Manchmal schreie ich, manchmal singe ich sehr düster und tief.
Tess de la Cour
MEMORIA, ist das lateinische Wort für Gedächtnis und beschreibt den Vorgang des menschlichen Gehirn Information zu speichern und später abzurufen. MEMORIA steht zudem für den Prozess des Erinnern an Vergangenes und verweist auf die Bedeutung von von Erinnerungen für unsere Identität. Die Kunst und die Literatur verwendet MEMORIA als Symbol für für die Kraft der Erinnerung und die Vergänglichkeit von Zeit und Erinnerung. Alle samt, interessante Signifikanzen, die dieser Begriff auslöst.
Unter dem Pseudonym MEMORIA schenkt uns Tess de la Cour das Album “From the Bones”. Die Schwedin stammt aus der Stockholmer Punkszene, wo sie in Bands wie Black Feet, Bruce Banner, Kamikatze, Perculators und Lobscurite ihr Unwesen treibt. Noch heute sitzt sie bei der Punkband Snake hinter den Drums. Vor neun Jahren beschloss Tess de la Cour ihrem eigenen, eklektischen Sound-Entwurf zu folgen und hob MEMORIA aus der Taufe. Mit MEMORIA bewegt sich die Schwedin in ihrer musikalischen Komfortzone aus Darkwave und Punkrock.
Die Nadel entlockt der schwarzen Vinyl-Rille grollende Synthieteppiche, einen monotonen Drumbeat, eine bedrohliche Gitarre und diese gewaltigen Stimmbänder von Tess de la Cour. Diese Atmosphäre legt sich wie eine Hand von hinten auf die Schulter des Hörers und fesselt in gleichem Maße wie sie erschauert. Die Stimmung, die sich wie ein Spinnweben im Raum materialisiert, ist schön und bedrohlich, gleichzeitig dunkel und schimmernd. Ein Ton gewordenes Märchen, das zwischen den schwarzen Silhouetten der Bäume. Wer jemals in den schwedischen Wäldern am Übergang zwischen Tag und Nacht unterwegs war, kann sich diese Atmosphäre vorstellen.
Das Album startet mit einem cineastischen Opener “Witch Hunt”, der mit einem expliziten 80er Jahre-Touch, in erbetende Rhythmen übergeht, bevor uns himmlische, feminine Stimmen umhüllen. Im Folgenden entdeckt der geneigte Hörer, Elektro-fokussierte Passagen, die an die frühen Apoptygma Berzerk erinnern. Die Klanglandschaft verändert sich erneut und der Vorhang öffnet sich für einen Etheral Wave Pop, der dramatisch im gitarrenlästigen, wütenden Punk Rock endet.
Die Tracks verschmelzen verträumte Passagen mit wütenden Passagen, coole, treibende Elektro-Beats und kreischende Gitarren zu einer mystischen, schwedischen Textur, die so wunderschöne Perlen wie “Along the Sea”, “Girl” mit seinem Elektro-Skelett und das göttliche, nur zweieinhalbminütige “Anymore”.
Stimmlich erinnert mich die charismatische Stimme von Tess de la Cour stark an die Wave-Queen Siouxsie Sioux oder die Sängerinnen Lisa Gerrard von Dead Can Dance oder Elisabeth Fraser von This Mortal Coil, die neben dem Darkwave, mit Elementen des Gothic und Dream Pop in ihrem Gesang zu gefallen wissen.
Aber keine Angst, mit “From the Bones” habt ihr kein Pastiche-Werk auf dem Plattenteller – MEMORIA weiß in den richtigen Momenten von den Vorbildern abzuweichen und klingt dabei angenehm zeitgemäß. Spursicher wie ein Lotus Esprit in der Kurve, zieht die schwedischen Chanteuse ihre, eigene Interpretation völlig unaufgeregt durch und punktet auf ganzer Linie.
Ich will einerseits diesen langsamen, dunklen Sound, aber andererseits auch den rohen Punk-Sound.
Tess de la Cour
In der Gesamtbetrachtung ist es der geschickt, akzentuierte Wechsel des dominanten Gesanges von Tess de la Cour und die unruhige Gemengelage zwischen den Polen Punk und Darkwave, der über Albumlänge überzeugt. MEMORIA sagt, dass “sie es liebt mit ihrer Stimme zu experimentieren”. Das Ergebnis des Experimentes kann sich hören lassen, kraftvolle Energie im Tempo einer Punkband, angereichert mit den dunklen Melodien des Darkwave und der Eleganz des Synthpops. Zehnmal dürfen wir auf “From the Bones” die Künstlerin durch ihre Songs begleiten und erleben mit ihr das Pendeln von langsamen, schwülen Songs zu den schnellen, roheren Punkrocks.
Wer sich im schwedischen Wald wohlfühlt und dieses gelungene Gemengelage aus Darkwave und Punkrock versuchen möchte, sollte hier bestellen. Das Album erschien Anfang März in diesem Jahr. Eine Texthülle hätte die ansonsten sehr stimmige Veröffentlichung abgerundet.