Es ist mal wieder soweit, ziemlich genau vor zwölf Monaten nach dem ersten Interview mit der deutschen Band Taumel, haben sich Jakob Diehl und Sven Pollkötter von Taumel und unser Lagartija Nick zu einem zweiten Interview per Telefon verabredet. Es gab wohl Redebedarf. Aber lest selbst, was unser Kollege Lagartija Nick (bekennender Fan und Rezensent der gesamten Taumel-Diskographie) dem Duo Taumel entlocken konnte…
Noch einmal Gratulation zum aktuellen Album „Now We Stay Forever Lost In Space Together“. Es ist etwa ein halbes Jahr auf dem Markt – wie waren die Reaktionen auf das Album?
Taumel: Wir haben unglaublich viele gute Rezensionen erhalten. Eigentlich fällt uns nur eine Rezension ein, die nicht so gut war. Dabei kamen die Rezensionen auch aus internationalen Quellen in und außerhalb Europas – was uns natürlich freut, wenn wir außerhalb von Deutschland wahrgenommen werden.
Wie läuft der Verkauf des Albums?
Taumel: In der Tat sehr gut; laut unserem Label. Von der ersten Auflage von „Now We Stay Forever Lost In Space Together“ kann man über Bandcamp noch Platten beziehen. Und da wir vorhaben, nächstes Jahr live zu spielen, haben wir eine Nachpressung (in rotem Vinyl) in Auftrag gegeben, die man schon beziehen kann.
Das ist ja sehr erfreulich zu hören. Wisst ihr in welche Länder diese Platten verkauft wurden bzw. wo eure Fans sitzen?
Taumel: Eigentlich auch weit gestreut, Großbritannien, Schottland, vieles über Bandcamp. Aber auch Spanien, Griechenland, die Vereinigten Staaten, Irland, Russland und die Ukraine.
Diese geographische Verbreitung finde ich schon bemerkenswert. Wie begründet ihr für euch diese überraschende Reaktion?
Taumel: Wir glauben, dass wir als Taumel eine bestimmte musikalische Nische bedienen, die uns auch überregional interessant macht. Dadurch, dass es heutzutage viele Streamingdienste gibt, werden wir auch von einem sehr entfernten Publikum wahrgenommen.
Uns freut die bisherige Entwicklung von Taumel insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir unter Umständen gestartet sind, die nicht schwerer hätten sein können. Alleine die Auswirkungen von Corona hat unsere Arbeit sehr erschwert. Man denke nur an die Erstellung, die Zeit in den Proberäumen oder ganz einfach die Schwierigkeiten, dass man aufgrund von Quarantänebestimmungen einfach in Ländern oder an Orten festhing und nicht oder nur unter sehr schwierigen Bedingungen zusammenarbeiten konnte.
Dann war und ist es so, dass Musiker oder Künstler allgemein keine öffentlichen Gelder bekommen und wir es so auch wirtschaftlich nicht einfach hatten.
Vor zwei Jahren 2020 (2019 fertiggestellt), erschien bei Tonzonen Records euer Debüt als Taumel „There Is No Time To Run Away From Here“. In 2022 schon das Nachfolge-Album „Now We Stay Forever Lost In Space Together“. Beide Alben sind mittlerweile als Traum-Serie Teil I und Teil II miteinander verknüpft. War es von Anfang an die Idee, eine „Traum-Serie“ zu erstellen oder ist diese Idee im Nachhinein entstanden?
Taumel: in der Tat ist es ein „lang angelegtes Konzeptalbum“. Also wirkliche eine Idee oder Konzept, was einem Plan folgt und nicht zufällig entstanden ist. Und aus diesem Ansatz entsteht ein „Grundteppich“, von dem aus wir die Dinge entwickeln.
Verstehe, aber nach dem das Debüt eher die dunklen Parts bzgl. der Traumerkundung hatte, wurde es auf dem Nachfolger ruhiger und wie ich finde ein wenig „geordneter“. Welche Idee kommt als nächstes? Bildet ihr die Schlaf- und Traumphasen ab?
