GRIND – Zweiter Aufschlag
Ein leichtes Beben ließ den Seismographen der Metal-Szene im Jahr 2020 mit Veröffentlichung von GRIND “Songs of Blood and Liberation” erzittern. Von einer Männerfreundschaft getragen, ziehen GRIND erneut in die Schlacht, um unsere Sinne und Herzen zu erobern. Aus der Flensburger Metal-Schmiede kommt wieder eine harte Attacke auf alle Sinne! Ohne Druck und Hektik begaben sich GRIND wieder in den Übungsraum und Studio, um mit “Grace and Misery” alle Erwartungen zu übertreffen.
Bewährtes wie die Zusammenarbeit mit Yannic Zwinscher, der für die Aufnahme und den Mix verantwortlich war oder Daniel Müller, dem Texter, haben GRIND beibehalten. Musikalisch haben sie sich mit wagemutiger Kreativität und kraftvollen Melodien in unbekannte Gewässer gewagt. Textlich haben sie tief in die Seele des Menschen geblickt, neue Geschichten gefunden und dabei ihre Wurzeln nicht vergessen.
“Grace and Misery” ist nicht nur ein Album – es ist ein Manifest der Leidenschaft, der Stärke und des unaufhaltsamen Willens, Grenzen zu überschreiten. GRIND sind zurück und stärker als je zuvor!
GRIND – Wagemut, Souveränität und Purismus
In Video-Botschaften, die in den vier Making Of-Beiträgen bei Vinyl-Keks zu finden sind, erklären GRIND unter anderem, was die Band konzeptionell ändern bei “Grace and Misery” verändern wollte. Das neue Koordinatensystem der Band besteht aus den Achsen: Wagemut, Souveränität und Purismus. Der Wagemut zeigt sich in der musikalischen Offenheit und dem Spektrum an Einflüssen, die ohne Rücksicht auf Genre-Limitationen eingebaut werden.
Die Souveränität ist tief in der norddeutschen Mentalität verwurzelt und ist der Garant für die Struktur und Komposition der neuen Songs. Hier hat man sich genau die Zeit genommen, die man benötigte. Ohne inneren oder äußeren Druck entwickelte sich in der Petrischale eine fantastische neue Dimension im Sound der Band. Akzeptiert wurde kurze Songs wie “I am Damon” mit knappen 90 Sekunden oder “Bones of Utopia”, was sich fast acht Minuten Zeit für den Aufbau seiner Dramatik nimmt.
Puristisch ist es in Bezug auf die Technik geworden – die Nadel des neuen Kompass zeigt auf: Weniger ist Mehr. Hat man bei “Songs of Blood and Liberation” noch Wert auf vielspurige Aufnahmen gelegt, geht man jetzt den umgekehrten Weg. Das Ergebnis ist ein Sound, der nah an der Band ist und Live-Charakter hat und in Bezug auf Dynamik und Bandbreite von cineastische Ausmaße aufweist.
Der Sound: neu.hart.episch.
Die erste Single “Hysteria” verdeutlicht die musikalische DNA der Band. Der Auftakt mit dem verstimmten Piano treibt erste Schauer über den Rücken, bevor die Gitarren im gestreckten Galopp einer dystopischen Stampede durch den Raum galoppieren. Der brummige Bass treibt die unruhige, bedrohliche Atmosphäre voran, während die explosiven Blast-Drums für das Tempo sorgen. Die Harmonien, die wechselnde Dynamik – “Hysteria” es ist der funkelnde Diamant, dessen Facetten immer wieder entdeckt werden möchten.
