Es gibt viele Möglichkeiten, wenn man in der schwäbischen Metropole Stuttgart lebt, Punk*erin zu sein: Mit dem 9€ Ticket nach Sylt zu pilgern und sich aus Faulheit per Amazon das Bier dort zur DHL Packstation liefern zu lassen, ist eine davon. (Auch wenn das eventuell etwas widersprüchlich klingt). Auf ’nem lokalen Konzert in Lemmy-Gedächtnis-Hotpants und dem obligatorischen, abgerissenen Mercedesstern als Accessoire und mit Edding bemaltem Körper durch den Abend zu pogen ist, zugegebenermaßen, eine extrem coole. Einfach selbst zum Instrument zu greifen und mal eben die alten Hasen so lässig an die Wand zu spielen, dass die am Ende neidlos huldigend in die Knie gehen, ist vermutlich die überzeugendste Variante. Letztere ist den Jungs von Shit Out Of Luck in letzter Zeit gleich mehrfach gelungen. Waren sie beim letzten Album „Acoustic As Fuck“ (zum Review geht’s hier) noch als Duo unterwegs, haben sich Tim (Vocals, Rhythm Guitar) und Quentin (Drums, Percussion) im letzten Jahr Mike (Lead Guitar, Backing Vocals) und Merlin (Bass) dazu geholt. Dass das eine extrem geile Entscheidung war, haben sie in den letzten zwei Wochen auf dem Punkfest 2022 und beim We Are All Doomed Festival von Liebliche Klänge Konzerte bewiesen. Im Übrigen zwei ganz zauberhafte Festivals, die mit so viel Leidenschaft, Liebe und durch und durch DIY extrem viel Freude in die schwäbischen Punkerherzchen gepflanzt haben <3
Es ist eine Sache, sich den Tonträger anzuhören und sofort in den Bann der sich darauf befindenden Musik gezogen zu werden. Aber diese Stuttgarter auf der Bühne zu sehen ist in so vielerlei Hinsicht erfüllend. Da tut sich was, in Sachen Nachwuchs (im Übrigen nicht nur auf der Bühne, sondern auch davor…). Da steht eine völlig authentische, unfassbar talentierte Generation, die im Schnitt wahrscheinlich gerade mal an einem viertel Jahrhundert kratzt und durch den perfekten Mittelweg zwischen den zwei Fronten, die sich in den letzten Jahren des Öfteren gebildet haben, schreitet. Die uns zeigen, dass „Auf Alles Scheißen“ und trotzdem aufeinander Rücksicht nehmen sich nicht ausschließen müssen (und sollten!). Dass DIY einfach in jeder Hinsicht viel mehr Spaß macht, weil dabei unterwegs weder Herz noch ursprüngliche Intention verloren gehen. Dass Gleichberechtigung auf allen Ebenen einfach herrlich selbstverständlich sein kann und dass selbst gestochene Tattoos und bemalte Lederjacken noch lange nicht der Vergangenheit angehören. Es gibt scheinbar eine schwäbische 80er Jahre-Revival-Punkgeneration, die sich irgendwo zwischen Crust Punk, New Wave und Street Punk (Clockwork Punk) bewegt (…und dieser Satz klingt völlig absurd, haha) Ok, genug abgedriftet – aber dieser Schlenker musste sein, um zu verstehen, warum Shit Out Of Luck gehört UND gesehen werden müssen.
Auch das Tape ist rein optisch schon ein Knaller, da haben Jörg und seine Helferlein von Running Out Of Tape Records mal wieder ausgezeichnete Arbeit geleistet. Alleine die für jede Kassette individuell handgefertigten Stempel (Schöne Grüße an Stempelmann Bernd) verdienen an dieser Stelle mal Extra-Credits. Außerdem handelt es sich bei den Hüllen um Second Hand Hüllen, Nachhaltigkeit Olé!
Der Sound auf dem Tape klingt, im Gegensatz zum Vorgängeralbum, neu, funky, und leichtfüßig (komisches Wort, trifft es aber am besten). Auf dem Tape ist der Kontrast von Instrumenten zu Tims imponierendem, charismatischem Gesang und den teilweise düsteren, oft zynischen, gelegentlich melancholischen Lyrics (und das weiß ich, weil Texte beiliegen) noch deutlicher zu hören.
Sowohl live, als auch auf dem Tonträger funktionieren die teilweise fast rabiaten Breaks und Stilwechsel (Funk meets Punk meets Ska meets Blues) bestens, ohne den jeweiligen Song zu unterbrechen oder dessen Flow zu stören. Hier findet sich für jede Stimmung das passende Lied, und ich würde mich sogar so weit aus dem Fenster lehnen, dass das erst der Anfang ist. Wenn man bedenkt, dass alleine Tim und Quentin noch in 2 weiteren Bands mitmischen – Selbstmordkommando und Øde (Review folgt ) wird klar, da ist so viel Musik, die raus muss. Und die vor Allem gehört werden muss. Ihr könnt gleich damit anfangen, bitte sehr: Kauft das Tape einfach jetzt, sofort, bei der Band selbst (einfach PN auf der Facebookseite oder beim Konzert)
„(…) Johnny is afraid of silence
The only thing he ever learned is violence
And Johnny is afraid of peace
He don’t know what to do when he’s his only enemy (…)“(Afraid Of Peace)
Titelliste:
A-Seite
- World Of Liars
- Slaughterhouse Blues
- Not Much Left
- Afraid Of Peace
- Frank
B-Seite
- The Brave Little Tailor
- Copernicus Was Wrong
- Fuck The N.R.A.
- Never Again