Taumel: Nein. Die Sessions zu beiden Alben sind sehr unterschiedlich gelaufen, hatten aber nicht den Plan der Abbildung der Traum- oder Schlafphasen, sondern folgt eher der Idee einer Kommunikationsform, die wir finden mussten, unsere musikalischen Ideen in einem festgelegten Rahmen umzusetzen.
„Die Thematisierung des Schlafes oder Traums, folgt keinem wissenschaftlichen Ansatz, sondern eher einem poetischen Ansatz.“
Jetzt verstehe ich euren Ansatz. Daneben ist mir aufgefallen, dass das ganze Projekt von der grundsätzlichen Idee sehr schlüssig scheint. Da drängt sich natürlich die Frage für mich auf, wann diese Serie endet? Gibt es einen Endpunkt, auf den ihr zusteuert? Ein Ziel?
Taumel: Genau das Gegenteil ist der Fall, – wir sind der Meinung, dass wir es merken werden, wenn die Sache „rund“ ist. Noch ist das aber nicht der Fall, denn der dritte Teil der Serie ist in Planung.
Das sind gute Nachrichten. Nun ist es bei den beiden erschienenen Alben so, dass man sehr deutlich die optische Nähe erkennt. Welche Rolle spielt das Artwork für euch und wie begründet ihr die Ähnlichkeit der beiden Artworks? Steckt da eine Intention dahinter?
Taumel: Erstens liegt uns an unserem Artwork sehr viel, da wir es als Teil des Ganzen verstehen und wir auch dort wiedererkannt werden wollen. Zweitens folgen wir bei dem Artwork einem gewissen graphischen Konzept. Beide Artworks sind in Schwarz-Weiß gehalten und bedienen sich der gleichen Schrift. Die dritte Komponente ist ein symbolischer Ansatz, denn auf dem ersten Album sieht man Bäume, während die Frontseite des zweiten Albums Wasser zeigt, Beides sind für uns Naturelemente und bewusst gewählt.
Für uns sind gerade die Motive sehr wichtig, mit denen wir „den Transfer der Musik“ darstellen möchten. Dieser verfremdete Realismus, das Abstrakte, soll im Kontext mit unserer Musik verstanden werden. Deshalb haben wir diese Fotos ganz bewusst ausgesucht.
Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Werke ist, dass das Tracklisting, also die Songtitel, die Titel der Alben ergeben. Das ist natürlich kein Zufall. Was für eine Idee steckt dahinter und was ist zuerst da gewesen: Songtitel oder Albumtitel?
Taumel: Das stimmt. Wir haben uns da einen konzeptionellen Rahmen gesetzt, in dem wir uns aber wieder durchaus „frei bewegen“ wollen. Das Artwork und diese Details sollen diesen konzeptionellen Rahmen verdeutlichen.
Wir sind als Musiker extrem am Entstehungsprozess interessiert. Viel mehr als am Ergebnis. Als Beispiel dafür vielleicht – dieser Magic Cube aus den Achtzigern, bei dem das Ziel, das Ergebnis klar ist, aber der Weg dorthin vielfältig und sehr unterschiedlich sein kann.
Oder die Bilder von Monet, der immer wieder mal Teiche gemalt hat. Man sieht also das Ergebnis, das Motiv: den Teich. Aber unser Interesse gilt eigentlich dem „wie hat er es gemalt?“, also dem Entstehungsprozess. Welche Ideen stecken dahinter? Welche Farben hat er sich ausgesucht? Welche Techniken angewendet?
Verlassen wir mal die Malerei und Monet und wenden uns einem anderen Thema zu. Ich weiß, im letzten Interview hattet ihr die Frage nach einem Genre insofern unbeantwortet gelassen, da ihr euch keinem Genre zugehörig fühlt.
Ich kann mich erinnern, dass ihr im Prinzip das gesamte musikalische Universum aufnehmt und in eure Arbeit einfließen lassen wollt. Trotzdem bildet sich für mich aus diesen zwei Alben ein typischer „Taumel-Sound“, der auch einen hohen Wiedererkennungswert hat. Ist dieser Sound ein gewollter Sound oder nur die logische Konsequenz aus den Ausgangsgrößen?
