema bisher viel zu wenig Platz in der Szene eingeräumt wurde: Wisst ihr darüber, dass es Venues in Deutschland gibt, in denen Menschen mit Behinderung (in diesem Fall Rollstuhlfahrer:innen) kein Einlass gewährt wird (Begründung z.B. Brandschutz), d.h., dass sie vielleicht auch Eure Konzerte nicht besuchen können? Habt ihr Euch als Band schon mal mit dem Thema Ableismus (=Diskriminierung von Menschen mit Behinderung) in der Musikszene auseinandergesetzt?
Andrea: Es ist gut und wichtig, dass dieses Thema angesprochen wird und ich bin Menschen, die solche Erfahrungen machen, auch dankbar dafür, dass sie eine Diskussion anregen. Unsere Gesellschaft hat ein großes Problem mit Ableismus: Zugang zu allen möglichen Räumen wird Menschen mit Behinderung erheblich erschwert bis unmöglich gemacht. Sie werden also darin behindert, teilzunehmen. Und so ist es auch ein Problem in der Szene. Dass Rollstuhlfahrer*innen zum Teil kein Einlass gewährt wird, war mir nicht bewusst, muss ich zugeben. Dass viele Konzert Locations alles andere als rollstuhlgerecht sind, allerdings schon. Wir als Band haben uns damit nicht bewusst auseinandergesetzt, möglicherweise haben wir mal Gespräche darüber geführt. Was soll ich sagen, außer: Ja es ist ein wichtiges Thema, da wir ja keinen Ausschluss wollen. Und viele versäumen es (wir auch) sich damit auseinanderzusetzen. Von daher danke ich Menschen wie Lisa und David.
Wow, ich danke Euch von Herzen für diese selbstreflektierte Antwort, die eure Offenheit für dieses Thema zeigt! Wir kommen schon zur letzten (zugegeben, meiner Lieblingsfrage/-Aufgabe…). Als Tape Addict wünsche ich mir von jeder Band eine Mixtape Playlist (5-10 Songs). Von Euch hätte ich gerne eine Playlist mit dem Titel “Chaostage Soundtrack”
Andrea & Danny: Wie heißt es so schön, Chaostage sind das was ihr daraus macht:
Apocalipstix – Kopfsalat
Blitzkrieg – Tot geborenF*cking Angry – Dancing in the Streets
Baboon Show – Radio Rebelde
Amyl And The Sniffers – Hertz
Deutsche Laichen – Von Mackern und Pumas
Scattergun – Sick Society
Keny Arkana – La rage
Hans-A-Plast – Rank Xerox
Bluttat – Wieder mal geklaut
Vielen lieben Dank für die geile Playlist und das interessante Interview! Bleibt gesund und wir wünschen Euch alles Glück, dass eurer 25. Geburtstagsparty nächstes Jahr stattfinden kann!
Ich bin ja selbst schwerbehindert und möchte da mal etwas differenzieren: “Ableismus” klingt für mich nach “Behindertenfeindlichkeit” und ist zu unterscheiden von “Barrierefreiheit”. Feindlichkeit und Herabwürdigung hab ich in der Szene noch nie erfahren, wenn ich wegen meiner Einschränkungen (die man mir nicht ansieht) mal nach einem Sitzplatz oder sonstwas gefragt hab, da waren bisher immer alle supersolidarisch, “Ableismus” kann ich da nicht bestätigen.
Anders sieht es da mit barrierefreiheit aus, viele Räumlichkeiten oder Festivals sind schon schwer zu erreichen. Aber ich kann dem JZ im 2. Stock ohne Fahrstuhl ja schlecht vorschreiben umzuziehen. Die Sache ist, Behinderung ist sehr vielfältig – gibt ja nicht nur Rolli-Fahrer. Eine gute Möglichkeit wäre einfach das Angebot eines Veranstaltungsortes, bei Besuchwünschen von behinderten Leuten, individuelle Lösungen zu suchen: Man kann nicht jede 5 Stufen Treppe am Eingang gleich umbauen, aber anbieten, dass zwei Leute eine Person hochtragen (oder über mobile Rampe) reinbekommen (Toilette ist natürlich ein weiteres Thema). Behinderte sind oftmals gewohnt nach bedarfsorientierter Hilfe zu fragen, generelle Offenheit und Hilfsbereitschaft ist da ein erster Schritt, da geht sicher einiges.