Was kommt da denn ins Haus geflattert? Stromkasten – Digital Na[t]ive. Nie gehört. Das Cover gefällt mir auf Anhieb, eine Grafik, die aus scheinbar einer gekrakelten Rauchwolke besteht, die sich von links nach rechts über einen grüngesprenkelten Hintergrund zieht. Ferner gibt es wenige lineare Krakeleien, die nur scheinbar aus Zeichen bestehen. Meine graphologischen Fähigkeiten sind schnell am Ende. Die Rückseite ziert ein Ausschnitt der Vorderseite. Finde ich erst einmal im Gesamteindruck sehr stylish. Auch wenn mir die Bedeutung nicht aufgeht. Marke Kunsthochschule. Auf ein bedrucktes Innensleeve hat man bei der 180-Gramm-Vinylscheibe verzichtet. Ich vermute, das hat System, denn sämtliche Angaben auf der Platte beschränken sich auf das absolut Notwendigste. Sucht man Stromkasten im Netz, sind die Informationen auch sehr wenig ergiebig.
Was sagt denn der Presskit? Stromkasten ist ein internationales Quartett aus Köln und Umland, Luxemburg und Italien. Die vier Bandmitglieder sind in gleicher Besetzung seit 2016 zusammen und haben ein Faible für rein instrumentale Musik. Na prima, bunt und multikulturell klingt spannend. Widmen wir uns dem Kern zu. Das Album hat sechs Songs und ist nicht länger als 35 Minuten. Soweit die nackten Tatsachen.
Im ersten Stück „CRTD“ geht es gleich schön vorwärts. Bass und Drums treiben und halten aber immer wieder inne, um der Gitarre Raum für verspielte Riffs zu geben. „Momentum“ beginnt dagegen betont sehr gelassen. Die Gitarre eröffnet das Songmotiv, welches immer wieder, teils leicht abgewandelt, wiederholt wird. Nach zwei Minuten hebt das Ganze zu einem sich steigernden Crescendo an, welches aber wie ein Gewitter den ruhigeren Tönen weicht. Ein zweiter sehr ähnlich vorgetragener Höhepunkt kommt zum Ende hin. Auch hier folgen am Ende wieder ruhigere Passagen. Das Dynamikprofil gleicht einer Tour-de-France-Etappe mit zwei Passüberquerungen und Ankunft im Tal. Dann folgt der Titelsong „Digital Na[t]ive“, wo sich am Anfang eine für mich eher unruhige Wave-Melodie mit Metall-Riffs duelliert. Zwischendurch treibt das Schlagzeug mal ordentlich an. Aber dann geht es auch in die schon typischen ruhigeren Passagen über. Ungefähr eine Minute vor Ende machen die Drumkits noch mal richtig Dampf und auch die Riffs werden ein wenig rauer und schneidender. Schönes Drum-Finale. „Funktionalität und Widerstand“ beginnt mit einer repetitiven Gitarrenmelodie, die später von der Kapelle aufgenommen wird. Das Stück erinnert mich eher an Soul, Funk mit Tendenzen zu den südamerikanischen Tänzen. In der Mitte wechselt das Stück aber komplett die Farbe und Richtung und wird rockiger. „Quadrat“ beginnt mit sich wiederholenden Drum-Pattern und einer sich um die Drums windenden Gitarre. Auch hier kommen die Spannungsmomente durch Tempi-Wechsel. Der Song hat einen Einschlag an Prog-Rock. Das Finale bildet das fast elfminütige „Avalance“, welches fast als Fazit, alle vorher wahrgenommenen Stilmittel in einen Song zu packen versucht. Hier gibt es nochmal richtig Stromkasten auf die 12. Der perfekte Song für den Abgang.
Fazit: Man hört zahlreiche Zitate oder Einflüsse von Bands, die aber in eigener, typischer Art und Weise wieder zu etwas Neuem werden. Das Gleiche gilt für die Genres, die sich teilweise in einem Song mehrfach aneinanderreihen. Singer-Songwriter, wütende Punk-Passagen bis hin zu Stoner-, Math- und Post-Rock. Der Fokus der Band ist groß, aber dank der geschickten Arrangements und handwerklichen Fertigkeiten des Quartetts, läuft nichts aus dem Ruder und findet so seinen eigenen Stil. Mit dem dritten Tonträger von Stromkasten wird man als normaler Hörer Freundschaft schließen müssen. Erstens sind Instrumentals nicht jedermanns Sache und ich finde, dass diese schon anspruchsvolle Verkettung der Stile durchaus seine Aufmerksamkeit fordert. Das hört man nicht nebenbei. Hat man das befolgt, wird sich die Schönheit der Songs und Melodien dem Hörer erschließen und man wird verwundert merken, welches Spektrum diese vier Musiker hier abdecken. Wer sofort einsteigen will, kann das hier tun.