Taumel: Es gibt, wie schon erwähnt, diesen Rahmen, den wir uns gesetzt haben. Daneben bleiben andere Parameter wie ein langsames Tempo oder auch ganz wichtig, die Besetzung, die Musiker und Mit-Musiker gleich. So haben wir zum Beispiel schon mal bei den Tempi die Flächen gelegt und sind dann frei im weiteren Prozess.
Mit diesem Rezept haben wir schon mal einen „groben Fahrplan“ und mit dem Rahmen eine Einheit, eine große Klammer um das, was wir erschaffen. Unser Credo ist: „Wir wollen Musik passieren lassen und aus dem Chaos schöpfen.“
Ich denke eure Idee wie ihr euch sehr individuell und konzeptionell euch eurer Art Musik zu machen nähert, habt ihr wirklich gut und ausführlich erläutert.
Könnt ihr bei diesem eigenen Stil noch mit anderen Musikern arbeiten? Und bleibt ihr dabei Taumel bzw. beim Taumel-Sound?
Taumel: Auf dem gemeinsamen Album „in Pieces“ mit Ensemble Adapter ist das ja schon in gewisser Weise geschehen. Wir verstehen uns als Musiker, die sehr vielfältig Musik machen, aber trotzdem mit Wiedererkennungswert beziehungsweise Sound.
Nachdem uns Covid zwar erhalten bleibt, wir aber Wege im Umgang gefunden haben, wie ist euer persönlicher Drang nach Live-Events? Ist das etwas, was ihr absolut im Zusammenhang mit euren Musikerleben seht?
Taumel: Generell verstehen wir uns schon als Live Band. Das ist für uns „totaler Spaß“, aber auch die Booking Agenturen sind da aktuell sehr zurückhaltend.
Leider ist die aktuelle Situation so, dass die Zuschauer wegbleiben und die Preise teilweise sehr hoch sind, weil die Musiker sonst kaum noch wirkliche Einnahmequellen haben. Selbst große Bands merken da sehr schmerzhaft, da es gerade sehr schwierig ist und „…man mit Platten kein Geld verdient.“ Und in der Tat ist unsere aktuelle Situation so, dass wir eine Booking Agentur suchen. Wer nag, darf sich gerne bei uns melden.
Um das fehlende Live spielen ein wenig zu kompensieren, haben wir mit dem Song “Lost in Space“ ein Live-Video online gestellt, was natürlich das Live-Erlebnis nicht ersetzen kann.
Also nehme ich mal mit, dass es Taumel auch gerne mal Live auf der Bühne geben soll. Was wären für euch Traum-Live-Locations? Wo würdet ihr wirklich mal gerne spielen?
Taumel: Volksbühne Berlin.
Das kam jetzt wie aus der Pistole geschossen. Aus welchem Grund die Berliner Volksbühne?
Taumel (Jakob): Ich habe lange in Berlin gelebt und „liebe einfach die Berliner Volksbühne und alles, was da schon so gespielt wurde“. Das ganze Flair und die Atmosphäre wären großartig und für uns genau richtig.
Wow! Da finde ich erstaunlich, da ich mir im Vorfeld überlegt hatte, dass ihr als sehr klanglich und tiefgehende musikalische Band an einem perfekten Klang Interesse habt. Ich hatte an so etwas wie die Elbphilharmonie gedacht.
Taumel: Die Akustik ist in der Elbphilharmonie übrigens deutlich anders, als sagen wir mal in der Kölner Philharmonie. Man muss aber auch fairerweise dazu sagen, dass man in Hamburg ein anderes Konzept verfolgt hat, wo die Bühne in den Mittelpunkt gestellt wurde und das Publikum teilweise, um die Bühne herumsitzt.
Aber noch mal zurück zur Traum-Live-Location. Wir können uns da auch gut einen alten Jazz-Schuppen vorstellen, in dem unsere Musik bestimmt gut zur Geltung kommen würde.
Aber darüber hinaus können wir uns selbstverständlich vorstellen in Theatern, Rockläden, Jazz-Location oder open-air zu spielen. Wir sind da völlig offen und haben da keine Restriktionen bezüglich dem Spielort.
Das ist definitiv eine adäquate Bühne und Atmosphäre für Taumel. Was macht ihr neben Taumel, ich glaube Jakob ist sogar noch Schauspieler?