Die zweite Single „Leviathan“ ist ein Komet am Himmel – bedrohlich, hell und unaufhaltsam. GRIND zeigen hier ihr volles Können: das meisterhafte Songwriting, den Aufbau der Spannung, die Vielfalt der Instrumente, die sich zu einem gewaltigen Klangteppich epischer Härte vereinen in Verbindung mit den Texten, die ihre Botschaft auf den Punkt bringen
De beiden Kombinationen von Instrumentals und jeweiligem Nachfolger verdienen eine detaillierte Betrachtung. Die ersten Sounds von “Funktion und Begriff” durchdringen die Seele und umschmeicheln mit weichen Klängen das Gehör. Eine meditative Atmosphäre aus epischen Gitarren-Teppichen, pulsierendem Bass und kraftvollen Drums, lassen funkelnde Sternchen der Leidenschaft tanzen. Mit jedem Ton, mit jedem Sound erzeugt der Song kleine Erschütterungen in der Seele und lässt den Hörer in einen bisher unbekannten Bereich des GRIND-Universums gleiten.
Dann bricht ein Metal-Tsunami los und drückt mit voller Wucht den Hörer an die Wand. “Gaia“ nimmt den Hörer auf einen wilden Ritt mit, der bis ins Mark erschüttert. Es ist, als ob das Battleship GRIND Gehirn und Gehör unter Dauerfeuer nehmen. Das ist Grindcore at it’s Best.
Das Down-Tempo Instrumental “Sinn und Bedeutung” nutzt die Harmonie der schneidenden Gitarren, die zurückgenommene Rhythmusgruppe von Bass und Drums und stellt sich ganz in den Dienst einer mantraartigen Melodie, die in dem langsam steigernden Sound-Wall der aurale Fixstern bleibt. Am Ende lösen GRIND ein wenig die Handbremse, bevor das Gaspedal bis aufs Blech durch getreten wird und mit dem Closing-Track “Bones of Utopia” ein letztes Mal auf die Überholspur gehen.
Ähnlich angelegte Rock-Klassiker wie Queens “Bohemien Rhapsodie” oder Metallica “Enter Sandman”, mit ähnlicher cineastischer Soundbreite und Dynamik, kommen in den Sinn. GRIND erbringen definitiv und eindrucksvoll den Nachweis, dass sie als Grindcore-Band in der Lage sind einen Song opernhaft langsam zu steigern, episch breit aufzuziehen und über die gesamte Länge von fast acht Minuten den Hörer durch Dynamik- und Tempo-Wechsel an den Song zu binden.
“Bones of Utopia” ist quasi der Blueprint der neuen epischen Härte, in der all ihre musikalische Kreativität, die Härte des Metal und ihr handwerkliches Können und Verständnis für das Songwriting verwoben wird. “Bones of Utopia” hat das Zeug zum GRIND-Klassiker.
Verschmelzung von Botschaft und Sound
Wie auf dem Booklet vermerkt: “It began with a gift”, hat “Grace and Misery” eine bemerkenswerte Geschichte, was das durchgehende Konzept von Musik, Text und Artwork angeht. Wie so oft im Leben, spielte der Zufall eine große Rolle und brachte der Band einen Jahreskalender, den ein Freund eines Bandenmitglieds künstlerisch und textlich gestaltet hat. Die Monatsblätter zeigten auf der Vorderseite Bilder, während auf der Rückseite, Texte von renommierten Philosophen über entsprechende Theorien und Positionen in der Quintessenz zu lesen waren.
In schier endlosen Diskussionen mit dem Haupt-Texter Daniel Müller, formten sich nach und nach Themen heraus, die zu Songtexten heranwuchsen. Das Thema: „Der Mensch im Verhältnis zur Gesellschaft und im Zusammenspiel mit der Natur“ wurde zum Rahmen von “Grace and Misery”. Das konzeptionell integrative Artwork stammt von der deutschen Künstlerin Sandra Hoitz.
GRIND – Grace and Misery
Das Album “Grace and Misery” enthält fantastische 13 Songs, die sich auf eine “Grace-” und eine “Misery-“Seite verteilen und hat eine Spielzeit von etwa 45 Minuten erreichen. Mit “Funktion und Begriff” als Opener und “Sinn und Bedeutung” als Teaser für das große Finale, schickt man mutig gleich zwei Instrumentals ins Rennen.
Musikalisch sind GRIND hörbar reifen und offener geworden. Limitierende Genre-Grenzen werden leichtfüßig übersprungen und man merkt zu jedem Zeitpunkt die kreative Spielfreude der Band sich an Neuem zu probieren.