Taumel: Wir haben zum Glück Berufe, die uns neben Taumel ausfüllen und auch wirtschaftlich helfen durch die Zeiten zu kommen. Aber es bedarf einer guten Organisation die Jobs und Baustellen zu organisieren.
Durch die Arbeit beim Vinyl-Keks fällt mir auf wie viele Bands häufig sehr breit in den Social Media vertreten sind. Es scheint, als ob diese Auftritte in der heutigen Zeit von hoher Wichtigkeit sind. Wie seid ihr dort vertreten? Habt ihr da ein schlüssiges Konzept?
Taumel: Ehrlich gesagt haben wir dort bisher kein schlüssiges Konzept. Wir sind auf Facebook, Instagram, Bandcamp, youTube und Spotify vertreten. Im Großen und Ganzen sehen wir diese Medien nicht als großes Tool an. Wir pflegen da in Eigenregie ein wenig die Plattformen.
In diesem Zusammenhang fällt mir ein, beim letzten Interview mit euch, etwa ein Jahr zurück, ward ihr total stolz, dass Taumel bei Spotify angekommen ist. Ich habe mich weiterentwickelt, und nutze jetzt selber Spotify und kann euch sagen, dass ihr da mittlerweile als „Künstler“ vertreten seid. Pusht ihr das aktiv oder ist es eher für euch ein notwendiges Übel?
Taumel: Wie schon erwähnt sind wir da eher etwas faul, aber wir finden die Streamingdienste schon sehr interessant. Zum einen, da man hier selbst vertreten sein kann, aber zum anderen kann man als interessierter Hörer:in Dinge entdecken, weltweit, die man sonst ohne dieses Medium nie entdeckt hätte. Wir verstehen da zum Beispiel Spotify als „Entdeckungsreise oder Entdeckungsplattform“.
Wir geraten ein wenig in Nostalgie und Schwärmen bei den Gedanken, wie wir uns früher neue Musik erschlossen haben und stellen fest, dass dabei ein Militärsender der Briten in NRW: BFBS und ein gewisser Radio-Moderator und -DJ: John Peel eine große Rolle gespielt haben.
Vor dem Hintergrund, stellt sich dann doch die Frage, wie seht ihr die Streaming-Dienste und die heutige Art des Musikkonsums im Kontext?
Taumel: Früher war es so, dass man sein Geld gespart hat, um sich das Musikmedium seiner Träume zu kaufen. Es hatte somit, sowohl einen wirtschaftlich materiellen, aber auch ideellen Wert. Zudem kam noch das Erlebnis dessen, was man heute als „unboxing“ bezeichnet, das Auspacken. Erst da kamen noch andere Sinne zu ihrem Erlebnis: Haptik, Optik und selbst der Geruchssinn wurde beim Auspacken vom Tape oder der Langspielplatte zu einer Prozedur – „Musik wurde einfach zelebriert.“
Das alles fällt heute völlig weg und es werden auch keine Erlebnisse für die Sinne generiert. Aber wie gesagt, sehen wir durchaus auch positive Aspekte. So kann es sein, dass durch diese Plattform auch Taumel mal als Vorschlag kommen kann. Diese Funktionen sind für die Verbreitung unserer Musik sind schon interessant. Allerdings pushen wir das nicht aktiv, sondern lassen den Dingen da ihren Lauf.
„Den Dingen ihren Lauf lassen“ ist ein schönes Interviewende. Wir haben zwar noch über „dies und das“ privat gesprochen, aber diese Dinge sollen auch privat bleiben. Deshalb möchte ich an dieser Stelle mich herzlich, bedanken, dass ihr uns, aber auch mir persönlich, die Möglichkeit für das Interview gegeben habt. Ich hoffe, es geht weiter voran mit Taumel und wir können schon bald ein neues Taumel-Projekt in den Händen halten oder euch auf einer Bühne live hören und sehen.
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Für interessierte Leser:innen weise ich gerne an dieser Stelle auf die drei Rezensionen und das erste Interview von Taumel beim Vinylkeks hin. Hier könnt ihr abspringen:
Rezensionen Taumel
Rezensionen Taumel + Ensemble Adapter
Interviews
- “Hört unsere Musik laut in stiller Umgebung” – Interview, September 2021