In den Texten gibt es einen deutlichen Kurswechsel: weg aus der fantastischen Welt der Wölfe, Tentakelwesen und einem Einhorn, hin zum Menschen in der Gesellschaft und Natur. GRIND sind im Hier und Jetzt angekommen und beleuchten Themen mit Botschaft und Kritik, aber immer mit dem Wunsch den Hörer zum Nach- und Weiterdenken anzuregen.
Die Videos der Singles “Hysterie” und “Leviathan” sowie des non-Album-Tracks “Raw Living” sind zum Niederknien. Wenn man bedenkt, dass GRIND Freizeit-Musiker sind, hat die Band hier prächtig aufgefahren. Mit unterschiedlichen Konzepten setzen GRIND ihre Songs ästhetisch und gut erzählt in Szene. Während in “Hysteria” die Kamera die Live-Atmosphäre des Video-Takes perfekt einfängt, dominieren in “Leviathan” die Wechsel zwischen dem Song und eingespielten, intimen Snippets der Band.
Ein besonderes Lob verdient die Konzeption des Album – hier passt Alles zusammen: Musik, Texte, Inhalt und Artworks. Selten wird man so ein von Anfang bis Ende durchdachtes Konzept erleben, das fast alle Sinne anspricht. GRIND verstehen es in Perfektion, den Hörer zu einem Erlebenden zu machen.
Alle Fans, die das Debüt “Songs of Blood and Liberation” lieben, werden vor “Grace and Misery” in die Knie gehen. Den Interessierten und Sammlern des Genres kann man nur raten, dieses Album nicht zu verpassen. Alle Bands da draußen seien gewarnt – GRIND haben die Tür zu einer neuen Dimension aufgestoßen:
Die neue epische Härte kommt aus Flensburg.
“Grace and Misery” gibt es in drei jeweils auf 100 Kopien limitierten Auflagen als Grau/Schwarz- und Gold/Schwarz-marbled und im klassischen schwarzem Vinyl mit 28 seitigem aufwändig gestalteten Booklet. Am einfachsten läuft die Bestellung über 7 Degrees Records.
Beitrag in eigener Sache:
Dieser Beitrag trägt die Nummer #222. Das alleine ist schon eine ansehnliche Zahl für mich. Aber es erfüllt mich mit tiefer Freude und Stolz, dass mein erster, am 1. Dezember 2020, veröffentlichter Beitrag für den Vinyl-Keks, ein Beitrag mit dem Titel “GRIND. 25 Jahre bis zum perfekten Riff” gewesen ist. Es erfüllt mich mit tiefem Dank und Demut, dass GRIND mir erneut das Vertrauen ausgesprochen haben, ihr neues Album “Grace and Misery” zu besprechen. Hier ist eine tiefere Verbindung entstanden. Danke.
Danke auch an dieses fantastische Magazin Vinyl-Keks, welches es mir ermöglicht immer wieder aufregende neue Sachen zu erleben und darüber zu schreiben. Und zu guter Letzt ein Dank an die netten Nachrichten der Bands, der Labels und das Feedback aus der Leserschaft.
Vinyl ist für mich nicht nur Musik, sondern ein Erlebnis. Die von mir beschriebenen Alben, habe ich alle ausgepackt, angeschaut und angehört. Gerne auch mehr als ein Mal. Bei den Reviews mache ich mir immer ein eigenes Bild durch entsprechende Recherche und das konzentrierte Anhören. Das ist meine Art den Künstlern entsprechende Wertschätzung für ihre Kreativität und Kunst entgegenzubringen.
So kann es vorkommen, dass zum Zeitpunkt des Erscheinens, die Platten in seltenen Fällen vergriffen sind.
Dazu gibt es für mich keine Alternative: über Platten schreiben, in dem man die Pressetexte abschreibt ohne die Platte in den eigenen Händen gehalten zu haben, macht für mich keinen Sinn. Danke für euer Verständnis. Lagartija Nick.